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Suizidversuch des Bruders

Taya

Mitglied
Hallo ihr da draußen!

Ich weiß nicht, ob mein Thema im richtigen Bereich ist, ich hoffe es einfach mal.
Vor nun über einer Woche (am 07. November, um genau zu sein), es war Freitagabend und ich habe außer Haus übernachtet, klingelte mich meine Mutter aus dem Schlaf und sagte: "Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Dein Bruder hat versucht, sich das Leben zu nehmen." Ich war schockiert, entsetzt... aber nicht vollkommen.

Ich muss vielleicht ein bisschen ausholen: Mein Bruder - nennen wir ihn mal Samuel - ist knapp 2 Jahre älter als ich, wird im Februar 18 und ist der wohl verschlossenste und intelligenteste Mensch, den ich kenne. Er war schon immer ein Einzelgänger und zurückgezogen, ich war die einzige, mit der er seine Gedanken geteilt hat, mit der er sich überhaupt unterhielt. Ich ließ ihn immer auf mich zukommen, denn an manchen Tagen wollte er mit niemandem reden, an anderen war er regelrecht "plauderfreudig". Dazu muss man sagen, dass Samuel keinerlei soziale Kontakte pflegte. Er war wohl der typische "Nerd", er war bloß am Computer, und damit meine ich ausschließlich. Er war nie draußen. Nie. Höchstens alle paar Monate mal zu einer LAN-Party. Er war einfach immer da.
Samuel geht gerade in die 12. Klasse, wird also demnächst sein Abitur machen, er ist unglaublich faul, macht nichts für die Schule, steht jedoch auf einem Schnitt von 1,5. Er hat so unglaublich philosphische und brillante Gedankengänge.
Seit ein paar Monaten zeigte Samuel jedoch plötzlich äußerst merkwürdige Anwandlungen. Es begann damit, dass er zu einer Schulveranstaltung ging, die er eigentlihc nicht besuchen wollte, und sich dort mit einem Mädchen unterhielt. Dann fragte er plötzlich zu Hause, ob wir nicht mal vegetarisch kochen könnten. - Er, der sich sonst eigentlich hauptsächlich von Fleisch ernährte, fing an, zu kochen! Das hatte er noch nie getan! Ein paar Monate später, im Oktober, bestellte er sich für über 30€ Blumenstauden und stellte sie sich in sein Zimmer. Auf meine Frage hin, warum sie dort stünden, antwortete Samuel: "Sie sind blau!". Samuel hasst Blumen!
Auch kam es auf einmal vor, dass er Nachmittags sagte: "Ich bin mal weg" und einfach verschwand und erst mitten in der Nacht (um 4 Uhr vielleicht) wieder auftauchte und nicht sagte, wo er hingegangen war. Auch das Mädchen - nennen wir sie Theresa - kam gelegentlich vorbei und blieb die ganze Nacht. Es schien alles besser zu werden.

Und dann kam der Anruf. Samuel hat giftige Wurzeln gegessen. Mom, die nur durch einen Zufall schon eher nach Hause gekommen war an dem Abend, fand ihn vor, sich übergebend mit Durchfall. Er war schon nicht mehr richtig ansprechbar, konnte nicht mehr gerade laufen... Sie rief sofort einen Notarzt und er kam auf die Intensivstation. Die Menge, die er gegessen hat, hätte ihn eigentlich umbringen müssen, Samuel wusste genau, wie viel er nehmen muss. Er sagt selbst, es ist ein Wunder, dass er noch lebt. Die Ärzte auch.
Natürlich ging ich sofort zu ihm am nächsten Tag. Auf sein Bitten hin fand ich auch die Nummer von Theresa heraus und teilte ihr die Nachricht mit. Sie verbrachte in den darauffolgenden Tagen mindestens so viel Zeit wie wir mit ihm.
Samuel blieb für 1,5 Tage auf der Intensivstation, dann wurde er auf die Kinderstation verlegt, da er ja erst im Februar 18 wird. Nach einem weiteren Tag hatte er ein Termin bei einer Psychologin. Er freute sich auf das Gespräch, er wollte so gerne mit jemandem reden; er hatte für sich selbst Depressionen diagnostiziert und wollte gerne die Ursache herausfinden. Das Gespräch war eine Katastrophe, die Frau war einfach inkompetent und wollte alles daran setzen, ihn für mindestens 3 Wochen in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie einzuweisen, da er eine Gefahr für sich selbst darstelle, und so weiter.
Er jedoch wollte nicht weggesperrt werden. Er bekam nach diesem Gespräch mit der Frau, die ihm auch noch das ZImmer in der Klinik gezeigt hatte, in der gehen sollte, hohes Fieber.
Nach zwei weiteren Tagen holten meine Eltern Samuel entgegen der Meinung aller Ärzte aus dem Krankenhaus nach Hause. Das war letzten Donnerstag. Seit diesem Montag geht er wieder in die Schule.

Die vergangenen Tage seit dem Suizidversuch waren für mich grausam. Die ersten Tage konnte ich nichts machen. Ich saß bloß da, habe ins Leere gestarrt, war im Krankenhaus, aber wusste nicht, ob Samuel mich überhaupt da haben will. Ich bin stundenlang draußen abends durchs Dunkel gelaufen, konnte an nichts denken, konnte nichts machen, wollte mit niemandem reden, wollte nichts denken. Es war schlimm, sehr schlimm.
Als mein Bruder nach Hause kam, kam er in mein Zimmer, sagte: "Guten Tag", wie er es immer macht, ich sagte: "Hallo!", wie ich es immer sage und plötzlich sagte er: "Darf ich dich mal umarmen?" Ich sagte: "Klar" und wir umarmten uns. Ich habe in meinem Leben meinen Bruder noch nie umarmt, seit ich mich erinnern kann. Er war immer sehr scheu im Körperkontakt, deshalb war das für mich so etwas besonderes und für mich auch eine kleine "Wiedergutmachung". Versteht ihr, was ich meine?
Seit diesem Tag geht es mir ein wenig besser, auch wenn ich ständigen Stimmungsschwankungen unterliege. Insgesamt bin ich so schwermütig. Ich kann nicht mehr so unbeschwert lachen wie vorher, ich bin die ganze Zeit betrübt. Ich fühle mich, als könnte ich nie wieder fröhlich sein, obwohl ich weiß, dass das Quatsch ist.
Letzten Donnerstag hatte ich auch ein Gespräch mit einer pensionierten Psychiaterin, aber das hat mir nichts gebracht, ich kam mit ihr nicht so ganz klar.

Ich weiß, man wird mir jetzt raten: "Mach dir keine Vorwürfe", "Du brauchst Zeit", das weiß ich alles.
Ich habe nur solche entsetzliche Angst. Dass die Beziehung zu meinem Bruder nie wieder so wird wie vorher. Dass er nicht aus den Depressionen heraus kommt. Und ja, ich habe verdammte Angst, dass ich abends nach Hause komme und er hat es wieder versucht. Ich habe solche Angst davor. Ich habe auch Angst, dass ich meinen Bruder dadurch verloren habe, unsere Beziehung verloren ist, mein großer Bruder...
Und JA! Ich mache mir Vorwürfe, auch wenn ich versuche, mich dagegen zu wehren. Ich habe so oft mit ihm über den Tod geredet. Wir haben über die Gründe diskutiert, warum es besser ist, tot zu sein als zu leben. Wir haben darüber geredet, mit welcher Methode man sich am besten umbringt, kamen zu keinem richtigen Schluss und nach etwa zwei Wochen kam er wieder auf mich zu und sagte: "Pflanzengifte! Das ist es! Da kommt man leicht ran und es ist hoch wirksam!". Und dann hat er sich diese Pflanzen bestellt, diese verdammten Pflanzen...

Es tut mir leid, dass es so lang geworden ist und dass meine Gedanken so durcheinander sind. Es tat aber schon ein Stück weit gut, alles so rauszulassen.
Vielen Dank fürs Lesen!
 

-sofia-

Sehr aktives Mitglied
Liebe Taya.

Natürlich bist du nicht Schuld am Suizidversuch deines Bruders. Mach dir keine Vorwürfe.

Allerdings braucht dein Bruder Hilfe. Nach seinem Suizidversuch kann er nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Auch der Ursache seiner Depressionen und Lebensmüdigkeit muss auf den Grund gegangen werden. Ist eine therapeutische Behandlung geplant?
 
P

primavera7

Gast
Liebe Taya, ich möchte dem Beitrag von sofia noch hinzufügen, dass du dir auch selbst professionelle Hilfe suchen solltest, um mit dem Suizidversuch deines Bruders besser fertig zu werden.

Es gibt nicht nur diese eine Psychologin, mit der dein Bruder nicht klargekommen ist, und nicht nur diese eine pensionierte Psychiaterin, die dir nicht weiterhelfen konnte. Nach einem Suizidversuch kann man nicht einfach so tun, so, als ob nichts gewesen wäre. Das sollte auch euren Eltern bewusst sein! Sprich du notfalls mit eurem Hausarzt oder einer anderen vertrauenswürdigen Person (vielleicht einem einfühlsamen Lehrer?) und lasse dich beraten, falls deine Mutter bzw. deine Eltern die Sache am liebsten verdrängen wollen.

Wenn jemand akut suizidgefährdet ist und sogar schon einen Suizidversuch verübt hat, ist es - auch wenn es zunächst erschreckend klingt - in der Tat das Beste, wenn er ein paar Wochen in einer guten psychiatrischen Klinik stationär behandelt wird. Zu einer ambulanten Behandlung kann man dann später immer noch übergehen. Da hatte die Psychologin in der Klinik sicher nicht Unrecht, sondern hat einfach nur Verantwortungsbewusstsein gezeigt. Ich kann daran auch nichts Schlimmes finden; denn was sind schon drei oder sechs Wochen in einer psychiatrischen Klinik gegen ein ganzes Leben, das ohne diese Behandlung viel zu früh enden könnte?! Es ist ein Segen, dass es heute solche Möglichkeiten der professionellen Hilfe gibt. Es besteht auch kein Anlass, Menschen, die psychiatrische Hilfe brauchen, zu diskriminieren oder sich zu schämen, wenn man selbst oder ein Angehöriger psychisch krank ist. Jeder - ausnahmslos jeder - Mensch kann psychisch erkranken. Ich habe selbst eine Schwester, die seit mindestens 14 Jahren psychisch schwer krank ist (vermutlich Schizophrenie mit zeitweisen Wahnvorstellungen) und leider jede Behandlung ablehnt; ich weiß, wovon ich rede.

Es gibt auch Selbsthilfegruppen für Angehörige psychisch kranker Menschen, vielleicht wäre das auch eine Anlaufstelle für eure Familie.
 
Zuletzt bearbeitet:
J

Jun

Gast
Taya korrigiere mich, doch wird bei euch in der Familie überhaupt miteinander gesprochen? Nicht gegeneinander (Vorwürfe) oder aneinander vorbei (Smalltalk) sondern wirklich miteinander? Es liest sich, als würden eure Eltern eine Art Vogel Strauß Taktik fahren. Kalt wird es sie nicht lassen, Vorwürfe bringen niemanden weiter und nur mit sich selbst ausmachen und zu machen bringt einen langsam um.

Zum Thema Depression kann ich ihm Josef Giger-Bütler "Depression ist keine Krankheit" empfehlen. Das ersetzt kein sich mitteilen, kein einfühlen, sich aufeinander einlassen. Es ist lediglich Beiwerk.

Darf ich mal fragen. Was hat Dich an euren Gesprächen über den Tod fasziniert? Wo stehst Du selbst? Weiß dein Bruder zum Beispiel von deinen Ängsten?
 
G

Gast

Gast
Hallo Taya,
dies zu lesen fällt nicht leicht.
Aber da ich vor 3 Jahren in der fast selben Situation war(Bei mir war es meine Freundin/Lebensgefährtin ), kann ich dir vllt mit meinen Erfahrungen helfen.

1. Mach dir keine Vorwürfe, du kannst dafür absolut nichts.So etwas kommt oft schleichend und man hat gar keine Möglichkeit etwas zu bemerken. Versuch dir dass aus dem Kopf zu schlagen du hast keine Schuld!!!

2. Versuch ihm zu helfen aber ihm auch seinen Freiraum zu lassen, dass ist ganz wichtig. auch wenn es auf den Ersten Blick falsch erscheint. Denn es ist nun mal so, die Menschen die sich das Leben nehmen möchten, sehen keinen Ausweg mehr. Wenn man sie nun ncoh weiter unter "Druck" setzt wird dadurch ncihts besser( habe ich bei meiner Freundin gesehen ). Er muss erstmal selbst herausfinden was "sein Problem" ist.

3.
Wie sieht es bei euch in der Familie aus?
Spricht ihr über solche Probleme ernsthaft oder wird nur "um den heißen Brei" geredet?
Denn er braucht jetzt Menschen die ihm zur Seite stehen, ihm aber auch den Weg weißen!

4.Wie ich dem Text entnehmen konnte gibt es eine weibliche Person in seinem Leben?
Sie ist evtl der Schlüssel, denn Gefühle können oft Berge bewegen.
Bei meiner Freundin war es auch so, dass sie sich nicht wirklich bei ihrer Familie usw "Auslassen" konnte, aber bei mir ging es dann nach kurzer Zeit.
Versucht sie irgendwie mit in die Situation einzubinden...

5. wohl der wichtigste Punkt:
Lass dich selbst nicht hängen. Denn dass wird deinem Bruder nicht helfen. Zeig ihm dass du mit der Situation klar kommst und für ihn da bist. Auch wenn es schwer fällt, wenn man mit der Angst nach hause kommt" Er könnte jetzt....."ist nicht sehr schön dass weiß ich. Versuch daran nicht zu denken.

Ich hoffe ich konnte dir ein wenig helfen.
Dass sind eben nur meine eigenen Erfahrungen.
Lasst den Kopf nicht hängen, dass kann man alles wieder in den Griff bekommen.
Du kannst mir gerne privat schreiben, dann versuch ich dir bzw euch zu helfen so gut ich es eben kann.
Ich wünsche dir und deinem Bruder alles Gute.
Ihr bekommt dass alles in den Griff auch wenn es ein weiter Weg wird.
 

Taya

Mitglied
Danke für eure ganzen Kommentare!

Ich muss vielleicht noch ein bisschen was erklären: Mein Bruder wollte unter keinen Umständen "weggesperrt" werden, in eine Klinik, wo er nur einmal am Tag für eine halbe Stunde telefonieren darf, nur am Wochenende Besuch kriegen darf, weil seine Tat als "schwerer Suizid" gilt. Zudem ist es so, dass wenn er mehr als 2 Wochen Unterricht verpasst hätte, er ein Jahr wiederholen müsste, da das Halbjahr der 12. Klasse schon vor Weihnachten endet, und er somit nicht mehr genug Zeit hätte, vor Notenschluss die verpassten Klausuren nachzuholen. Das war auch ein sehr wichtiger Punkt für ihn. Er könnte es nicht aushalten, wenn er noch ein Jahr zur Schule müsste, das zieht ihn total runter.
Er will ja selbst mit Psychologen ins Gespräch kommen!
Nach diesem katastrophalen Gespräch mit der Psychologin, hatte er einen Termin bei einer anderen, mit der er super zurecht kommt, die ihm allerdings nur zweiwöchige Sitzungen und keine Therapie anbieten kann, da sie es als sich nicht lohnend ansieht, für die 3 Monate bis zu seiner Volljährigkeit noch eine Therapie für Jugendliche anzufangen. Nach seinem Geburtstag wird er allerdings dann eine Therapie machen. Ambulant.

Bezüglich meiner Familie: Meine Eltern sind seit fast 10 Jahren getrennt/geschieden, bis zu dem Zusammentreffen im Krankenhaus nach dem Vorfall, hatten sie sich über ein Jahr nicht gsehen, weil es ziemlich angespannt ist zwischen ihnen, um es mal nett auszudrücken. Hängt mit verweigerter Unterhaltszahlung meines Vaters zusammen und pipapo. Mein Vater hat die ganze Situation noch schwieriger gestaltet, da er anfing, Vorwürfe zu machen, und so weiter...
Innerhalb meiner Familie (was für mich meine Mutter, meine Schwester, Samuel und mich umfasst) war das Reden mit Samuel immer schwierig. Da er außer mir niemanden an sich heranließ, kann man schwer echte Unterhaltungen führen. Meine Schwester wohnt nicht mehr zu Hause, ist nach dem Vorfall allerdings für einige Tage nach Hause gekommen, musste dann jedoch wieder zurück an die Uni.
Meine Mutter und ich haben viel miteinander geredet, aber die Gespräche drehen sich im Kreis. Sie unterstützt mich. Sie unterstützt meinen Bruder. Nachdem sie gesehen hatte, wie er eingegangen ist, nachdem er gesehen hatte, wohin man ihn "eingesperren" will, konnte und wollte sie ihn nicht einweisen lassen, da sie wusste, dass es zwecklos ist, wenn er die Therapie dort verweigert.

Was mich selbst betrifft: Ich würde mir gerne therapeutische Hilfe suchen, meine Mutter unterstützt mich da auch. Aber hat jemand von euch Ahnung, ob das auch von der Krankenkasse übernommen wird/werden kann? Gerade durch den Unterhaltsprozess ist Geld eine sehr knappe Angelegenheit.

Mich hat an den Gesprächen über den Tod nichts besonders fasziniert, aber Samuel und ich fanden beide, dass der Tod zu jedem Leben dazugehört und wir die Tabuisierung dieses Themas in der Gesellschaft nicht nachvollziehen können, für uns war der Gedanke, dass wir irgendwann sterben werden, völlig normal. Liegt vielleicht auch an Moms Erziehung. Jedoch konnte ich NIE eine Todessehnsucht von ihm aus unseren Gesprächen raushören. Ich habe es nicht erkannt. Für mich war es immer völlig normal, dass mein Bruder so verschlossen ist, dass er starke Stimmungsschwankungen hat, einsilbig ist...
Mein Bruder hat gleich am Tag danach gesagt, er ist froh, dass er es gemacht hat. Denn sonst würde er immer noch jeden Tag mit sich ringen, ob er es macht oder nicht. Jetzt seien die Gedanken weg. Aber er ist auch froh, dass er noch lebt. Und er will es nicht wieder tun. Er will so etwas nie wieder erleben. Ich glaube, er hat jetzt nach diesen Schmerzen sehr große Angst vorm Sterben.
Mein Bruder weiß nicht von meinen Ängsten. Er könnte sie auch nicht verstehen. Denn Samuel ist ein absolut rationaler Mensch, ich habe noch nie so jemanden getroffen. Er kann Gefühle von Menschen nicht nachvollziehen. So etwas wie Mitleid kennt er nicht, kann er nicht verstehen! Er kann nicht begreifen, wie Menschen Entscheidungen treffen können, die nicht rational sind. Und als meine Mom zu ihm sagte: "Wir (also gemeint unsere Familie) sind auch froh, dass du noch lebst!" sagt er: "Das ist mir total egal. Ich lebe doch nicht für euch!"
Er versteht nicht, wie wir darunter leiden, wie ICH darunter leide! Wie verletzt ich dadurch bin. Denn das ist nun mal nicht rational. Das versteht er nicht. Samuel war immer meine Konstante, ohne, dass er es wusste. Er war eine Art Bezugsperson für mich. Auf meinen großen Bruder konnte ich mich immer verlassen. Und als ich vor ca. 4 Monaten mal mit ein paar Freundinnen sprach, kam das Thema auf: Was wäre das schlimmste, was hier jetzt in den nächsten 2 Stunden passieren könnte? Und meine Antwort war: Ich kriege einen Anruf, dass mein Bruder gestorben ist. Das war das schlimmste, das ich mir vorstellen konnte. Und nein. Davon weiß er nichts.

Im übrigen wusste Theresa von Samuels Selbstmordgedanken. Sie haben jede Tag geschrieben, sie hat ihn jeden Tag gefragt, wie es ihm geht und er hat ihr immer ehrlich geantwortet. Er hat ihr immer am nächsten Tag gesagt, dass er wieder überlegt hat, sich umzubringen. Und er sagte auch, dass es ihm nach Gesprächen mit ihr immer besser ging. Eines Abends, ca. 2 Wochen vorher, wollte er sich schon umbringen, doch dann kam Theresa überraschen vorbei und dann ging es ihm besser.
Ich weiß nicht, ob Theresa jemanden zum Reden hat. Ich glaube, sie leidet sehr darunter, macht sich gewaltige Vorwürfe.

Und ich? Ich versuche irgendwie weiterzuleben. Gehe in die Schule. Antworte auf die Frage, was los ist mit: "Nichts", rede ein bisschen Smalltalk und gehe nach 7 Stunden wieder nach Hause. Um ins Leere zu starren. Um daran zu scheitern, etwas für die Schule zu tun.
 
G

Gast

Gast
Nachdem du jetzt so viel auf unsere "Fragen" geschrieben hast, hab ich meine Freundin dass alles mal durchlesen lassen und sie war wirklich mitgenommen(da sie dass alles ja eben auch hinter sich hat).

Dass er sich nicht wegsperren lassen möchte ist absolut nachvollziehbar und meiner Meinung nach auch der falsche Weg.
Denn eine solch harte Reaktion des Psychologen ist absolut überstürzt.
Die Therapie ist auf jedenfall ein muss, denn so etwas wird man ohne professionelle Hilfe nicht verarbeiten können.

Die Umstände in eurer Familie sind leider auch nciht gerade hilfreich, aber leider kann man daran nicht viel ändern.

Ja du kannst eine Therapie machen. Geh zu deinem Arzt(Hausarzt) und erklär ihm alles.
Die Kosten werden dann(so war es bei mir auch, habe auch eine Therapie gemacht) von der Krankenkasse bezahlt.

Nun zum Thema Tot:
Eure Auffassung ist auf jedenfall richtig.
Der Tot gehört dazu,aber bestimmt nicht in so jungem Alter.
Aber ein gutes kannst du an all dem sehen:
"Mein Bruder hat gleich am Tag danach gesagt, er ist froh, dass er es gemacht hat. Denn sonst würde er immer noch jeden Tag mit sich ringen, ob er es macht oder nicht. Jetzt seien die Gedanken weg. Aber er ist auch froh, dass er noch lebt. Und er will es nicht wieder tun. Er will so etwas nie wieder erleben. Ich glaube, er hat jetzt nach diesen Schmerzen sehr große Angst vorm Sterben."
D.h diese Phase hat er mal vorerst hinter sich und dass ist viel Wert.
Jetzt könnt ihr daran arbeiten dass es soweit nie mehr kommt.

Die Sache mit der Rationalität...
Dass ist so ne Sache...
Ich würde sagen durch die Zurückgezogene Lebensweise die er geführt hat, ist er so geworden.
Oftmals ist so eine "Einstellung" durch Depressionen bedingt.
Ich denke er weiß einfach selbst nicht was er spürt.
Denn oftmals sind solche Leute "Gefühlskalt" was sich selbst angeht und ihre Mitmenschen(mit wenigen Ausnahmen).
Dies kann allerdings mit der Zeit verschwinden und wird es sicher auch wenn er sich selbst mal über alles bewusst ist.

Versuch dich mal mit ihr zusammenzusetzen und über alles zu reden. Zu zweit habt ihr 100% mehr Einfluss als ihr glaubt!

Finde ich gut. versuch einfach weiter zu machen.

Wenn er eine Therapie begonnen hat sprich mit seiner Therapheutin und erzähl ihr von seiner "Gefühlslosigkeit".
Vllt ist es bei ihm wirklich nur durch die Depressionen bedingt und nicht durch seinen Charakter.
 
P

primavera7

Gast
Mein Bruder wollte unter keinen Umständen "weggesperrt" werden, in eine Klinik, wo er nur einmal am Tag für eine halbe Stunde telefonieren darf, nur am Wochenende Besuch kriegen darf, weil seine Tat als "schwerer Suizid" gilt. Zudem ist es so, dass wenn er mehr als 2 Wochen Unterricht verpasst hätte, er ein Jahr wiederholen müsste, da das Halbjahr der 12. Klasse schon vor Weihnachten endet, und er somit nicht mehr genug Zeit hätte, vor Notenschluss die verpassten Klausuren nachzuholen. Das war auch ein sehr wichtiger Punkt für ihn. Er könnte es nicht aushalten, wenn er noch ein Jahr zur Schule müsste, das zieht ihn total runter.
Woher will dein Bruder denn so genau wissen, dass er in einer psychiatrischen Klinik "weggesperrt" würde? Auch das Argument mit der Schule halte ich für vorgeschoben. Was ist denn, wenn es ihm psychisch aufgrund der (zu) langen Wartezeit bis zu einer ambulanten Therapie immer schlechter geht und er dann deswegen das Abitur nicht schafft? Zieht ihn das nicht erst recht herunter? Und was ist andererseits ein einziges versäumtes Schuljahr gegen ein ganzes Leben? In einer guten Therapie könnte schon darauf hingewirkt werden, dass ihn das eventuelle Wiederholen eines Schuljahres nicht so runterzieht.

In Wirklichkeit hat dein Bruder nach meinem Eindruck Angst davor, in die "Klapse" zu müssen und deswegen als "verrückt" zu gelten. Er will sich nicht eingestehen, wie schwer krank er ist. Das ist menschlich vollkommen verständlich, muss aber deswegen nicht klug und richtig sein. Solange er die Schule besuchen kann und nur ab und zu ambulant zur Therapie geht, meint er, dass es ja noch nicht so schlimm sein kann. Was aber, wenn es doch so schlimm ist, dass - jedenfalls in der Anfangszeit - eine ambulante Therapie allein nicht ausreicht? Nicht umsonst kann jemand bei akuter Lebensgefahr auch zwangsweise in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden.

Ich halte es allerdings auch für möglich, dass dein Bruder sich einer Therapie - egal ob stationär oder ambulant - zu entziehen versucht, indem er früher oder später an jedem Therapeuten bzw. jeder Therapeutin etwas auszusetzen hat. Auch das ist Teil seiner Krankheit und muss nicht an den betreffenden Therapeutinnen/Therapeuten liegen. Eine Therapie bringt nun mal nicht nur angenehme Erkenntnisse, sondern kann sogar dazu führen, dass es einem zwischenzeitlich wieder schlechter geht.

Ich würde deinen Bruder dennoch nicht in seiner Einstellung bestärken, dass es der Anfang vom Ende wäre, wenn er sich stationär behandeln lassen würde, sondern ihm eher vor Augen führen, dass die Zeit auch vorbeigeht. Es sollte nicht diejenige Entscheidung getroffen werden, die für ihn weniger unangenehm oder weniger "auffällig" und damit weniger "peinlich" ist, sondern die, die objektiv betrachtet langfristig für seine Gesundheit am besten ist. Ärzte sind in ihrer Einschätzung in der Regel objektiver als die Betroffenen selbst und andere nahestehende Personen. Die Betroffenen agieren aus ihrer Krankheit heraus, die Angehörigen und Freunde aus ihrer emotionalen Betroffenheit, manchmal haben sie auch selbst psychische Probleme. In dysfunktionalen Familien sträuben sich die Mitglieder oft gegen jede Veränderung, die ihnen bedrohlich erscheint (ich kenne das aus meiner eigenen Herkunftsfamilie, die ich auch für dysfunktional halte). Das führt dann zu irrationalen Entscheidungen und schädlichen Verhaltensweisen. Und drei Monate ohne jedwede Therapie nach einem Suizidversuch, der wirklich zum Tode hätte führen können, halte ich für sehr riskant, um nicht zu sagen leichtsinnig.

Deine Mutter sollte sich ärztlich oder anderweitig professionell beraten lassen, ob es wirklich das Richtige ist, deinen Bruder in dieser Situation einfach gewähren zu lassen. Noch ist er nicht volljährig, noch kann sie einen gewissen Einfluss als Erziehungsberechtigte nehmen.

Ich würde mir gerne therapeutische Hilfe suchen, meine Mutter unterstützt mich da auch. Aber hat jemand von euch Ahnung, ob das auch von der Krankenkasse übernommen wird/werden kann?
Das ist das geringste Problem. Schildere deinem Hausarzt die Situation und er wird die Therapie für dich befürworten. Dann übernimmt auch die Krankenkasse die Kosten. Du bekommst eine bestimmte Anzahl an Therapiestunden verordnet. Warte damit nicht, bis du völlig mit den Nerven fertig bist - die Wartelisten bei Psychologen sind auch so schon lang genug. Und du bist auch nicht dafür verantwortlich, dass dein Bruder den Suizidversuch verübt hat. Auch bist du nicht dafür verantwortlich, dass sich so etwas nicht noch einmal wiederholt. Selbst deine Mutter ist nicht dafür verantwortlich, aber als Erwachsene und Erziehungsberechtigte - ebenso wie dein Vater - viel mehr in der Pficht, sich zu kümmern und zu informieren, als du.

Nach meinem Eindruck wäre es das Beste, die gesamte Familie einschließlich des getrennt lebenden Vaters würde sich in Therapie, zumindest aber zur professionellen Beratung, begeben, zum Wohl deines Bruders und jedes einzelnen Familienmitgliedes.

Ich wünsche dir, deinem Bruder und eurer ganzen Familie alles Gute!
 
Zuletzt bearbeitet:

Taya

Mitglied
Vielen Dank für eure ausführlichen Antworten. Entschuldigt die einwöchige Pause, ich war verreist.

Ihr habt viel zu dem "weggesperrt werden" geschrieben. Der Ausdruck stammt von Samuel, nicht von mir. Doch nachdem ich die Hausordnung der Kinder- und Jugendpsychiatrie in meiner Heimatstadt, in die Samuel kommen sollte, gelesen hatte, bekam ich einen ähnlichen Eindruck davon.
Samuel war so geschockt, als er die Einrichtung sah. Und Samuel würde eingehen, wenn er noch ein Jahr in die Schule müsste. Die Schule zieht ihn immer so extrem runter, die Leute die dort sind, sie ziehen ihn runter, ohne dass es böswillig ist. Er ist nur einfach ... so besonders, so sensibel und kann mit den "normalen" Dingen eines Jugendlichens nichts anfangen. Theresa hat mir erzählt, dass Samuel, nachdem er aus der Schule kommt, sich immer erstmal eine halbe Stunde hinsetzen und runterkommen muss.

Meinem Bruder sind die Meinungen von anderen völlig egal. Und damit meine ich nicht diese Klischeeaussage: "Es ist mir egal, was andere von mir denken", sondern ganz im ernst. Warum sollte er sich darum kümmern, sagt er, wenn man ihn danach fragt, hat ja keine Auswirkung auf mich, ich muss mich doch nicht anders verhalten wegen irgendwelchen Menschen. Als wir ihn fragten, was wir in der Schule sagen sollten, weil er nicht da ist, sagte er: "Ist mir doch völlig egal". Ich glaube nicht, dass er "nicht als verrückt gelten" will. Er weiß auch, dass psychiatrische Einrichtungen etwas Gutes sind - nur eben nicht für ihn.
Versteht ihr nicht, dass er eine Therapie, die gegen seinen Willen stationär passiert, verweigern kann oder gar wird? Er kann das gut, einfach schweigen und ein Gespräch verweigern. Wie oft habe ich das mit ansehen müssen, wenn mein Vater mit ihm sprechen wollte...
Gestern hatte er sein erstes "Übergangsgespräch" mit der Psychologin. Er fand es gut (und zu kurz) und erzählte, dass sie keine Gefahr sehe, dass er es (zumindest in absehbarer Zukunft) noch einmal versucht.
Es geht ihm auch ziemlich gut, jetzt, wo er wieder zu Hause ist. Wir essen öfter zusammen als früher und ich verbringe mehr mit ihm, was uns beiden, glaub ich, gut tut.

Morgen habe ich einen Termin bei meinem Hausarzt, eigentlich wegen etwas anderem, aber ich werde ihm auch die Situation schildern und wegen einer Therapie fragen.
Während meiner Reise habe ich Samuel sehr vermisst. Und hatte auch immer mal wieder Tiefs, die ein paar Stunden dauerten und in denen ich quasi nicht ansprechbar war, weil mich die Woge der Verzweiflung einfach so überrollte und ich an nichts als Samuel und meine Angst denken konnte.
Ich glaube nicht, dass meine Mutter, Schwester oder mein Vater eine Therapie machen möchten.
 
P

primavera7

Gast
Nur weil deine Eltern und deine Schwester keine Therapie machen möchten, heißt es nicht, dass sie sie nicht nötig hätten. Sie geben deinem Bruder damit auch das falsche Signal: Solange wir so tun, als ob alles in Ordnung wäre, ist es das auch. Solange wir keine Therapie machen, haben wir auch keine gravierenden psychischen Probleme. Hauptsache, wir müssen uns selbst, unsere familiären Beziehungen, unseren Erziehungsstil, unsere Einstellung zu unseren Mitmenschen und unser Verhalten nicht von einem Profi in Frage stellen lassen, geschweige denn ändern. Und das ganze Verweigerungsverhalten deines Bruders, die Rationalisierungen, auch die Gefühllosigkeit und Empathielosigkeit, sind nur Ausdruck seiner Krankheit, zumindest aber einer schweren, mit Sicherheit behandlungsbedürftigen Persönlichkeitsstörung. Wahrscheinlich hätte er schon viel früher behandelt werden müssen. Er hat noch einen weiten und schwierigen Weg vor sich. Zwingen könnt ihr ihn vorläufig zu nichts, aber ich würde mir seine krankhafte Argumentation nicht auch noch selbst zu eigen machen. Langfristig tust du ihm und dir damit keinen Gefallen, sondern begibst dich in eine Co-Abhängigkeit, wie es auch bei Angehörigen von Suchtkranken häufig der Fall ist.

Ich würde für deinen Bruder in der Schule auch nicht lügen, warum er nicht da ist. Er soll den Lehrern und Mitschülern selbst sagen, weshalb er gefehlt hat. Deren Reaktion ist ihm ja eh egal, also braucht er dabei auch keine Unterstützung.
 
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