Dein Chef hat Recht – und Du hast auch Recht.
Ihr redet aneinander vorbei, daher versteht Ihr Euch nicht.
Als Agenturchef spielt er mit Datensätzen. Er liebt das Auseinaderklamüsern verschiedener Optionen, um den Kunden passend zu deren Situation Verträge anzubieten. Dazu braucht er Menschenkenntnis, Fachwissen, muss argumentieren und schlagfertig sein Er ist in gewisser Weise Erfinder.
Für das backoffice hat er Dich eingestellt. Du bist so etwas wie die Handwerkerin, die seine gedanklichen Entwürfe dokumentiert, ausdruckt, frankiert, versendet, berechnet, anmahnt.
In seinen Augen ist das backoffice lediglich ein notwendiges Übel, weil mit dem Abschluss des Vertrags die Provision verdient ist.
Er ist also bereits „fertig“, während Du hinterher hinkst, ehe die Routine erledigt ist.
Er verdient das Geld in einer halben Stunde, Du produzierst nur Staub, volle Papierkörbe und Kosten und brauchst dafür auch noch länger als er.
In Deinen Augen fängt mit dem Abschluss des Vertrags die Arbeit aber erst an. Die Vorgänge müssen der Reihe nach abgearbeitet werden, denn wenn Du nicht funktionierst und das Angebot zur Unterschrift absendest, widerruft der Kunde, und das Geschäft platzt.
Die Blumen, die immer gleich aussehen, sehen nur so aus, weil sie gegossen werden und Briefmarken gibt es nur, weil Du sie holst. Kaffee für die gute Laune gibt es auch nur, wenn Du ihn aufsetzt und irgendjemand muss die Tassen spülen.
Dass man sich nicht „weiter entwickeln kann“, wenn man Tassen spült, ist ihm klar.
Dir ist aber auch klar, dass er sich ohne backoffice nicht weiter entwickeln kann.
Leider ist es zT so, dass Selbständige selbstständig sind, weil sie sich ungerne etwas sagen lassen wollen. Mit der Zeit entwickelt sich ein Mangel an Selbstrefexionsvermögen: es läuft nur deshalb, weil man immer alles richtig gemacht hat.
Wer dies in Frage stellt, hat logischerweise Unrecht.
Das einzige was Du machen könntest um Dich durchzusetzen wäre, ihm noch einmal zu erklären, dass Du Deine Prioritäten – und damit Dein Leistungspotential – im handwerklichen Bereich siehst und Dich so einschätzt, dass Du im kreativen Bereich eher nicht zuhause bist.
Alternativ stellst Du Dich neuen Anforderungen. Die hat zur Folge, dass Du lernen musst zu lernen, was sich später zu einem Selbstläufer entwickelt. Je komplexer die Sachverhalte werden, die man beherrscht, desto leichter fällt die Bewältigung von Standart-Aufgaben.
Damit meine ich: wer zweistellige Zahlen im Kopf multiplizieren kann, der kann mit Leichtigkeit die Summe einen Kassenzettels addieren.
Die Sache birgt allerdings auch eine Gefahr in sich.
Würdest Du das neue Tätigkeitsfeld und seine Anforderungen für dich entdecken, wenn Du erst mal damit angefangen hast, so könnte es sein, dass Du Dich künftig beim Ausdrucken von Briefen, die sich nur im Adressaten unterscheiden, erheblich langweilst.
Und dann passiert Dir das, was dem Chef aktuell passiert: Ihr beide verdient das Geld – und braucht eine neue Bürokraft für das BackOffice.