Hallo,
auffällig ist wie Affekte (Gemütsregungen, Emotionen) im Laufe der Geschichte zunehmend moralisch bewertet wurden. Im alten Griechenland standen die drei Seelenbereiche logisitikon (Vernunft), thymoeides (das Mutartige, Aggressionstrieb) und epithymêtikon (das Begehrende, Bedürfnis, Begierde) wertfrei zusammen und bildeten ausgewogen aufeinandergestimmt lyrischen Klang, waren Sinnbild des Guten und Schönen einer Seele.
Im Laufe der Zeit und mit gesellschaftlichem Wandel erfuhren die Affekte (Emotionen, Begehren, Triebhaftes) eine zunehmende Negativbewertung. Ist verständlich da eine vermehrte Affekkontrolle der Subjekte notwendig war um immer größer werdende soziale Gemeinschaften weitgehend friedlich koexistieren zu lassen.
Von der Verteufelung von Affekten halte ich nichts, sie sind an sich eine Beleidigung an die menschliche Ehre und weisen auf ein Menschenbild, das beinhaltet dem Menschen nicht genug Vernunft zur Einsicht und Mäßigung zu zu trauen. Verteufelung eines Verhaltens ist ein auf einen naiven triebhaften Menschen bezogenes naives Ansinnen ihn zu mäßigen. Muss man soweit gehen? Meiner Ansicht nach nicht und es reicht der nüchterne weitgehend wertfreie Blick um zur gleichen Erkenntnis und Einsicht zu gelangen dass Übermaß nie gut ist.
So entwickelte sich wohl auch das Wort Leidenschaft...ein Wort das ausdrückt dass ein Übermaß an Affekten, Begierden Leiden generieren kann....fraglich ob das immer zutreffen muss.
Irgendwie habe ich das Gefühl dass Leidenschaft derzeit so eine Art Renaissance erlebt vielleicht als so eine Art Mutbetonung zu Veränderung und Neuentwicklung?
Verteufelung ist auch sehr schwarz weiss naiv da das was in jedem steckt nach außen auf eine andere Person projiziert wird dabei.
Hier spielen gängige Klischeevorstellungen in Bezug auf weiblichen oder männlichen Charakter ne Rolle. Männern wird eher Vernunftbegabung zugesprochen und Frauen eher die Affekte und Leidenschaften. Diese Trennung ist jedoch nur konstruiert und nicht rein/echt. Diese Trennung ist ein Organisationsprinzip sozialer Gemeinschaften. In Wirklichkeit haben natürlich sowohl Frauen als auch Männer gleiche Anteile an Vernunft und Affekten...allerdings wird durch Sozialisation in Hinsicht auf die gesellschaftliche Rolle ein MachtDispositiv, Normenkorsett über die Geschlechter gespannt dass ihnen gewisse Charaktermerkmale zuspricht...und natürlich entwickeln sie sich demgemäß auch in den männlichen und weiblichen Subjekten....Diese Trennung ist jedoch reversibel..ich bin eher autonom + relativ ausgewogen und überspringe das Kapitel der Trennung der Merkmale und habe mir von beiden Seiten einiges rangezogen, da ich hier Freiheiten gewittert habe denen ich nicht wiederstehen konnte.
😉
Was das Leiden im Wort Leidenschaft angeht in Bezug auf dich xandi, der du derzeit an einem Übermaß an Sexbegier leidest? Oder an einem Untermaß an Bedürfnisbefriedigung? Genau das dürfte die Schlüsselfrage für dich sein.
Begehren ist ja an sich ein Bedürfnis der Seele...
Bei leidenschaftlichen Männern und Frauen besteht meiner Ansicht nach nicht per se höhere Gefahr des Fremdgehens, es kommt individuell immer auf den Vernunftanteil und die Fähigkeit der Mäßigung in Bezug auf die Quantität an. Leidenschaft kann sich ja auch treuegebunden in qualitativer Form, Intensität und Frische ausleben.
Wie du mal wieder siehst gibt es keine Generalformel und keine letzte Gewissheit. Aber damit müssen wir als Menschen halt leben und an sich geht das auch ganz gut.
Zu meinem Seelenbegriff und Liebesbegriff: ich für meinen Teil mag das Mutartige und den Mut zur Liebe und Leidenschaft, also zu starkem Begehr da ich im Mut als wagendes Vertrauen in die eigene Kraft (auch die Kraft der Vernunft) einen guten Pol sehe meine Leidenschaften ausreichend vernünftig aus leben zu können.
Tyra
was mir noch einfällt: fällt dein Glücksbegriff oder Liebesbegriff eher epikureisch aus? Nach Epikur macht die Arete, also die Tugenden das Glück nicht aus sondern führt zum eigentlichen Glück = der Lust. Ich tendiere glaube ich in diese Richtung.
Im Gegensatz dazu lehrte die Stoa dass allein die Arete, Tugenden das Glück ausmachen würden.
Deine Frau scheint also eher stoisch geprägt vermute ich.
Zum Begriff arete, Seelenbegriff etc.:
http://de.wikipedia.org/wiki/Arete