Es gibt bezüglich Homosexualität einige Dinge, die in den öffentlich verbreiteten Geschichten gerne ausgeblendet werden, weil sie das tolerante Hurra-Selbstbild unserer Gesellschaft nicht bestätigen. Es ist nämlich überhaupt nicht Friede Freude Eierkuchen. Diese Dinge solltest Du aber wissen, weil sie Dir helfen können, Deine Lage so zu betrachten und zu bewältigen wie sie IST, und nicht wie Du sie Dir wünschen würdest. Das ist nicht immer schön, aber manchmal notwendig und kein Grund zur Verzweiflung. Ich liste sie Dir hier einmal auf und hoffe, dass Du sie mir glauben kannst:
1. Ein Outing kann, muss aber nicht. Es gibt Situationen und Zeitpunkte, wo man sich damit Ärger einhandelt, und andere Lagen wo man wiederum in einer besseren Situation ist und es eher angehen kann (z.B. wenn einem die Familie nicht mehr so viel Stress machen kann weil man schon ausgezogen und volljährig ist). DU bestimmst den Zeitpunkt, wieviel Konflikt Du gebrauchen und aushalten kannst, und wann es auch strategisch richtig für Dich ist.
2. Es gibt gar nicht so wenige Menschen, die zu bestimmten oder auch allen Verwandten nur noch wenig oder gar keinen Kontakt mehr haben. Ob nun wegen Sexualität oder ganz anderen Lebensfragen. Für abhängige Minderjährige ist das nicht so aktuell, aber Du solltest wissen dass Deine Zukunft, Dein erwachsenes Leben nicht davon abhängt ob Deine Familie nun ganz toll zu Dir hält und sich für Dich ändert oder nicht. Es gibt zufriedene, erfüllt lebende Menschen die ihre Familie kaum sehen. Ein todsicheres Rezept für Unglück ist hingegen, möglichst viele Jahre seines Lebens Zeit damit zu verschwenden, Konflikte und Anpassungsversuche mit Unbelehrbaren zu führen.
3. Wenn Du befürchten musst, wenig Unterstützung zu bekommen, dann blende dabei nicht die lebenspraktischen Aspekte aus. Es wird wenig diskutiert, aber Homosexuelle Jugendliche sind überdurchschnittlich oft von den sozialen Folgen negativer Familienreaktionen betroffen, was dazu führt dass sie zum Beispiel zu früh ausziehen und dann gar nicht klarkommen, dadurch keinen ruhigen Ausbildungsverlauf haben, durch schlechten oder ganz abgebrochenen Kontakt mit den Eltern viel weniger ökonomische Unterstützung erfahren usw. Da dies oft in die Phase der Berufsfindung fällt, ist dieser Einstieg nicht selten etwas erschwert. Ich kann Dir nur raten, gib Deiner schulischen und ausbildungsmässigen Laufbahn eine gewisse Priorität und spar Dir auch ruhig durch Geldgeschenke und Jobs ein gutes kleines Polster an, überlege Dir bei entsprechendem Interesse auch Ausbildungen wo man schon Gehalt bezieht (Beamtenberufe, verlängerter Wehrdienst mit Zulagen oder gleich ein Studium/Ausbildung als Soldat oder was es noch so gibt), und Laufbahnen wo Du insitutionell einen gewissen Diskriminierungsschutz geniesst (öffentliche Bereiche und grosse Arbeitgeber mit einer bewussten Personalpolitik). Je eher Du auf ganz eigenen Beinen stehen kannst, desto besser wirst Du in der Familie für Dich einstehen können. Ein Wechsel zu einem Herzenswunsch oder Traumberuf ist später immer noch möglich, ein schlechter Start hingegen kaum noch auszubügeln. Ich habe schon VIELE homosexuelle Jugendliche gesehen die keine ordentlichen Wohn-, Ausbildungs- und Geldverhältnisse hatten und ganz schön am schwimmen waren deswegen, das hält einen im Werdegang ganz schön auf. Das muss echt nicht sein.
4. Gerade wenn das Leben aus o.g. Gründen mal wieder schwer ist, bietet die schwule Szene einige trügerische Trostmittel. Du wirst dort, wenn Du willst, schnell und leicht an Sex, Drogen und Bekanntschaften mit (älteren?) Männern kommen. Zum Teil ist das wohl auch normale Partykultur, aber halt die Augen offen dass das nicht anfängt, mehr Platz in Deinem Leben einzunehmen als für Dich gut ist. Es gibt viele abgestürzte Schwule. Siehe auch Punkt 3, Du wirst positive Energie und Selbstrespekt benötigen um Dein Leben gut und für Dich erfolgreich zu leben. Sich von einer oftmals um sich selbst kreisenden Szenekultur jahrelang verschlucken zu lassen, ist meiner Erfahrung nach dafür eher hinderlich. Also: die Dosis selbst bestimmen. Nimm was Dir gut tut und lass das andere weg.
Sorry für die Gardinenpredigt, aber Du hast einen Weg vor Dir der trotz allem immer noch etwas anders ist als der der meisten. Je mehr Du darüber weisst, desto bewusster kannst Du ihn gehen und desto mehr kannst Du ihn zum positiven wenden und auskosten.