Lieber Suavi,
ich stelle mir vor, dass Du zufrieden - vielleicht sogar glücklich bist - wenn Du eine mathematische Aufgabe löst. Und diese Zufriedenheit steigt mit dem Schwierigkeitsgrad einer mathematisch richtig gelösten Aufgabe.
Ja, aus dem selben oder ähnlichen Gründen, weshalb es uns glücklich macht, wenn wir es schaffen, eine gewisse Strecke zu laufen, Chips essen, die "crunchen" oder es dich möglicherweise glücklich macht, wenn du einen Text verfasst hast, mit dem du sehr zufrieden bist - Dopamin u.ä. wird freigesetzt und aktiviert das Belohnungszentrum.
So ähnlich ist es auch, was unsere sozialen Beziehungen und unsere Beziehung zu uns selbst betrifft. Immer gilt es, die richtigen Zusammenhänge herzustellen.
Hier kann ich nicht folgen. Es wirkt, als betrachtest du soziale Bindungen, zu uns selbst oder anderen, als eine Art Puzzle, das es gilt richtig zusammenzusetzen, ggf. Teile, die nicht ins Gesamtbild passen, auszutauschen und nach dessen "Fertigstellung" der Mensch glücklich ist.
Grundsätzlich möchte ich zum Thema 'Glück' als Lebensziel etwas loswerden: Glück, das ist für mich ein flüchtiger Augenblick und das muss er auch sein. Die Kurzlebigkeit ist dem Glück immanent. Dauerhaftes Glück ist ein Oxymoron. Alles, was wir anstreben können, ist Zufriedenheit, aber auch das erweist sich als schwierig. Der Mensch ist zwar in der Lage ein Kontinuitätsgefühl zu empfinden und somit eine Historie zu imaginieren, aber sie ist weder objektiv, noch vollständig und vorallem emotional nicht fassbar. Jede Gesamtbeurteilung unseres Lebens in Bezug auf Zufriedenheit ist heuristischer Natur. Wir leben von Augenblick zu Augenblick. Die Tatsache, dass wir diese Augenblicke erinnern und aneinanderreihen können, ändert nichts daran, dass, wenn wir uns fragen, ob wir grundsätzlich zufrieden mit unserem Leben sind, wir uns nur eine - emotional fassbare - Antwort darauf geben können, ob wir es in diesem Augenblick sind. Deshalb stelle ich mir diese Frage auch nie.
Die Frage, ob ich ein gutes Leben führe oder geführt habe erscheint mir sinnlos. Gut nach welchem Maßstab, wenn ich schon nicht sagen kann, ob ich zufrieden war? Ich habe gelebt. Das reicht.
Nihilismus in der Mathematik würde bedeuten, dass es keine Bedeutung, keinen Sinn gibt. Wozu also dann mathematische Aufgaben lösen? Wenn Du aber in der Mathematik den Nihilismus weglässt, warum sympathisierst Du ihn dann im Leben - ausserhalb der Mathematik - mit diesem?
Menschen sind zur Ambivalenz fähig. Ich kann etwas rational verstehen und es gleichzeitig emotional anders empfinden. Für mich macht es einfach Sinn, dass es keine Bedeutung gibt. Bedeutung ist eine rein menschliche Kategorie. Ich glaube nicht, dass sie außerhalb unserer Gedanken existiert. Wenn ich Dinge verstehen will, ist es oft hilfreich zu wissen, dass sie keine Bedeutung haben; sonst sucht man nach Mustern, wo womöglich gar keine sind. Die Frage nach einem Sinn verleitet zu der Annahme, es gäbe immer einen Planer, dessen Sinn sich in der Natur manifestiert. Evolution z.B. versteht sich nur, wenn man annimmt, es gäbe eben keinen solchen Planer. Um zu verstehen, wie etwas funktioniert, brauche ich ein letzte Antwort auf das Warum nicht.
Natürlich würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, dass nichts für mich Bedeutung hat. Ich bin ein Mensch. Ich lebe den Nihilismus nicht - ich glaube auch nicht, dass das überhaupt möglich ist - aber auf intellektueller Ebene empfinde ich ihn als richtig.
Ich denke, dass 100%ige Nihilisten auf ihre Art glücklich sein können, wie es auch Menschen sind, die sich z.B. nur durch das Erleben von Schmerzen glücklich fühlen können. Aber Sympathie für den Nihilismus scheint mir nicht ausreichend zu sein, um mit dem Nihilismus Glück zu finden. Gleichzeitig aber ist in meinen Augen "etwas" Nihilismus ein Hindernis, tiefes dauerhaftes Glück zu finden.
Da ich kein Nihilist bin - wie siehst und empfindest Du das?
Meine Gedanken dazu habe ich bereits weiter oben erörtert. Mein Leben muss keine Bedeutung haben, um gelebt zu werden, nicht einmal, um Zufriedenheit zu empfinden. Ein 100%iger Nihilismus würde die völlige Lossagung von Wert- und Moralvorstellungen bedeuten. Ich habe jedoch moralische Empfindungen. Jeder hat sie (von bestimmten psychopathischen Störungen mal ausgenommen). Ihnen zuwiderzuhandeln würde sich wahrscheinlich nicht gut anfühlen, selbst wenn ich weiß, dass ich ihnen nicht verpflichtet bin, da sie bedeutungslos sind.
Ich akzeptiere das.