Wie im anderen Faden angekündigt, hier nun mein etwas ausführlicher Bericht über meine heutige Therapiestunde.
Es ging zunächst natürlich wieder einmal um den mir bevorstehenden Prozess und meine Entscheidung vor Ort auszusagen oder nicht.
Im Gespräch kamen wir noch einmal darauf zu sprechen, warum ich annehme, dass man mir - sollte ich nicht persönlich aussagen - Feigheit unterstellen könnte, mich als schlechten oder unehrlichen Menschen sehen könnte. Dabei kam heraus, dass ich vor allem diejenige bin, die das von mir hält und meine Erwartung es ist - wie könnte es anders auch sein - dass andere Menschen das genauso sehen.
Soweit, sogut. Woher dieser schlechte Selbstwert kommt, ist mir inzwischen bewusst, er ist das Resultat einer schwierigen Mutter und im Verlauf meines Lebens lernte ich damit zu leben.
Dann kam der große Einschnitt 2018 und das wackelige Fundament auf dem ich meinen Selbstwert errichtete stürze ein. Dass dies aber so gravierend ist und bis in die kleinsten Dinge hineinreicht, war mir nicht bewusst.
Auch war mir bis heute nicht bewusst, was meinen Selbstwert eigentlich aus macht. Als meine Therapeutin mir diese Frage stellte, fiel mir nichts ein. Ich hatte nur Negatives in meinem Kopf (ich bin eklig, ich bin kein guter Umgang, etc...). Dann fragte mich meine Therapeutin, was meine Freundin wohl dazu sagen würde, wenn man sie fragte, warum sie so lange schon und auch immer noch meine beste Freundin ist? Es fiel mir dann relativ leicht, aufzuzählen, was mich wohl als Freundin für sie ausmacht. Komisch, oder?
Nein, ganz und gar nicht. Bisher ging ich aber immer von mir selbst aus, stellte mir selbst die Frage, was an mir von Wert ist und kam eben immer zu einem negativen Ergebnis. Womit ich dann auch wieder exakt bei den erst kürzlich negativen Bewertungsmustern bin, die ich nicht nur bei anderen annehme, sondern auch - und vor allem - bei mir.
Gut, ich sollte dann aufzählen, welche Werte sie an mir schätzt und als ich an dem Punkt Ehrlichkeit ankam, geriet ich ins Stocken und mir kamen sofort die Tränen in die Augen geschossen. Erklären konnte ich mir das nicht. Ich konnte diesen Punkt jedoch nicht aufzählen, obwohl ich tief in meinem Inneren weiß, dass er dazu gehört. Warum aber ist das so?
Weil gerade dieser Baustein durch das Erlebte massiv erschüttert wurde. Zum einen, weil ich durch meine Ehrlichkeit erst in die damalige Situation kam, Ehrlichkeit also immer auch eine Gefahr darstellt. Zum anderen, weil ich auch danach in zwischenmenschlichen Beziehungen selbst nicht immer so ehrlich sein konnte, wie man es von mir erwartete, wie ich es von mir erwartete.
Allerdings musste ich auch erst wieder begreifen, dass meine Definition von Ehrlichkeit nicht bedeutet, sich vor dem anderen völlig gläsern zu machen, dass auch in Punkto Ehrlichkeit Grenzen gezogen werden dürfen, man kein schlechter Mensch ist, wenn man nicht gänzlich alles von sich Preis gibt. Denn dies hatte ich zuletzt doch sehr angezweifelt, weil von mir gegensätzliches erwartet wurde - ich mich gläsern machen sollte, um den Erwartungen von Ehrlichkeit weniger Mitmenschen gerecht zu werden. Meine innere Überzeugung, dass ich im Grunde ein ehrlicher Mensch bin, wurde durch diese Ansprüche an mich massiv in Frage gestellt. In Frage gestellt, weil ich Dinge nicht erzählen wollte oder konnte.
Und weil meine Werte ihr stabiles Fundament verloren haben, war es ein leichtes Spiel, diese mit kleinster Kritik an mir einfach umzuwerfen, sodass auch ich am Ende diesen Wert, der doch zu mir gehört, selbst in Frage stellte. Dabei konnte ich mir zuletzt selbst nicht mehr in die Augen schauen, ohne mich abgrundtief schlecht zu fühlen.
Und so hatte ich bis heute grosse Angst, dass man mir vor Gericht nicht glauben könnte. Nicht zuletzt, weil ich mir selbst nicht mehr sicher war, was den Wert Ehrlichkeit ausmacht und ich Dinge ggf. nicht ausreichend detailliert beschreibe oder beschreiben kann.
Im Grunde muss ich diesem Wert und auch allen anderen Werten, die mich ausmachen - und die mich sehr wohl zu einem guten Menschen machen - wieder ein stabiles Fundament bauen, damit sie nicht wieder so schnell erschüttert werden können.
Das wird dauern. Aber wenn es mir nur schon gelingt, im Prozess bei meinen Werten zu bleiben, dann bin ich einen ganzen Schritt weiter.
Danke fürs Zuhören.