Ich habe euer gestriges "Gespräch" durchgelesen und in mir war eigentlich zum Schluss nur ein Gedanke. Ihr seid alle so klasse!!!!! Denn ihr macht genau das, zu was eure Eltern nie fähig waren. Ihr schaut hin und befreit euch Schritt um Schritt. Wäre es möglich, würde ich euch jetzt am liebsten ganz fest in den Arm nehmen!
Verstehen kann ich euch, weil ich selbst auch keine einfache Kindheit hatte. Da gab es Demütigung, Verachtung, Ungerechtigkeit, das Gefühl nicht geliebt zu werden, das Gefühl schuld zu sein, das Gefühl nicht zu genügen, das Gefühl mehr tun zu müssen, das Gefühl immer mal noch einen Versuch zu starten um eine Beziehung, sei es zur Mutter oder zum Vater oder zu den Geschwistern zu kitten. Das alles trägt man in sich und mit in sein Leben und in seine neue Beziehungen hinein - es holt einen immer wieder ein. Und auch wenn man glaubt alles besser zu machen als man es erlebt und vorgelebt bekommen hat, macht man doch immer wieder die gleichen "Fehler". Man verläst seine Muster nicht, ohne es zu merken - weil man diese Muster gar nicht richtig kennt. Die ersten Jahre unseres Lebens prägen uns so tief, das es einfach schwierig ist, den "Durchblick" zu haben. Was hat mich wirklich befreit? Mich hat die Erkenntnis befreit, dass die Menschen, die mir so nahe stehen und mir mehr weh tun können als andere Menschen, keine schlechten Menschen sind. Mich hat die Erkenntnis befreit, dass diese Menschen in ihrer eigenen Ohnmacht leben und dass es nicht der Mensch selber ist, der mir weh tut, sondern seine Ohnmacht. Seine eigene Unfähigkeit, seine Muster zu verlassen. Das wiederum konnte ich erst sehen, als ich meine eigene Ohnmacht in ihrem ganzen Ausmaß sehen konnte und verstanden habe, nach welchen Mustern ich selber lebe und fühle und handle. Aus diesem Erlebten heraus habe ich verinnerlicht - sehr sehr tief verinnerlicht - dass es nur darauf ankommt, was ich von mir selber halte, was ich über mich denke und wie ich mich selbst empfinde. Wenn ich selber mit mir klar komme, komme ich auch mit anderen Menschen klar. Warum? Weil ich keine Ansprüche mehr an andere Menschen stelle, dass sie durch ihre Worte und ihre Handlungen mir helfen, glücklich zu sein. Für mein Glück bin ich selbst verantwortlich - aber das ist auch so herrlich befreiend! Es beflügelt, es lässt mich standhaft bleiben, es hilft, dass es mich nicht mehr so schnell umhaut. Und es hilft andere Menschen in einem ganz anderen Licht zu sehen. Es hilft loszulassen! Ich lasse meine Muster los, ich lasse meine Schuld los, ich lasse meinen Schmerz los, ich lasse das Gefühl des ungeliebtseins los, ich lasse meine Ohnmacht los. Ich wälze mich nicht mehr darin. Und ich lasse andere Menschen los. Ich lasse unter anderem auch ihr Schuld los (die, wenn es soweit ist, gar nicht mehr als Schuld empfunden wird) und das ist ein Befreiungsakt für beide Seiten.
Das ist ein Prozess der bei jedem anders verläuft, weil eben jeder seine ganz persönliche Erfahrung hat und ein ganz individueller Mensch ist. Am Ende meines Befreiungsprozesses stand ein wunderbarer Gedanke: Ich bin nichts Besonderes und ich will auch nichts Besonderes mehr sein. Wenn ich den Anspruch an mich selber habe oder mir einrede, dass ich was Besonderes bin, muss ich mich auch besonders verhalten. Besonders gut sein, besonders großmütig sein, besonders lieb sein, besonders leistungsfähig sein, besonders erfolgreich sein, besonders klug sein, besonders verständnisvoll sein, besonders mitfühlend sein, besonders stark sein, besonders widerstandsfähig sein, besonders versöhnlich sein...... eine unendliche Liste von MUSS. Diese Besonderheit macht aber nichts anderes als mich zu erdrücken und meinen Blick zu trüben. Denn diese Besonderheit verlange ich dann instinktiv auch von anderen Menschen. Diesen bleiernen Mantel hab ich ausgezogen und so lebt es sich für mich viel viel leichter. Es lebt sich nicht nur leichter - ICH LEBE endlich
Das Drama ist, dass das jeder nur ganz allein für sich schaffen kann. Niemand anderes kann das für einen erledigen. Aber, es geht tatsächlich! Das Schöne am Drama ist, dass wir alle mit dem Fluch fertig werden müssen, Mensch zu sein - aber Mensch sein kann auch ein Segen sein. Das Internet ist manchmal auch ein Fluch - aber es ist auch ein Segen, denn wo sonst trifft man so viele verschiedene Menschen auf einmal an, die reden - wirklich reden!
Ganz liebe Grüße
Truth