Als ich Kind und Jugendliche war, herrschte seitens der Eltern und Geschwister immer ein zwar unterschwelliger, aber großer Druck, dass man ja nicht eigenbrötlerisch daheim herumzusitzen hatte.
Das kenne ich auch. Ich war schon als Kind ein eher introvertierter Mensch und habe auch lieber drinnen gesessen und gelesen statt den ganzen Tag draußen zu sein. Mit einer Horde wilder, lärmender Kinder habe ich nie gern gespielt, sondern lieber mit wenigen Kindern (vielleicht einem bis dreien), dann aber phantasievoll und etwas ruhiger. Lärm hatte meine schon relativ alte, außerdem chronisch kranke Mutter auch nicht gern, aber ich glaube, meinen Hang zum Lesen statt zu irgendwelchen praktischen Betätigungen oder zum Spielen draußen hat sie nie nachvollziehen können, weil sie in der Hinsicht ganz anders geartet war.
Auch bei Besuchen bei meiner Tante (Schwester meiner Mutter) und meiner ein Jahr älteren Cousine wurde in meiner Kindheit Druck ausgeübt, "draußen mit den anderen Kindern" zu spielen. Egal, ob diese einem vom Naturell her lagen oder nicht.
Ich finde, man kann auch die Introvertiertheit eines Kindes respektieren und hinter den Kulissen dafür sorgen, dass es dabei nicht vereinsamt, ohne es mit Druck unter Leute zu bringen, die einfach nicht zu ihm passen. Aber wo wurde Kindern in den 1960er und 1970er Jahren schon wirklicher Respekt entgegen gebracht? Schon gar nicht, wenn sie irgendwie aus dem Raster fielen.
Aber ich kann dieses oberflächliche Geplänkel auch nicht sonderlich gut vertragen und diese Treffen, nach denen ich am liebsten Anzeige erstatten wurde wegen Zeitdiebstahl.
Bei solchen Treffen wird doch meist sowieso nur oberflächliches, hohles Zeug geredet, über die primitivsten Witze gelacht und Alkohol konsumiert. So eine richtige Vereinsmeierei, für die ich noch nie der Typ war.
Verwandtschaftstreffen verlaufen auch oft nicht besser. Ich hatte vor einigen Jahren mal ein Cousinentreffen. Da bin ich schon deshalb die Außenseiterin, weil ich ein ganz anderes Leben führe. Als einzige bin ich weder verheiratet noch habe ich Kinder, noch wohne ich im eigenen Haus. Der Schwerpunkt meines Lebens liegt dafür auf meinem Beruf, damals lag er auch noch auf der Sorge wegen meiner zu der Zeit noch lebenden, alten und seit Jahren schwerkranken Mutter; die Probleme mit meiner psychisch kranken, lebensuntüchtigen Schwester hatte ich ja oben schon erwähnt. Die Cousinen haben kein Gymnasium besucht, früh geheiratet, sich Kinder angeschafft (mit denen sie jetzt prahlen, weil diese teilweise studiert haben) und wohnen im eigenen Haus in ländlichen Gegenden. Bis auf eine haben inzwischen alle schon Enkel. Wie das Treffen verlief, könnt ihr euch sicher vorstellen. Es ging nur um Kinder, Enkel, Schwangerschaften und Hausrenovierungen, Kochen, Backen und Gartenarbeit. Keine geistigen Interessen, keine Lust, an dem Ort, an dem wir uns getroffen hatten, vielleicht mal eine Stadtführung zu machen oder sonst etwas zu besichtigen. Höchstens Shoppen war angesagt, was ich wiederum nicht so spannend fand, zumal ich nichts brauchte und folglich auch nichts gekauft habe. Fotos der Kinder wurden herumgezeigt. Es wurde betont, wie froh man sei, mit knapp 58 "endlich" nicht mehr arbeiten zu müssen.
Ich konnte zu der ganzen Unterhaltung nichts beitragen, sondern wurde in die Zuhörerrolle gedrängt. Erzähle ich denen nämlich was von meinem Beruf (ich bin Juristin und arbeite in der Verwaltung), und wenn's nur eine harmlose Anekdote ist, wird mir das gleich als Angeberei ausgelegt und demonstrativ überhört oder spitz kommentiert. Ich werde auch nie danach gefragt. Mit einer Cousine habe ich damals versucht, mal kurz auf einem Spaziergang über meine Probleme mit meiner Mutter und meiner Schwester zu reden, die mich gerade in der Phase stark belasteten, in der Hoffnung, von ihr vielleicht etwas "moralische" Unterstützung zu bekommen. Dies wurde sofort plump abgewürgt, nicht mal für fünf Minuten durfte das Thema aufs Tapet kommen.
Untereinander aber halten die Damen sich gegenseitig ständig (in ca. 14-tägigen Abständen) auf dem Laufenden, was mir jedes Mal bei den seltenen Anrufen der einzigen Cousine bewusst wird, die überhaupt mal (in Abständen von ca. 4 Monaten) was von sich hören lässt. Die spüren wahrscheinlich auch, dass ich nicht zu ihnen passe, und lassen mich das auch fühlen. Aber muss ich wirklich psychische und sonstige Kraftakte machen, um von denen nicht weiter ausgegrenzt zu werden, wenn mir der Kontakt zu solchen Menschen im Grunde gar nichts gibt?