So wie ich das verstanden habe, hattest du eh nicht allzu lange Kontakt mit dieser Frau. Ich habe so etwas schon mit Menschen erlebt, mit denen ich zuvor viele Jahre eng befreundet war. Und dann fiel mir das Loslassen extrem schwer. Wenn ich mit jemandem nicht sehr lange und nicht wirklich eng befreundet bin, habe ich kein Problem damit, einen Kontakt bei Desinteresse auslaufen zu lassen. Aber wenn das jemand mit mir macht, mit dem ich jahrelang eng verbunden bin, kann ich ganz schön wütend werden und gebe dann auch mal verletzende Worte von mir. Nach vielen schönen Jahren ist das für mich nämlich ein Vertrauensverhältnis, die Person gehört für mich schon sozusagen zur Familie. Und sich dann einfach aus der Freundschaft ausschleichen finde ich total daneben. Ich bin schließlich ein Mensch mit Gefühlen und kein Spielzeug, welches man kurzerhand wegwerfen kann, wenn man keinen Bock mehr darauf hat.
Dann ist es ein Missverständnis. Ich war von 1971 (2. Schuljahr) bis zum Abitur eng mit der Frau befreundet. Jedenfalls aus meiner Sicht. Selbst als Grundschulkind spürte ich zwar schon Milieu-Unterschiede, auch, dass diese Freundin sich vorzugsweise mit Kindern von "besseren Leuten" (wie meine Eltern gesagt hätten und womit sie gebildetere, angesehenere und/oder wohlhabendere meinten) umgeben sollte. Ich war ein sensibles Kind und hatte für so etwas schon immer ganz feine Antennen. Aber da auch wir häufig zusammen spielten und ihre Eltern durchaus freundlich mit meinen kommunizierten, fiel es noch nicht so sehr auf. In der Oberstufe lockerte sich der Kontakt allerdings schon etwas, weil sie andere Leistungskurse hatte als ich und, was ihren Umgang betraf, erkennbar nach Höherem strebte, als ich es trotz guter schulischer Leistungen von meiner sozialen Herkunft her zu bieten hatte. Sie ist halt durch ihr Elternhaus geprägt und so erzogen.
Im Studium lockerte sich der Kontakt weiter, weil sie auswärts studierte, ich dagegen in Heimatortnähe (bin gependelt). Über die Uni, an der ich studierte, äußerte sie sich damals eher abfällig. Fand ich auch schon nicht so toll. 1987 schlief der Kontakt dann ganz ein und wurde erst durch eine von mir offenbar missverstandene Initiative ihres Vaters vor ihrer Hochzeit 2002 wiederbelebt. Das Ganze kam dann auch nur schleppend in Gang, dümpelte trotz einiger netter Treffen immer mehr vor sich hin, und seit Oktober 2017 habe ich sie gar nicht mehr gesehen. Das war's dann wohl endgültig - ganz geräuschlos über die Bühne gegangen. Und das, obwohl ich mir gerade seit der Wiederaufnahme des Kontakts im Umgang mit ihr alle erdenkliche Mühe gegeben habe (viel mehr als in unserer Jugend) und das Gefühl hatte, mich auch mit ihrem Mann und sogar ihren Schwiegereltern, die ich dann kennen lernte, gut zu verstehen. Und mit ihren Eltern ebenfalls. Auch kann man ja nicht behaupten, dass beruflich nichts aus mir geworden wäre.
Dass mich das immer noch und immer wieder beschäftigt, hängt wie bei dir damit zusammen, dass es eine frühe, in der Grundschulzeit entstandene, enge und auch relativ lange Freundschaft war und mir das Loslassen immer schwer gefallen ist. Wenn man so etwas öfter erlebt hat, ist man irgendwann zermürbt, im Hinblick auf das Bemühen um Freundschaften erschöpft und zu intensiven freundschaftlichen Gefühlen wohl auch nicht mehr fähig. Man stumpft einfach bis zu einem gewissen Grad ab, wahrscheinlich zum Selbstschutz. Daher macht es einem bei Menschen, die man erst später im Leben kennen gelernt hat und mit denen man nicht so lange befreundet war, nicht mehr so viel aus. Die hakt man auf Basis seiner früheren unliebsamen Erfahrungen innerlich schneller ab. Mich beschäftigen Enttäuschungen über Menschen, die ich lange kenne und zu einem frühen Zeitpunkt meines Lebens kennen gelernt habe, jedenfalls eindeutig am nachhaltigsten. Daher gehören neben Freundinnen aus der Kindheit auch Verwandte dazu.
Wahrscheinlich sind das für die Psyche irgendwelche prägenden, enttäuschenden und wohl auch verletzenden Ur-Erfahrungen, sodass es sehr schwer fällt, dies zu verarbeiten und Gleichgültigkeit einkehren zu lassen.