Ich habe gesehen, dass auch nach so langer Zeit noch einige aktiv am schreiben sind und hoffe sehr, dass mein Beitrag noch jemanden erreicht. Ich war selbst dort, das müsste ca 97/98 gewesen sein, so genau erinnere ich mich nicht. Ich möchte nichts beschönigen, aber auch denen die Angst nehmen, die im Osterhof eine Bedrohung sehen. Ich persönlich habe kaum schlechten Erfahrungen gemacht, eher im Gegenteil. Ich habe mich dort äußerst wohl gefühlt, aber was mir tatsächlich schwer zugesetzt hat, war die vorübergehende Trennung von meinen Eltern bzw. von meiner Mama und meiner Oma. Das tat jedes Mal aufs Neue weh, wenn ich nach den Ferien zurück ins Heim musste. So ganz verstanden habe ich es damals nicht, was ich dort zu suchen habe und warum ich scheinbar "anders" bin als meine Freunde daheim. Dazu muss ich auch sagen, dass ich aus einer vergleichsweise stabilen Familie kam. Es gab zwischen meinen Eltern massive Probleme und ja klar, es hat sich auf mich ausgewirkt, denn sonst wäre ich nicht dorthin gekommen. Dennoch war mein Aufenthalt dort die freie Entscheidung meiner Mutter und sie hat immer das Sorgerecht behalten. Auch hatte sie keinerlei Probleme mich gegen den Rat der Heimleitung nach etwas mehr als einem Jahr wieder nach Hause zu holen. Dort hätte man mich gerne noch etwas länger behalten. In unserem Fall also gab es keine Versuche, mich aus der Familie zu nehmen oder gegen meine Eltern zu agieren. Meine Erinnerung an diese Zeit ist überwiegend positiv, ich habe die Natur rund um das Gelände richtig geliebt und hab schnell liebe Freunde gefunden, zu denen ich leider den Kontakt verloren habe. Das Konzept dort fand ich sehr schön, es fühlt sich nicht wie ein Kinderheim oder eine Psychologische Klinik an. Ich habe mich zwar anfangs schwer getan, konnte diesen Ort aber nach und nach als Zuhause akzeptieren und das war es dann auch.
Eine Sache allerdings habe ich dort erlebt, die eventuell durch mehr Feingefühl und schnelleres Eingreifen hätte vermieden werden können. Ich war dort mit einem Mädchen zusammen, das ca zwei Jahre älter war als ich. Damals dürfte sie zwar auch gerade mal zwischen 10 und 11 gewesen sein, aber für ein 8 Jahre altes Kind sind alle Älteren irgendwie so groß und mächtig. Dieses Mädchen wurde schnell zu einer Freundin und nach ein paar Monaten kamen wir zusammen in ein Zimmer. Erst freute ich mich riesig darüber, habe dann aber bald eine dunkle Seite an ihr kennen gelernt, die mir vorher nicht bewusst war. Heute weiß ich, dass dieses Mädchen massiven sexuellen Misshandlungen in ihrer Familie ausgesetzt war und stark traumatisiert im Osterhof gelandet ist. Vermutlich ist sie nie wieder nach Hause zurück gegangen. Als Kind war mir das Ausmaß ihrer seelischen Qualen nicht klar und ich habe einfach bloß Angst vor ihr gehabt, weil sie eine vermeindliche Freude dabei empfand, mich zu verletzen. Das geschah ganz subtil in Form von Kratzen, beissen und schlagen, aber auch andere Sachen. Ich musste u. a. dabei zusehen, wie sie ein Foto meiner Mama zerstört hat oder einen lieben Brief von Zuhause zerriss. Sie verband solche Aktionen gerne mit einem perfiden Spiel, bei dem ich bestimmte Dinge tun sollte wie andere Kinder beleidigen oder angreifen, Süßigkeiten stehlen oder mich bewusst blamieren. Weigerte ich mich, drohte sie mir mit Konsequenzen und ich war bald eingeschüchtert. Die Heimleitung griff ein, nachdem ich mich getraut habe, es ihnen anzuvertrauen. Wir wurden in verschiedene Zimmer verlegt und sie hat mich danach auch in Ruhe gelassen. Dennoch denke ich, dass denen in dem Fall nicht klar war, wie enorm dieses Mädchen geschädigt ist und ihre notwendige Betreuung unterschätzt wurde. Das sehe ich als Fehler, unter dem ich sehr leiden musste. Auch wurde in meinen Augen nicht drastisch genug reagiert, da schon früh Verletzungen (Kratzer, blaue Flecken etc) an mir bemerkt wurden und dem nicht intensiv genug nachgegangen worden ist.
Alles in allem sehe ich die Zeit im Osterhof rückblickend als stärkende und schöne Zeit, in der ich viel gelernt habe, was mir heute noch nützt. Nachhaltig geschädigt wurde ich nicht, ich bin meinen Weg gegangen, er war steinig und nicht immer leicht, aber ich habe einen sehr erfolgreichen Werdegang hinter mir und auch noch vor mir, da ich am Studieren bin. Von daher habe ich es trotz Osterhof geschafft in ein normales Leben zu finden und vielleicht war der Aufenthalt dort sogar der Grundstein dafür. Meine familiäre Situation ist noch immer nicht wie im Märchenbuch, aber ich habe gelernt, mich damit zu arangieren und konnte das meiste von mir wenden, was nicht gut für mich war.
Ich wünsche jedem, der selbst dort war oder seine Kinder dort lassen muss, dass alles gut geht. Für Fragen bin ich gerne bereit und habe auch keine Hemmungen, noch offener über alles zu sprechen, was dort passiert ist und warum ich dort gewesen bin. Dafür einfach melden, damit wir Nummern oder Email-Adressen austauschen können.
Alles Liebe!