Hallo Zusammen!
Auch ich bin eine verlassende Tochter.
Vor ca. zwei Wochen habe ich einen Bericht über das Thema gesehen, der mich wiedermal dazu gebracht hat, über meine eigene Situation nachzudenken.
Zuerst fällt mir auf, dass es im Internet weitaus häufiger Foren gibt, die "verlassene" Eltern betreiben. Dort schlägt einem zum Teil sehr viel Unverständnis und auch Hass auf die eigenen Kinder entgegen. Da frage ich mich, ob diese Eltern überhaupt ein Interesse an einem Gespräch und/oder Versöhnung haben oder nur eine Plattform suchen, um sich selber öffentlich zu bemitleiden und bemitleiden zu lassen.
Auch hier fällt auf, dass vielfach die Schuld bei den Kindern oder Schwiegerkindern gesucht wird und gar nicht bei sich selber. Dabei sind doch beide Seiten Schuld?!
Aber nun zu meiner Geschichte: Wie die anderer hier, ist diese etwas länger und ich weiss, dass auch ich meinen Teil zu dieser ganzen Situation beigetragen habe.
Ich bin 42 Jahre und in der Ex- DDR aufgewachsen.
Ob ich ein Wunschkind war, weiss ich nicht. Wohl eher nicht, da ich zu einem Zeitpunkt geboren wurde, als meine Mutter mitten in einer Ausbildung war. Ich wurde dann von den Eltern Väterlicherseits ganz sicher bis zu meinem 3. Lebensjahr betreut und aufgezogen, dann war anscheinend auch die Ehe meiner Mutter kaputt.
Als ich 4 war, heiratete sie neu und ich bekam ein Jahr später einen Bruder. Dieser neue Mann sollte in meinem Leben eine grosse Rolle spielen.
Auch diese Ehe scheiterte, aber sie liess sich nicht scheiden. Ertrug den Alkoholismus und die Schläge. Ab einem gewissen Alter bekam auch ich dann Schläge.
Erinnerungen an meine Kindheit habe ich nur negative.
Durfte nach der Schule nicht raus, durfte niemand mit heim bringen. Einmal, als ich es gewagt hatte, am Nachmittag weg zugehen, stand mein Stiefvater mit dem Messer in der Hand hinter der Tür und hat auf mich gewartet.
Es gab Abende, da konnten wir als Kinder nicht auf`s WC, weil er besoffen darauf eingeschlafen war oder er war wieder so aggressiv und hat nur einen Grund gesucht zum schlagen und Zeug in die Gegend zu schmeissen.
Irgendwann fing er an, mich anzufassen. Ich war ca. 13 oder 14 Jahre alt. Wir schliefen alle im selben Zimmer. Es ist glücklicher Weise NIE zum GV gekommen, aber betatscht hat er mich über Jahre und ich konnte mich nicht wehren. Im Gegenteil ich hatte immer im Kopf, was meine Urgrossmutter manchmal sagte, wenn ich als Kind im Bikini im Garten lief. " Mädchen, zieh Dir etwas an, der Mensch hat böse Augen" Aber als 12 jährige? Was weiss man da schon von solchen Sachen?
Meine Mutter wusste von der ganzen Sache. Sie hat immer behauptet, sie könne nichts machen. Sie wäre auf der Polizei gewesen. Die hätten ihr gesagt, es muss erst etwas passieren!!! Ich weiss nicht, ob das zu dieser Zeit so war. Aber ich hätte Verwandte in der Gegend gehabt und wäre mit Freuden dort unter gekrochen. So musste ich das ganze ertragen.
Eines Abends eskalierte die Situation, er schlug sie und da habe ich (inzwischen 16) bei Nachbarn die Polizei gerufen. Die kam und hat mit ihm nichts gemacht, nur uns ins Spital gefahren. Darauf hin hat mich dieser Mensch rausgeschmissen, weil ich die Polizei hineingelassen habe (ich bin überzeugt davon, dass, wenn er gewusst hätte, dass ich sie geholt habe, er mich umgebracht hätte). Meine Mutter hat er dann nochmals halb tot geschlagen. Das war aber die Möglichkeit für sie dort endlich auszuziehen.
Ich bin dann in die Lehre gegangen und war dadurch so wieso zu Hause weg. Habe meinen späteren Mann kennen gelernt. Dieser war für sie nicht der richtige Schwiegersohn. Einfach nicht intelligent genug. Meine Schwiegermutter ist nach ihren Worten auch eine primitive Frau.
In meinem Leben lief ansonsten alles glatt. Ich hatte in der Schule nie Schwierigkeiten und auch sonst. Sah bei meinem Bruder anders aus.
In der Zwischenzeit hatte ich Familie gegründet und bin mit meinem Mann in sein Heimatland gezogen, ca. 800km von zu Hause weg. Da bekam ich dann zu hören, dass ich ihr die Enkel entziehe.
Wir hatten telefonisch Kontakt, ziemlich regelmässig so einmal die Woche . In der Zwischenzeit bekam ich mein drittes Kind. Wir sind alle zwei Jahre „nach Hause“ gefahren. Ist eine ganz schön lange Fahrt mit drei Kindern, aber wir haben das gemacht. Sie hat es nicht geschafft, mit meinen Kindern etwas zu unternehmen. Immer waren die Kinder meines Bruders wichtiger. Da konnte man frei machen, mit denen ist man die Ferien gefahren.
Sie hatte inzwischen einen neuen Partner, mit dem verstehe ich mich recht gut. Für sie war der Weg hierher zu weit und die Besuche wurden immer seltener.
Die Telefonate blieben, wenn ich aber nicht zu der von ihr bestimmten Zeit anrief, wurde sie verrückt und hat nicht mehr mit mir gesprochen. Wenn ich dann wieder anrief hiess es: ach meldest Dich mal wieder, ich habe gedacht, Du hast mich vergessen. Aber in was für einem zynischen Ton.
Irgendwann eskalierte die Situation nach gegenseitigen Vorwürfen und ich rief nicht mehr an. Ich hatte keine Lust mir ständig anzuhören, was für eine schlechte Tochter ich bin, wie ich meinen Bruder verzogen!!!! habe. Ich bin an seinem Unglück Schuld, ich hätte ihn ja schliesslich erzogen. Immer wenn ich ihr etwas positives zu berichten hatte, hiess es : ja aber dein Bruder ist gerade arbeitslos, hat seine Freundin verloren, kämpft um seine Kinder, bla, blabla. Ich habe meinen Bruder gern und ihm mache ich auch keine Vorwürfe.
Nach diesem Streit habe ich am nächsten Tag ihren Partner angerufen und mit ihm über die ganze Sache geredet. Er hat sein eigene Geschichte, aber er hat mir zugehört und mich vor allem verstanden! Ein viertel Jahr später habe ich mich hingesetzt und meine Gedanke und Gefühle zu der ganzen Sache aufgeschrieben. Ich war bereit einen Schritt auf sie zu zugehen. In meiner ganzen Aufregung habe ich den Brief an sie ohne Anrede geschickt. Mir war das vollkommen entgangen. Postwendend kam eine Mail zurück, in der das bemängelt wurde und wieder gab es Vorwürfe. Wie undankbar ich doch sei und ich hätte doch immer schon profitiert von allem. Das war dann der Satz, der das ganze Fass zum überlaufen brachte. Ich habe noch einmal geantwortet und sie gefragt, ob ich davon profitiert hätte, als ich über Jahre zuschauen musste, wie sie und ich verdroschen wurden, ob ich profitiert hätte, als er mich betatscht hat? Das hat mich über Jahre in meiner Ehe begleitet!
Und ich habe ihr geschrieben, dass ich mich nicht mehr für ihr verpfuschtes Leben verantwortlich machen lasse und sie gebeten, den Kontakt zu unterlassen. Das war vor 5 Jahren. Seit dem geht es mir besser.
Das ist meine Geschichte. Es tut mir leid, dass es so lang geworden ist. Aber Danke, dass Ihr bis hierher gelesen habt.
Schönen Tag