Es hieß, ich sei ein Wunschkind gewesen. Tatsächlich denke ich auch, dass es so war und ich insbesondere als Baby viel gehätschelt und geknuddelt wurde. Lt. Aussage meiner Mutter war ich "richtig niedlich", das sagt sie bis heute mit viel Wärme in der Stimme. Doch dann kam eine Zeit, in der wird man als Kleinkind unbequem. Und je nach Charakter sogar sehr unbequem - und ich war von jeher schon recht willensstark und stur. Damit konnte meine Mutter dann so gar nicht mehr umgehen, und ich bekam ganz schön "Senge" (witzig, diesen Begriff habe ich schon Jahrzehnte nicht mehr benutzt, erinnere mich aber noch, dass es bei meinen Eltern so hieß). Ich war auch recht jähzornig, und meine Mutter hatte Probleme, sich gegen mich durchzusetzen. Ihre Strategie lautete Druck, Verbote ohne Erklärungen und wenn es dann nicht fluppte, setzte es was - das war eine sehr ungute Kombination, damit erreichte sie mich überhaupt nicht und erst recht nicht ihr Ziel. Als dann mit 6 Jahren meine Schwester noch die Familie verstärkte wurde es ganz kritisch. Alle Aufmerksamkeit richtete sich plötzlich auf den Zwerg, und so wurde ich glaube ich noch etwas herausfordernder. Meinen Vater kenne ich eigentlich nur arbeitend, irgendwann fing meine Mutter auch an, denn das Reihenhäuschen wollte bezahlt werden. Also wurde der Stress noch größer: 2 Kinder, die sich nicht vertrugen, das bisschen Haushalt, knappe Finanzen, Stress durch Schule, die mir null Spaß machte und eben der Job von beiden (mein Vater Vollzeit, meine Mutter stundenweise). Auf der anderen Seite die Forderung, dass aus mir mal "mehr" oder "etwas Besseres" wird. Geliebt fühlte ich mich nicht, denn ich wurde nach meiner Erinnerung non-stop getadelt. "Streng dich an" ist der Antreiber, den ich bis heute nicht richtig abstreifen kann, und ich ärgere mich sehr darüber, denn eigentlich bin ich ja nur noch mir selber verpflichtet. Aber das ist wie ein Brandmal.
Wichtig war auch immer, was die Nachbarn dachten. Wenn ich das alles so reflektiere, fühlte ich mich glaube ich tatsächlich nie ausreichend und auch nicht geliebt - ich bin mir aber nicht sicher, ob es nicht doch so war, also ich nicht doch geliebt wurde.. irgendwie. Irgendetwas wurde allerdings an mir immer kritisiert. So kann man kein Bewusstsein für Zuneigung entwickeln. Wenn ich etwas gut machte, wurde ich nur gelobt, solange ich noch ganz klein war. Doch ich bin überzeugt, dass genau so Liebe gezeigt und wahrgenommen wird - durch positive Bestätigung und Verstärkung. Da das Verhältnis zu meiner Mutter nicht gut war, lehnte ich dann auch sehr früh schon Körperkontakt ab. Später hieß es dann, ich hätte ja nie in den Arm genommen werden wollen. Allerdings habe ich auch zwischen meinem Eltern nie liebevolle Berührungen wahrgenommen. In meinen Partnerschaften war ich dann aber schon wieder ein Kuschelmonster.
Anders als hier in einem Beitrag geäußert glaube ich allerdings ganz fest daran, dass man durchaus Liebe geben und zeigen kann, selbst wenn man sie selber nicht so bekommen/wahrgenommen hat. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich damit auseinandersetzt und versteht, was fehlende Zuneigung mit einem macht.
Bei unserer Tochter wollte ich es dann ganz bewusst anders machen als meine Mutter, zu der ich bis heute ein sehr angestrengtes Verhältnis habe. Lustigerweise habe ich noch gestern mit unserer fast 20jährigen Tochter im Bett gekuschelt und sie hat über ihr bisheriges Leben sinniert, auch wie sie ihre Erziehung empfunden hat. Mein Vorsatz, es ganz anders zu machen als meine Mutter, hat funktioniert. Wir haben ein sehr liebevolles Verhältnis; sie war jetzt gerade zu den Semesterferien aus den USA da und obwohl es ihr dort super gefällt wollte sie fast nicht mehr zurück. Hier wäre ihr zu Hause, das würde sie lieben.. uns würde sie lieben. Sie war wieder wie ein kleines Kind in meinen Armen und ich habe dieses warme Gefühl regelrecht inhaliert.
Wahrscheinlich hab ich auch Glück gehabt, dass sie von ihren Anlagen schon sehr positiv und lieb ist. Mir war aber immer wichtig, ihr meine Liebe durch Worte, Gesten und Taten zu zeigen. Ihr den Rücken zu stärken, wenn es mal nicht so lief, sie zu ermuntern, wenn ich spürte, dass sie eigentlich alleine zurecht kommt und nur einen kleinen Schubser braucht. Wir haben immer viel geredet, das Vertrauen ist ganz tief. Tatsächlich gab es bei uns nur sehr wenig Konfliktstoff. Natürlich haben wir uns auch mal gestritten, auch richtig heftig. Da war es mir aber immer wichtig, den Respekt zu wahren, ihr auf Augenhöhe zu begegnen; dennoch gab es auch Sanktionen und sie hat Zeter und Mordio geflucht. Ich merkte aber schon, dass diese Regeln ihr auch Orientierung und Sicherheit gegeben haben - und meistens haben wir später auch gesprochen, wenn sich die Gemüter ein bisschen abgekühlt hatten und sind wieder gut miteinander gewesen. Bei uns gilt übrigens auch die Regel, dass man nie im Zorn das Haus verlässt - sich grundsätzlich im Guten trennt. Das klappt bis heute.
Mir hat es glaube ich schon gefehlt, diese Liebe nicht zu spüren - umso wichtiger war mir, sie meinem Kind zukommen zu lassen. Vielleicht hört sich das jetzt alles ein bisschen zu sehr nach Bilderbuch an. Ganz so einfach war es auch nicht immer; ich habe mir allerdings auch viel Verständis erarbeitet, z. B. indem ich zur kindlichen Entwicklung gelesen, Vorträge gehört habe etc.. Und was andere dachten oder was ihre Kinder immer schon konnten, das war mir relativ Schnurze. Gemessen habe ich sie daran nie und Vergleiche abgelehnt.
Ermöglicht haben meine Eltern mir materiell übrigens auch vieles - nicht alles, weil sie das schlichtweg nicht konnten. Sie haben aber ihrerseits verzichtet, um mir/uns etwas zu ermöglichen. Ich empfinde das nicht als Elternpflicht, sondern tatsächlich auch ein Stückweit als Ausdruck von Zuneigung.