In Deutschland steht die EMRK im Rang unter dem Grundgesetz auf Ebene des einfachen Rechts. Sie kann daher vor deutschen Gerichten wie jedes andere Gesetz geltend gemacht werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht vom 14. Oktober 2004 im Fall Görgülü [4] sind alle staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland an die Konvention und die für Deutschland in Kraft getretenen Zusatzprotokolle im Rahmen ihrer Zuständigkeit kraft Gesetzes gebunden. Sie haben die Gewährleistungen der Konvention und die Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Gewährleistungen zu berücksichtigen.[5] So sind die Urteile des EGMR eine Auslegungshilfe der Konvention für die deutschen Gerichte. Ist eine konventionskonforme Auslegung des deutschen Rechts möglich, so geht diese vor. Will ein deutsches Gericht anders als der EGMR entscheiden, muss es dies ausführlich begründen und sich mit der Rechtsprechung des EGMR eingehend auseinandersetzen.[6]
Hat der EGMR einen Menschenrechtsverstoß durch die Bundesrepublik Deutschland festgestellt, wird dadurch die Rechtskraft von Entscheidungen (z.B. ein Urteil) nicht beseitigt.[7] Kann aber die Entscheidung des EGMR in einem Gerichtsverfahren noch berücksichtigt werden, so muss dies grundsätzlich erfolgen. Das bedeutet der Menschenrechtsverstoß ist durch eine gerichtliche Entscheidung zu beseitigen.[8] Dabei ist jedoch eine "schematische Vollstreckung" nicht gefordert. Eine solche kann sogar verfassungswidrig sein. Beachtet beispielsweise das zuständige Fachgericht in einem Zivilverfahren nicht die Interessen der am Straßburger Verfahren nicht beteiligten Prozesspartei, so kann dies einen Verstoß gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip darstellen.[9] Im Fall Görgülü, einem Streit um das Umgangsrecht mit einem Kind, mussten daher auch die Interessen des Kindes und der Pflegefamilie berücksichtigt werden, die nicht in Straßburg eine Beschwerde geführt hatten.
Die Entscheidung des BVerfG lässt in weiten Umfang Interpretationen zu, ob und wie Entscheidungen des EGMR die gegen Deutschland ergangen sind, national umgesetzt werden müssen. Sie sorgte auf Seiten der Mitglieder des Europarats für erhebliche Irretationen darüber, inwieweit sich die Mitgliedsstaaten an die Beschlüsse des EGMR halten müssen.[10]
Der Gesetzgeber hat auf die Rechtsprechung des BVerfG reagiert. Stellt der EGMR eine Verletzung der EMRK oder ihrer Protokolle durch Deutschland fest und beruht ein Urteil auf dieser Verletzung, kann im Zivilprozess Restitutionsklage geführt werden (vgl. § 580 Nr. 8 ZPO). Auf diese Vorschrift verweisen auch die Vorschriften für den Arbeits- (§ 79 ArbGG), Sozial- (§ 179 SGG), Verwaltungs- (§ 153 VwGO) und Finanzgerichtsprozess (§ 134 FGO). Für den Strafprozess besteht bereits seit 1998 die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 359 Nr. 6 StPO, sog. "lex Pakelli"[11]).