Taya
Mitglied
Hallo ihr da draußen!
Ich weiß nicht, ob mein Thema im richtigen Bereich ist, ich hoffe es einfach mal.
Vor nun über einer Woche (am 07. November, um genau zu sein), es war Freitagabend und ich habe außer Haus übernachtet, klingelte mich meine Mutter aus dem Schlaf und sagte: "Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Dein Bruder hat versucht, sich das Leben zu nehmen." Ich war schockiert, entsetzt... aber nicht vollkommen.
Ich muss vielleicht ein bisschen ausholen: Mein Bruder - nennen wir ihn mal Samuel - ist knapp 2 Jahre älter als ich, wird im Februar 18 und ist der wohl verschlossenste und intelligenteste Mensch, den ich kenne. Er war schon immer ein Einzelgänger und zurückgezogen, ich war die einzige, mit der er seine Gedanken geteilt hat, mit der er sich überhaupt unterhielt. Ich ließ ihn immer auf mich zukommen, denn an manchen Tagen wollte er mit niemandem reden, an anderen war er regelrecht "plauderfreudig". Dazu muss man sagen, dass Samuel keinerlei soziale Kontakte pflegte. Er war wohl der typische "Nerd", er war bloß am Computer, und damit meine ich ausschließlich. Er war nie draußen. Nie. Höchstens alle paar Monate mal zu einer LAN-Party. Er war einfach immer da.
Samuel geht gerade in die 12. Klasse, wird also demnächst sein Abitur machen, er ist unglaublich faul, macht nichts für die Schule, steht jedoch auf einem Schnitt von 1,5. Er hat so unglaublich philosphische und brillante Gedankengänge.
Seit ein paar Monaten zeigte Samuel jedoch plötzlich äußerst merkwürdige Anwandlungen. Es begann damit, dass er zu einer Schulveranstaltung ging, die er eigentlihc nicht besuchen wollte, und sich dort mit einem Mädchen unterhielt. Dann fragte er plötzlich zu Hause, ob wir nicht mal vegetarisch kochen könnten. - Er, der sich sonst eigentlich hauptsächlich von Fleisch ernährte, fing an, zu kochen! Das hatte er noch nie getan! Ein paar Monate später, im Oktober, bestellte er sich für über 30€ Blumenstauden und stellte sie sich in sein Zimmer. Auf meine Frage hin, warum sie dort stünden, antwortete Samuel: "Sie sind blau!". Samuel hasst Blumen!
Auch kam es auf einmal vor, dass er Nachmittags sagte: "Ich bin mal weg" und einfach verschwand und erst mitten in der Nacht (um 4 Uhr vielleicht) wieder auftauchte und nicht sagte, wo er hingegangen war. Auch das Mädchen - nennen wir sie Theresa - kam gelegentlich vorbei und blieb die ganze Nacht. Es schien alles besser zu werden.
Und dann kam der Anruf. Samuel hat giftige Wurzeln gegessen. Mom, die nur durch einen Zufall schon eher nach Hause gekommen war an dem Abend, fand ihn vor, sich übergebend mit Durchfall. Er war schon nicht mehr richtig ansprechbar, konnte nicht mehr gerade laufen... Sie rief sofort einen Notarzt und er kam auf die Intensivstation. Die Menge, die er gegessen hat, hätte ihn eigentlich umbringen müssen, Samuel wusste genau, wie viel er nehmen muss. Er sagt selbst, es ist ein Wunder, dass er noch lebt. Die Ärzte auch.
Natürlich ging ich sofort zu ihm am nächsten Tag. Auf sein Bitten hin fand ich auch die Nummer von Theresa heraus und teilte ihr die Nachricht mit. Sie verbrachte in den darauffolgenden Tagen mindestens so viel Zeit wie wir mit ihm.
Samuel blieb für 1,5 Tage auf der Intensivstation, dann wurde er auf die Kinderstation verlegt, da er ja erst im Februar 18 wird. Nach einem weiteren Tag hatte er ein Termin bei einer Psychologin. Er freute sich auf das Gespräch, er wollte so gerne mit jemandem reden; er hatte für sich selbst Depressionen diagnostiziert und wollte gerne die Ursache herausfinden. Das Gespräch war eine Katastrophe, die Frau war einfach inkompetent und wollte alles daran setzen, ihn für mindestens 3 Wochen in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie einzuweisen, da er eine Gefahr für sich selbst darstelle, und so weiter.
Er jedoch wollte nicht weggesperrt werden. Er bekam nach diesem Gespräch mit der Frau, die ihm auch noch das ZImmer in der Klinik gezeigt hatte, in der gehen sollte, hohes Fieber.
Nach zwei weiteren Tagen holten meine Eltern Samuel entgegen der Meinung aller Ärzte aus dem Krankenhaus nach Hause. Das war letzten Donnerstag. Seit diesem Montag geht er wieder in die Schule.
Die vergangenen Tage seit dem Suizidversuch waren für mich grausam. Die ersten Tage konnte ich nichts machen. Ich saß bloß da, habe ins Leere gestarrt, war im Krankenhaus, aber wusste nicht, ob Samuel mich überhaupt da haben will. Ich bin stundenlang draußen abends durchs Dunkel gelaufen, konnte an nichts denken, konnte nichts machen, wollte mit niemandem reden, wollte nichts denken. Es war schlimm, sehr schlimm.
Als mein Bruder nach Hause kam, kam er in mein Zimmer, sagte: "Guten Tag", wie er es immer macht, ich sagte: "Hallo!", wie ich es immer sage und plötzlich sagte er: "Darf ich dich mal umarmen?" Ich sagte: "Klar" und wir umarmten uns. Ich habe in meinem Leben meinen Bruder noch nie umarmt, seit ich mich erinnern kann. Er war immer sehr scheu im Körperkontakt, deshalb war das für mich so etwas besonderes und für mich auch eine kleine "Wiedergutmachung". Versteht ihr, was ich meine?
Seit diesem Tag geht es mir ein wenig besser, auch wenn ich ständigen Stimmungsschwankungen unterliege. Insgesamt bin ich so schwermütig. Ich kann nicht mehr so unbeschwert lachen wie vorher, ich bin die ganze Zeit betrübt. Ich fühle mich, als könnte ich nie wieder fröhlich sein, obwohl ich weiß, dass das Quatsch ist.
Letzten Donnerstag hatte ich auch ein Gespräch mit einer pensionierten Psychiaterin, aber das hat mir nichts gebracht, ich kam mit ihr nicht so ganz klar.
Ich weiß, man wird mir jetzt raten: "Mach dir keine Vorwürfe", "Du brauchst Zeit", das weiß ich alles.
Ich habe nur solche entsetzliche Angst. Dass die Beziehung zu meinem Bruder nie wieder so wird wie vorher. Dass er nicht aus den Depressionen heraus kommt. Und ja, ich habe verdammte Angst, dass ich abends nach Hause komme und er hat es wieder versucht. Ich habe solche Angst davor. Ich habe auch Angst, dass ich meinen Bruder dadurch verloren habe, unsere Beziehung verloren ist, mein großer Bruder...
Und JA! Ich mache mir Vorwürfe, auch wenn ich versuche, mich dagegen zu wehren. Ich habe so oft mit ihm über den Tod geredet. Wir haben über die Gründe diskutiert, warum es besser ist, tot zu sein als zu leben. Wir haben darüber geredet, mit welcher Methode man sich am besten umbringt, kamen zu keinem richtigen Schluss und nach etwa zwei Wochen kam er wieder auf mich zu und sagte: "Pflanzengifte! Das ist es! Da kommt man leicht ran und es ist hoch wirksam!". Und dann hat er sich diese Pflanzen bestellt, diese verdammten Pflanzen...
Es tut mir leid, dass es so lang geworden ist und dass meine Gedanken so durcheinander sind. Es tat aber schon ein Stück weit gut, alles so rauszulassen.
Vielen Dank fürs Lesen!
Ich weiß nicht, ob mein Thema im richtigen Bereich ist, ich hoffe es einfach mal.
Vor nun über einer Woche (am 07. November, um genau zu sein), es war Freitagabend und ich habe außer Haus übernachtet, klingelte mich meine Mutter aus dem Schlaf und sagte: "Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Dein Bruder hat versucht, sich das Leben zu nehmen." Ich war schockiert, entsetzt... aber nicht vollkommen.
Ich muss vielleicht ein bisschen ausholen: Mein Bruder - nennen wir ihn mal Samuel - ist knapp 2 Jahre älter als ich, wird im Februar 18 und ist der wohl verschlossenste und intelligenteste Mensch, den ich kenne. Er war schon immer ein Einzelgänger und zurückgezogen, ich war die einzige, mit der er seine Gedanken geteilt hat, mit der er sich überhaupt unterhielt. Ich ließ ihn immer auf mich zukommen, denn an manchen Tagen wollte er mit niemandem reden, an anderen war er regelrecht "plauderfreudig". Dazu muss man sagen, dass Samuel keinerlei soziale Kontakte pflegte. Er war wohl der typische "Nerd", er war bloß am Computer, und damit meine ich ausschließlich. Er war nie draußen. Nie. Höchstens alle paar Monate mal zu einer LAN-Party. Er war einfach immer da.
Samuel geht gerade in die 12. Klasse, wird also demnächst sein Abitur machen, er ist unglaublich faul, macht nichts für die Schule, steht jedoch auf einem Schnitt von 1,5. Er hat so unglaublich philosphische und brillante Gedankengänge.
Seit ein paar Monaten zeigte Samuel jedoch plötzlich äußerst merkwürdige Anwandlungen. Es begann damit, dass er zu einer Schulveranstaltung ging, die er eigentlihc nicht besuchen wollte, und sich dort mit einem Mädchen unterhielt. Dann fragte er plötzlich zu Hause, ob wir nicht mal vegetarisch kochen könnten. - Er, der sich sonst eigentlich hauptsächlich von Fleisch ernährte, fing an, zu kochen! Das hatte er noch nie getan! Ein paar Monate später, im Oktober, bestellte er sich für über 30€ Blumenstauden und stellte sie sich in sein Zimmer. Auf meine Frage hin, warum sie dort stünden, antwortete Samuel: "Sie sind blau!". Samuel hasst Blumen!
Auch kam es auf einmal vor, dass er Nachmittags sagte: "Ich bin mal weg" und einfach verschwand und erst mitten in der Nacht (um 4 Uhr vielleicht) wieder auftauchte und nicht sagte, wo er hingegangen war. Auch das Mädchen - nennen wir sie Theresa - kam gelegentlich vorbei und blieb die ganze Nacht. Es schien alles besser zu werden.
Und dann kam der Anruf. Samuel hat giftige Wurzeln gegessen. Mom, die nur durch einen Zufall schon eher nach Hause gekommen war an dem Abend, fand ihn vor, sich übergebend mit Durchfall. Er war schon nicht mehr richtig ansprechbar, konnte nicht mehr gerade laufen... Sie rief sofort einen Notarzt und er kam auf die Intensivstation. Die Menge, die er gegessen hat, hätte ihn eigentlich umbringen müssen, Samuel wusste genau, wie viel er nehmen muss. Er sagt selbst, es ist ein Wunder, dass er noch lebt. Die Ärzte auch.
Natürlich ging ich sofort zu ihm am nächsten Tag. Auf sein Bitten hin fand ich auch die Nummer von Theresa heraus und teilte ihr die Nachricht mit. Sie verbrachte in den darauffolgenden Tagen mindestens so viel Zeit wie wir mit ihm.
Samuel blieb für 1,5 Tage auf der Intensivstation, dann wurde er auf die Kinderstation verlegt, da er ja erst im Februar 18 wird. Nach einem weiteren Tag hatte er ein Termin bei einer Psychologin. Er freute sich auf das Gespräch, er wollte so gerne mit jemandem reden; er hatte für sich selbst Depressionen diagnostiziert und wollte gerne die Ursache herausfinden. Das Gespräch war eine Katastrophe, die Frau war einfach inkompetent und wollte alles daran setzen, ihn für mindestens 3 Wochen in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie einzuweisen, da er eine Gefahr für sich selbst darstelle, und so weiter.
Er jedoch wollte nicht weggesperrt werden. Er bekam nach diesem Gespräch mit der Frau, die ihm auch noch das ZImmer in der Klinik gezeigt hatte, in der gehen sollte, hohes Fieber.
Nach zwei weiteren Tagen holten meine Eltern Samuel entgegen der Meinung aller Ärzte aus dem Krankenhaus nach Hause. Das war letzten Donnerstag. Seit diesem Montag geht er wieder in die Schule.
Die vergangenen Tage seit dem Suizidversuch waren für mich grausam. Die ersten Tage konnte ich nichts machen. Ich saß bloß da, habe ins Leere gestarrt, war im Krankenhaus, aber wusste nicht, ob Samuel mich überhaupt da haben will. Ich bin stundenlang draußen abends durchs Dunkel gelaufen, konnte an nichts denken, konnte nichts machen, wollte mit niemandem reden, wollte nichts denken. Es war schlimm, sehr schlimm.
Als mein Bruder nach Hause kam, kam er in mein Zimmer, sagte: "Guten Tag", wie er es immer macht, ich sagte: "Hallo!", wie ich es immer sage und plötzlich sagte er: "Darf ich dich mal umarmen?" Ich sagte: "Klar" und wir umarmten uns. Ich habe in meinem Leben meinen Bruder noch nie umarmt, seit ich mich erinnern kann. Er war immer sehr scheu im Körperkontakt, deshalb war das für mich so etwas besonderes und für mich auch eine kleine "Wiedergutmachung". Versteht ihr, was ich meine?
Seit diesem Tag geht es mir ein wenig besser, auch wenn ich ständigen Stimmungsschwankungen unterliege. Insgesamt bin ich so schwermütig. Ich kann nicht mehr so unbeschwert lachen wie vorher, ich bin die ganze Zeit betrübt. Ich fühle mich, als könnte ich nie wieder fröhlich sein, obwohl ich weiß, dass das Quatsch ist.
Letzten Donnerstag hatte ich auch ein Gespräch mit einer pensionierten Psychiaterin, aber das hat mir nichts gebracht, ich kam mit ihr nicht so ganz klar.
Ich weiß, man wird mir jetzt raten: "Mach dir keine Vorwürfe", "Du brauchst Zeit", das weiß ich alles.
Ich habe nur solche entsetzliche Angst. Dass die Beziehung zu meinem Bruder nie wieder so wird wie vorher. Dass er nicht aus den Depressionen heraus kommt. Und ja, ich habe verdammte Angst, dass ich abends nach Hause komme und er hat es wieder versucht. Ich habe solche Angst davor. Ich habe auch Angst, dass ich meinen Bruder dadurch verloren habe, unsere Beziehung verloren ist, mein großer Bruder...
Und JA! Ich mache mir Vorwürfe, auch wenn ich versuche, mich dagegen zu wehren. Ich habe so oft mit ihm über den Tod geredet. Wir haben über die Gründe diskutiert, warum es besser ist, tot zu sein als zu leben. Wir haben darüber geredet, mit welcher Methode man sich am besten umbringt, kamen zu keinem richtigen Schluss und nach etwa zwei Wochen kam er wieder auf mich zu und sagte: "Pflanzengifte! Das ist es! Da kommt man leicht ran und es ist hoch wirksam!". Und dann hat er sich diese Pflanzen bestellt, diese verdammten Pflanzen...
Es tut mir leid, dass es so lang geworden ist und dass meine Gedanken so durcheinander sind. Es tat aber schon ein Stück weit gut, alles so rauszulassen.
Vielen Dank fürs Lesen!