Klar, ein wenig bin ich da in der Opferrolle. Das nervt mich selbst. Und dann wieder finde ich, diese Rolle ist doch berechtigt. Ich glaube nicht daran, dass man über sein Innenleben und seinen Gemütszustand komplett selbst entscheiden kann - dann müsste man ja immer wieder mit sich selbst brechen. Mönche im Fernen Osten können das wahrscheinlich, aber die haben ihren Platz im Tempel ja auch selbst erwählt. Und da gibt es Vieles nicht oder es ist eben auch selbst erwählt: Soziale Hierarchie (existent, aber ausgesucht), Geld, Konkurrenz, Sorgen um die Rente... Darum kann ich die Lehren solcher Menschen, die ich grundsätzlich schätze, auch immer schwer bis gar nicht auf mich umlegen. Wir leben in der globalen Wirklichkeit des Kapitalismus.
Man kann nicht komplett entscheiden, aber teilweise schon. Mann ist sicher nicht verdammt auf wohl und wehe seinen Gefühlen zu folgen.
Den halte ich für kein gutes System, das habt Ihr richtig und gut erkannt, ich bin ziemlich links "angehaucht". Ich bin politisch sehr interessiert und war auch lange ein bisschen engagiert (die Gruppe hat sich inzwischen zerschlagen, aber ich suche nach Neuem). Meine Idee von Gerechtigkeit, weil danach gefragt wurde, ist schlicht Chancengerechtigkeit und "soziale Durchlässigkeit", wie es so schön heißt. Sprich: Alle sollten tun bzw. sich als Position erarbeiten können, was Ihnen von Natur aus liegt und Spaß macht.
Niemand kann im Leben nur tun was ihm Spaß macht. Das ist einfach so.
Sonst würde gar nichts mehr funktionieren.
Und die Durchlässigkeit ist durchaus gegeben.
Mein Vater hat es durchaus, aus ärmerer Familie, von der Hauptschule über die Lehre über die Abendschule in eine leitende Position geschafft. Möglichkeiten gibt es immer.
Sie sind halt bisweilen mit viel Aufwand und Mühe verbunden, was man wissen muss, wollen und mögen.
Der Punkt ist: Für mich ist das wirklich identitätsberührend. Mein ganzer Freundeskreis konnte gute Jobs, ab 4000 Brutto aufwärts, in Schreibtischpositionen ergattern. Teils ist Homeoffice selbstverständlich. Ich kenne zwei verheiratete Paare, wo je beide verbeamtet sind. Bei einem dieser beiden Paare meckern beide dennoch übers Geld, seitdem sie zwei Kinder haben.
Und was hat das nun damit zu tun, dass Du von Alg2 leben musst? Du hättest sicherlich auch andere Möglichkeiten als Alg2.
Dieser Freundeskreis und ich haben uns uns in großen Teilen zerstritten in den letzten zwei jahren; und zwar unwiderruflich. Da ist nichts mehr zu kitten, wir sehen uns nicht mal mehr. Ich schreibe das ohne Sehnsucht, es soll nur klarmachen, dass Freundschaften ein gewisses Maß an sozialer Ungleichheit mitunter nicht überstehen. "Bei Geld endet die Freundschaft" hat viele Bedeutungen.
Das ist nicht so. Wir im Freundeskreis haben von allem was dabei und zwar schon weit über 30 Jahre.
Da hat sich deshalb keiner zerstritten.
Es scheint eher so , als könntest Du die Situation nicht ertragen.
Ich hatte nämlich zwischenzeitlich mal Arbeit, auch mit Zukunftsaussicht. Konkret habe ich Anfang des Jahres - auf Kosten meiner Eltern, die inzwischen in Rente sind (die besten Eltern der Welt, btw.) - nochmal ein duales Studium der Sozialen Arbeit aufgenommen. Ich wollte etwas mit Jobsicherheit, was gleichzeitig zu meiner sozialen Ader passt. Eigentlich müsste ich darüber einen eigenen Thread anfangen, aber kurz: Der Praxispartner war die Hölle auf Erden, die Hochschule ebenso. In organisatorischer Hinsicht. In der Hochschule wurde ich zum Studiengangssprecher gewählt (vielleicht aufgrund meines Alters, sonst wollte keiner), und musste mich das gesamte eine Semester, dass ich dort war, nur mit der Hochschulleitung herumschlagen, damit wir u.a.(!) eine Prüfung um zwei Wochen nach hinten verschieben durften, für die wir über einen Zeitraum von drei Monaten eine Hausarbeit hätten zusammenstellen müssen. Nur wussten wir das nicht - die Hochschule hatte es uns nicht mitgeteilt. Also, dann in zwei Wochen...
Auf der Praxisstelle wurde mein Arbeitsvertrag gelöscht (war der Sekretärin nicht peinlich), eine Personalakte gab es nicht, zwölf Klienten mussten von zwei Leuten betreut werden - und von denen kündigte einer. Nein, das war nicht ich. Ich hab höflicherweise gewartet bis zum Semesterende. Es war übrigens auch normal, Klienten (in diesem Fall "Geistig Behinderte") anzuschreien, weil ja alle dauerhaft unter Stress und Übernächtigung litten. Ein paar Mal wäre mir das auch fast passiert. Es wäre passiert - und da ist dann die rote Linie, denn dann läuft was falsch. Deutschland steht definitiv dicht am Abgrund, was diese Dinge betrifft.
Wie kann ein Arbeitsvertrag gelöscht werden? Was bedeutet das? Warst Du schon angemeldet oder wie kann ich mir das vorstellen?
Und manchmal muss man sich ja auch einfach durchbeißen, wenn das Ende absehbar ist.
Meine Kündigung liegt heute, 30.10.2022, auf den Tag genau zwei Monate zurück. Die Zeit dort war nicht umsonst, ich habe auch mindestens einen neuen freund gewonnen - immerhin! - aber natürlich wusste ich: Mir würde es jetzt nicht gut gehen; im Gegenteil.
Es geht nicht immer um kurzfristige Entscheidungen. Langfristig hast Du Dir damit geschadet.
Manchmal gilt es auch was auszuhalten um dann selber langfristig voranzukommen.
Hast Du jetzt gekündigt oder wurdest Du gekündigt? Das gibt irgendwie alles keinen Sinn und ist nicht schlüssig.
Ja, ich kämpfe nicht nur für mich, sondern auch gegen das System Hartz 4.
Dass Du jetzt da drin steckst ist doch selbst verschuldet. Ohne Alg2 hättest Du jetzt gar nichts.
Für Hartz 4 muss man bekanntermaßen seine Konten offenlegen (gut, verstehe ich sogar). Meine Eltern schicken mir monatlich etwas Geld, natürlich nur bis zum Beginn des Bezugs. Da gibt es dann aber einen "Überschneidungszeitraum", wo dieses Geld noch auf den Auszügen auftaucht und den Bezug von Hartz 4 im nächsten Monat blockiert. Sprich: Ich kriege kein Geld und meine Miete wird auch nicht bezahlt. Neulich sprach ich die zuständige Dame ganz offen auf diesen Umstand an, was sie (sie ist sehr nett) dochg stark in Verlegenheit brachte. Am Ende fragte ich sie wirklich (höflich!), ob sie mir nicht irgendeine Bank empfehlen könne, die das Jobcenter nicht abfragt! Dürfe sie nicht. Ich verließ den Raum mit den Worten "Es lebe die Deutsche Post!".
Soo doof kann man sich doch nicht anstellen! Warum bekommst Du das Geld nicht bar und alles ist gut.
Und was hat nun die deutsche Post mit Alg2 zu tun?
Was Du tust ist alles sehr, sehr kurzfristig. Sorry.
Ich habe viel versucht, nachgedacht, Richtungen eingeschlagen und wieder aufgegeben. Währenddessen sehe ich, wie alte Studienkollegen sich ihr Leben aufbauen: Heirat, Kind (gut, will ich nicht), demnächst vielleicht Haus. Und ich stehe vor dem nichts.
Die haben sich halt durch schwierige Zeiten durchgebissen, was Du nicht getan hast.
Darum sind die weiter als Du.
Ihr werdet mich jetzt natürlich für endgültig verrückt halten, wegen der Sache mit der Sozialen Arbeit. Verständlich. Ich mach's noch besser: Ich habe nächsten Donnerstag ein Kennenlerngespräch für eine mögliche eigene Filiale beim Konkurrenten meines alten Arbeitgebers. Thema Selbstständigkeit 😉.
Ich glaube, kaum jemand kann sich vorstellen, wie es sich anfühlt, morgens auf's Amt zu gehen und Hartz 4 zu beantragen und nachmittags mit einem Finanzberater (zahlt das Franchise) wegen einer möglichen Selbstständigkeit zu telefonieren. Ich habe das im Wortsinne - nicht im metaphorischen - jetzt schon so erlebt.
Wenn Du schon im normalen Arbeitsalltag nicht bestehst, dann wird das mit der Selbstständigkeit sehr, sehr schwierig.
Die heutige Nacht war die Hölle; ich habe Todesängste durchlitten und fast nicht geschlafen. So ähnlich war es, als ich neulich auf's Amt, um einfach nur meinen Personalausweis(!) zwecks Identifikation vorzuzeigen. Es ist, als würde ich am Scheideweg zwischen Himmel und Hölle stehen und müsste per Würfelspiel entscheiden, wo es jetzt langgeht. Ich muss mindestens 500 Euro pro Monat für die Rente via ETF ansparen; habe ich mal errechnet. Sonst falle ich in die Grundsicherung oder bin nur knapp drüber. Das Umlagesystem funktioniert nicht mehr; 60% der Deutschen können perspektivisch gesehen nichts mehr zurücklegen, lese ich die Tage. Mein erster Gedanke: Dann MUSST Du zu den 40% Verbleibender gehören - und zwar bald...
Das kannst Du , nur darfst Du halt nicht immer gleich aufgeben. Und da ist das System nicht schuld.
Ich finde den Kapitalismus furchtbar, aber ich lebe auch darin. Doch, ich bin da ganz bodenständig. Die Zeiten werden nicht besser.
Ohne den würdest Du nicht mal Alg2 bekommen.
Gehe halt , solange Du nichts anderes hast im Supermarkt arbeiten.Ach, und falls wer Ideen hat: Was kann man denn noch so machen, wo man oberhalb der 2000 Brutto (was ja heutzutage auch nicht mehr so viel ist) verdient? Ich bin Historiker und Philosoph, leider nur Bachelorabschluss. Frage ist ernst gemeint.
Danke nochmals für's Lesen und für Antworten🙂!
Du bist doch links, was bedeutet einer steht für den anderen ein.
Was auch bedeutet, wenn Du arbeitest, dann trägst Du zur Sicherung derer ein, die noch schlechter dran sind als Du.
Oder gilt das dann nicht mehr?
Besser weniger Lohn als Alg2.
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