Das amerikanische System des liberalen Wirtschaftskapitalismus ist das erfolgreichste System der Welt. Amerikaner besitzen pro Kopf das dritthöchste Vermögen auf der Welt. Sonderfälle wie die Schweiz nicht mitgerechnet das höchste.
Auch das Median-Vermögen (als das arithmetisches Mittel) liegt hoch und übrigens noch vor Deutschland.
Die Spannungen in den USA sind groß aber dennoch ist das Land eine Erfolgsgeschichte. Kein Land ist so zusammengewürfelt aus verschiedenen Einwanderern und Kulturen. Bemerkenswert wie es die USA schaffen diesen Multi-Kuli Haufen unter ihrer Flagge zu vereinen.
Es ist aber logisch, dass in Krisenzeiten die Unterschiede (wie eben auch die Hautfarben) wieder Konflikte schüren. In Deutschland erleben wir ja auch schon den Beginn einer Neiddebatte. Und in den USA wird manch einer Bürger auch nicht nur wegen der Polizeigewalt sondern auch wegen seiner persönlichen Lage demonstrieren.
Das US System ist so gestaltet, dass Menschen in guten Zeiten sehr viel erreichen können, aber in schlechten Zeiten umso tiefer fallen. Aus unserer Sicht ist das System brutal, aber es ist eben auch sehr erfolgreich.
Vermögen ist da aber vielleicht auch nicht der korrekte Maßstab. Da schlagen die Ausreißer durch Wohlhabende noch stärker ins Gewicht als beim Einkommen. Zumal dort auch Immobilien mit hineinfließen. Da wiegen ein paar Wohlhabende, welche an Vielzahl an Immobilien besitzen schnell mal ein ganzen Viertel von Menschen unterhalb der Armutsgrenze auf, auf die Statistik bezogen. Auf Platz 2 dieser Statistik befindet sich übringen Hongkong und was dort gerade passiert, ist ja genauso wenig als Erfolg zu bezeichnen wie in den USA.
Damit die USA als Erfolg bezeichnet werden kann, ist noch sehr viel Luft nach oben. Nicht falsch verstehen, ich habe per se nichts gegen die USA und habe bei vielen Dingen eine sehr hohe Meinung, ich mag die Hands-On-Mentalität, die Kultur, die Vielfalt, das Kunstschaffende, die Natur, den Optimismus, die Freundlichkeit, dieses Bigger-than-Life-Denken, das Selbstbewusstsein. Dennoch gibt es gewisse Dinge, die ich sehr kritisch sehe:
- Das Wahlsystem:
De facto gibt es mehr als die zwei großen Parteien, dennoch finden die anderen Parteien im öffentlichen Diskurs so wenig statt, dass viele Leute nur die beiden großen Parteien kennen. Viele Bürger fühlen sich dadurch nicht vertreten. Schon bei Clinton gegen Trump gab es viele Menschen, die keinen der beiden wollten. Bei Biden gegen Trump nun das Gleiche. Auch wenn Trump eine maximale Fehlbesetzung ist, ist Biden bei weitem kein Heilsbringer und definitiv auch kritisch zu sehen. Zudem dieses veraltete Wahlmannsystem, Trump hatte Netto weniger Stimmen als Clinton und gewann aufgrund des uralten Systems mit den Wahlmännern. Für die größte Demokratie der Welt halt ich diesen starken Fokus auf die beiden großen Parteien sowie das Stimmabgabesystem schon etwas bedenklich, gerade wenn die USA die Vorreiterrolle für das System der Demokratie einnehmen soll auf der Welt. Zudem die Tatsache, dass die Parteien privat finanziert sind. Dadurch sammelt man Wahlkampfgelder von Lobbyismusgruppen, im Gegenzug vertritt man deren Interessen sobald man gewählt wird. Eine "gekaufte Demokratie" quasi. Die Lobbygruppe, die hierbei am aktivsten war und ist, ist übrigens die NRA, die Waffenlobby. Immer wieder hörte man nach Waffengewalt den Diskurs über die Waffengesetze, es führte zu nichts nennenswertem. Wenig verwunderlich, wenn man den Einfluss der NRA auf die Politik bedenkt.
- Rassismus:
Aufgrund der Sklaverei ist die historische Vorbelastung nicht von der Hand zu weisen. Auch nach Abschaffung der Sklaverei gab es de facto noch große Unterschiede. Unruhen wie aktuell gab es bereits 1965, Anfang der 90er, auch nach Polizeigewalt. Martin Luther King, Malcolm X, ausgrenzende Stadtplanung, Aufgeben von ganzen Siedlungen, Drogenpolitik zum Nachteil der Afroamerikaner, Gesundheitspolitik zum Nachteil der Afroamerikaner, ausgrenzendes Bildungssystem. Dann Trump als Präsident. Das Gerede von Mexiko und der Mauer. Verharmlosung von rechten Gruppen durch Trump.
- Gesundheitssystem:
Teure Behandlungen, schlechte gesetzliche Versorgung, große Unterschiede für Arm und Reich. Einsatz von Opiaten wie Percocet, Oxycodon, Xanax, quasi mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Aufgrund von Pharmainteressen werden solche starken Mittel viel zu inflationär verschrieben. Viele Bürger rutschen dadurch in eine Drogenabhängigkeit, es wird sogar als "opiod epidemic" bezeichnet. Die Zahlen steigen sogar rasant an in den letzten Jahren. In den USA ist der Anteil der Verschreibung solcher Medikamente 40% höher als in jedem anderen Industrieland.
- Armut:
Jeder der mal in Großstädten der USA war, dem werden die riesigen Zeltsiedlungen in gewissen Vierteln auffallen. Tausende Leute, die auf dem Gehweg Zelt an Zelt leben. Man kann minutenlang durch LA oder Miami mit dem Auto fahren und die Straßenränder sind gesäumt von Obdachlosen, die in Zelten hausen. Sowas sieht man in der Menge in keinem vergleichbar entwickelten Land.
All diese Punkte führen zu einer riesigen Unzufriedenheit vieler vieler Menschen, einem gewissen Ohnmachtsgefühl, einer Ablehnung des Systems (wofür Trump nochmal ein extremer Katalysator war) und diese Wut entlädt sich nun. Die Riots haben natürlich große Schattenseiten, Menschen werden verletzt, Geschäfte und Eigentum zerstört, Infrastrukturen lahmgelegt. Dennoch sollte man bedenken, dass all das irgendwo her kommt. Ich weiß auch nicht, wie sich das alles lösen soll. Zum Glück sind die Wahlen in absehbarer Zeit, auch wenn man von Biden wohl nicht viel erwarten darf leider.