Liebe Gomera!
Habe gerade alle Beiträge zu deiner Vorstellung gelesen. Deine Probleme sind mir zum Teil nicht unbekannt. Meiner Meinung nach gibt dir Micky übrigens ausserordentlich gute Antworten, kann ich alles voll unterstreichen! Deshalb gleich mal
@ Micky, hey, super! Die beiden Schockbeispiele für die "lieben" Eltern - dem Vater und Exprügler Prügel androhen, der destruktiven Mutter ebenfalls direkt den Tod wünschen - da blieb mir die Luft weg beim lesen - KLASSE! Werde sofort mir sofort eine Gelegenheit suchen, sowas anzuwenden!
@ gomera
sorry, das musste mal kurz sein.
Ich schreib jetzt mal, was mir so herausgestochen ist beim Lesen. Muss mir ja auch erst ein Bild machen, und dir nützts wahrscheinlich, wenn ich das gleich aufschreibe. Erstens die Symptome: Agoraphobie, Angststörung, Coabhängigkeit (mit der Beziehungsstörung kann ich (noch) nichts anfangen). Für mich haben die alle einen oder zwei gemeinsame Nenner. Erstens: Abhängigkeit,
und zwar nicht nur vom Mann, auch, was dann aus deinem Text herausgeht, von den Eltern. "Nicht mal meine Eltern wussten, dass es mir so schlecht geht!" schreibst du zu Beginn, obwohl du viele Male versicherst, dass dir alles zu deinen Problemen längst übersatt bekannt ist. Damit erhebst du deine Eltern zu einer inneren Kontrollinstanz, quasi zu deinen engsten Lebensberatern. Ist das nicht eine etwas riskante Besetzung für diese Stelle? Angesichts der heutigen Arbeitslosenzahlen gäbe es doch in der freien Auswahl bestimmt geeignetere "Geschäftsführer"..
Zweitens: Angst vor der Welt (Agoraphobie), Angst vor Autonomie (Coabhängigkeit).
Zur Angst, bloss mal sone Gedankenkette: Je mehr du es schaffst, allen alles recht zu machen, je mehr du dein Leben anderen VERschenkst, um nicht aus dem schützenden warmen sozialen Nest ausgestossen zu werden, umso mehr solltest du eigentlich von den anderen akzeptiert werden und Schutz erfahren, zum Beispiel eine Lebensanstellung als nicht erwachsen werden müssende Tochter in der Familie erhalten oder als Lolita oder Mädchenbraut in deinem Mann den väterlichen Schutzinstinkt (und natürlich die breite muskulöse Brust und Anlehnschulter und sonstigen beeindruckenden Körperteile) erwecken. Nur, wenn in deinem Fall, das Nest nicht warm und kuschlig sondern AUCH eklig und lebensverneinend ist, dann bekommst du das Problem, noch mehr allen gerecht werden zu müssen, die anderen mit deiner Aufopferung dermassen zu belegen, dass sie doch endlich erkennen müssen, dass du unter ihre Fittiche gehörst, respektive, damit sie endlich stolz auf dich sind und dir damit zu deiner Selbstbestätigung verhelfen, mit der du dich überhaupt erst in die Welt hinausgetrauen kannst. Das was du so dringend brauchst, suchst du mit einer Hartnäckigkeit dort, wo du es ganz bestimmt nicht bekommst (siehe all die Beweise, die du für deren Feindseligkeiten auflistet), diese Hartnäckigkeit lässt sich eigentlich nur als Sucht bezeichnen, eben als Abhängigkeit.
Du schreibst, du wissest alles über Coabhängigkeit, und klagst, dass dein Mann erst etwas gegen seine Alkoholabhängigkeit unternommen hat, nachdem du ihm ernsthaft damit drohen musstest, ihn zu verlassen, folgen drei Ausrufezeichen. Soviel ich weiss, und ich weiss nur so grundlagenmässig drüber Bescheid - ist die einzig mir bekannte Methode aus der Coalkoholabhängigkeit zu kommen die, mit dem Verlassen zu drohen, bzw. nicht eigentlich zu drohen, sondern es auch wirklich zu beabsichtigen, wenn das nicht aufhört.
Das ist auch etwas, was mir auffällt: du beschreibst verschiedene Lösungsschritte, die du bereits unternommen hast, aber du beschreibst sie in einer empörten Art, so als sei es eigentlich eine Zumutung, dass du so etwas autonomes wie Lösungsschritte überhaupt unternehmen hast müssen, bis sich was geändert hat. Diese Empörung ordne ich wieder unter der Angst vor der Welt ein, unter der abhängigen Anklammerung an die Eltern, unter die kindlichen Verhaltensweisen. Das Kind darf empört sein, wenn ihm autonome Schritte wie Eigenverantwortung und konsequentes Verhalten abverlangt werden, da es doch nicht selbst, sondern seine Eltern sind, die für seine (hier immer: psychische) Rundumversorgung verantwortlich sind.
Zu den Problemen mit deinem Mann (ich springe hier etwas in den Problemen herum ..): Du schreibst, dass deine Probleme erst richtig anfingen, als du deinen Mann dazu gebracht hast (aufschlussreiche Formulierung! Die Initiative zu Lösungsschritten ist etwas, das immer von aussen kommt?), mit dem Saufen aufzuhören. Das ist ja einerseits auch wieder ein bekanntes Phänomen (entschuldige, du beschreibst dich als sehr bewandert in diesen ganzen Krankheitsbildern, da steck ich natürlich meinen Finger gern lustvoll in die wunden Widersprüche...), dass der Alkohoabhängige für den Coalkoholabhängigen eine bestimmte seelische Funktion hat, eben zum Beispiel, dass da immer ein zu bemutterndes, UNAUTONOMES Wesen ist, an dem Kontrollbedürfnisse ausgelebt werden können. Jetzt hat er also aufgehört, und, wie du es offenbar interpretierst, DIR zuliebe (er hätte ja auch einfach SICH zuliebe abstinent werden können). Naja, also mich würde das sexuell nicht sehr antörnen, dass jemand MIR zuliebe sein Leben ändert. Da müsste ich ja auf jeden meiner Schritte achten, wenn mich jemand mit so grossen Augen dankbar ansieht, weil ich ihm sein Leben gerettet habe, das ist doch auch wieder eine Abhängigkeitsbeziehung, nichts mit zwei Erwachsenen, die sich gegenüberstehen. Also bei mir funkts erst bei solchen, die echt was drauf haben auf ihrer Autonomie, nicht bei solchen, die mir am Rockzipfel hängen. Von dem her wundert es mich nicht, dass du von fehlender Erotik und fehlendem Sex sprichst.
Ich frage mich, ob diese Konstellation überhaupt zu retten ist, ob sie überhaupt gerettet werden soll oder ob sie nicht eigentlich herausschreit: Sie hat ihn errettet, mehr als auf die Knie vor sie hinfallen kann er nicht, die Sache ist zum Happy End gekommen, der Patient ist geheilt: JETZT GEH, HEILERIN, HILF WOANDERS! Du klagst ja, du dürfest nicht mehr helfen. Das ist ja schon irgendwie das Problem bei Abhängigkeits-Beziehungen, die längere Zeit mit der Konstellation Patient-Krankenschwester funktioniert haben: für die Autonom-Autonom-Beziehung ist da irgendwie die Luft draussen, zumindest eine vorübergehende Trennung, ungestört mal die gewonnene Autonomie ausprobieren dürfen, wär ja nicht schlecht.
Du bezweifelst, ob du die Geduld aufbringst, dich auch dann geliebt zu fühlen, wenn du emotional nicht versorgt wirst. Na - MIT RECHT! Was willst du denn lieben - einen Mann, oder deine theoretische Vorstellung von dem, was die Beziehung mit einem Mann sein sollte? Wenn Schicht ist, ist Schicht, da gibts nichts mehr abzuwarten. Frage: warum WILLST du dir das vorstellen?
Micky hat schon vieles aufgezeigt, wie Schritte aussehen, um sich abzulösen.
Meines Erachtens stehen bei dir zwei Ablösungen an: Die von deinen Eltern und die von deinem Mann. Viele Erwartungen, die du als nicht erfüllt vorfindest, sind eigentlich grundsätzliche Erwartungen an eine funktionierende Beziehung. Es sind Erwartungen, nach denen man sich Partner und Freunde aussucht: Dass du gewertschätzt wirst, dass du geachtet wirst, dass du begehrt wirst, dass du aufgesucht wirst, dass du gefragt bist, dass du gelobt wirst, dass du geliebt wirst, dass das Geben und Nehmen fliesst und du nicht für jeden Brosamen schweisstreibend in die Pedalen treten musst. Und verglichen mit dem, was du schilderst, würde ich logisch folgern: Nix erfüllt! Woanders weiter suchen!
Du führst verschiedene Gründe an, weshalb das Weitersuchen nicht so richtig attraktiv erscheint. Du hattest schon mehrere Partner und genügend schlechte Erfahrungen, es reicht langsam. Du und dein Mann haben bewiesen, dass sie sich entwickeln können, weshalb jetzt was neues suchen, wenn sich am alten noch was rumwerkeln lässt (Sparmentalität).
Ich bin deshalb nicht so überzeugt wie du, dass du so sehr Hilfe suchst, wie du danach rufst. Du willst unbedingt und sofort Hilfe - aber bitte von aussen, bitte, es soll und kann doch nicht erwartet werden, dass du von dir selbst heraus - also nein! ZUMUTUNG! Dann drohst du auch noch, weil dir nicht genügend Hilfe serviert wirst: "Dann muss ich mir wohl was anderes suchen..." Und das in einem Hilfeforum! **vorangsterzitter**: du wirst uns doch nicht für hilfsunfähig erklären, biiiitte, biiiitte niiicht **ziepende Stimme vorjaul**
Du hast so viel gelesen, soviel Therapie hinter dir, und vor dir liegt, wie du beschreibst: Die grosse Leere. Ich möchte hinzufügen: die grosse leere UNBEKANNTE WEITE WELT. Das Abenteuer! Das LEBEN! Tschüss, Mama, Papa, Tschüss, Ersatzpapi, ich flatter euch jetzt eins! tschüss mir auf dem Kopf herum tanzendes Töchterlein, kriegst ne Fussmatte als Ersatz für meinen Kopf zu Weihnachten!
Vor dir steht ein grosses Fragezeichen. Du fragst hier, was du denn jetzt tun sollst? Wem gilt denn das Fragezeichen?
Es gibt die Kafka-Episode, was der Romanfigur, ich glaub im "Prozess", beim Aufsuchen einer leeren Kirche der Pfarrer erzählt. Da kommt einer an die Himmelstür, die ist abgeschlossen, davor der Wächter Petrus mit dem Schlüssel. Der Namenlose setzt sich vor die Tür und wartet, bis es aufgeht - aber jahrelang passiert nichts. Schliesslich entschliesst er sich, den Wächter mal zu fragen, wann denn auf ist. Der Wächter sagt ihm: Ich hab die ganze Zeit darauf gewartet, dass du das fragst, der Schlüssel ist nur für dich!
Klar, ich verstehe, dass du dich fragst, wie kommst du aus DEINER Abhängigkeit heraus, das steht ja noch in keinem Buch. Das ist aber ein Lernprozess, du bist bereits dran, das zu lernen, lass dir gleich gesagt sein, der Lernprozess hört nie auf. Ich finde es überhaupt einen der schönsten Lernprozesse, die das Leben zu bieten hat, und beneide dich auch für gewisse Dinge, beispielsweise möchte ich mich gern noch mal aus so einer Abhängigkeit von den Eltern lösen, wie du noch drin steckst. Blick mal zurück in deinem Leben, biografisch gesehen, gabs da irgendwann mal Leerstellen und Lücken? Nö, oder? Das Leben hat keine Lücken. Wie wahrscheinlich ist es, dass du, wenn du dich ablöst, auf eine Leerstelle im Universum triffst und hineinfällst?
susan