Drei Zitate habe ich mir rausgesucht, die ich in dieser Diskussion interessant finde:
Ein fehlender Gott würde also den Wert moralischer Handlungen nicht vermindern. Allerdings lebt es sich als moralischer Mensch ohne religiöse Grundlage nicht gut. Der areligiöse Humanismus hängt ganz schön in der Luft.
Das hätte ich gerne näher erläutert. Ich gehe da wieder einmal von mir aus: bis etwa zum 12 Lebensjahr war Jesus (Gott war für mich zu abstrakt - eine übergeordnete Wesenheit, ähnlich dem, wie Kanja_Ewe ihn beschrieben hat) für mich so real wie die Menschen um mich herum - in meiner Wahrnehmung war er in allem, was ich tat und dachte, anwesend. Das hatte für mich die Konsequenz, daß ich zusammenzuckte bei jedem Fluch oder jedem bösen Gedanken, denn selbstverständlich konnte Jesus Gedanken lesen und ich hatte dieses "...in
Gedanken, Worten und Werken" absolut verinnerlicht. Meine bewußte Abkehr von Gott und Jesus begann etwa ab dem 12. Lebensjahr - und richtig: in den ersten Jahren mit viel Verletztheit, Zweifeln, Ängsten und auch Trauer - das war ein Prozeß, der sich über viele Jahre hinzog. Angefangen von solchen Gedanken wie "Was aber, wenn es IHN doch gibt? Dann werde ich nach meinem Tod in die Hölle kommen. Was aber, wenn ich glauben
will, aber nicht mehr
kann? Was kann ich tun, daß meine "bösen" Gedanken vor IHM verborgen bleiben - denn diese Gedanken waren ja genauso sündhaft, wie es Taten gewesen wären.
In gewisser Weise könnte man sagen, daß mein zweifelnder Glaube mir das Leben gerettet hat, ohne diese Angst, Gott und Jesus könnten vielleicht
doch existieren, hätte ich mich getötet.
Wie auch immer: ich habe mich über viele, viele Jahre immer wieder aktiv mit dem Glauben auseinandergesetzt (habe weiter vorn schon aufgezählt, in welcher Weise - ich hab mich allerdings nicht auf christliche Inhalte beschränkt, sondern hatte auch Kontakt mit Leuten von der Mun-Sekte, hab ein bißchen mit Leuten von der Bhagwan-Sekte 'geflirtet' (beides nicht besonders tiefgehend), die Mitgliedschaft bei der Scientology Church war schon etwas schwieriger abzuschütteln - wenn ein so tief religiöser Glaube, wie ich ihn als Kind empfunden habe, wegfällt, dann hungert die Seele sehr intensiv nach spirituellem "Ersatz", der den leergewordenen Platz im Fühlen und Denken einnehmen könnte. Hab ich zumindest so empfunden.
Erst als meine Ängste so nach und nach kleiner wurden und ich mich zunehmend mit der Beantwortung bestimmter ethischer / moralischer Fragen und was diese für mich und mein Leben bedeuten, beschäftigt habe, konnte ich mich unbefangener - weil weniger ängstlich - mit den Inhalten der christlichen Lehre auseinandersetzen. Ein Jesuitenpater hat mir damals in vielen seelsorgerlichen Gesprächen sehr dabei geholfen. Heute empfinde ich diese Jahre und meine 'Suche' sozusagen als lange währenden Prozeß des Loslassens, des Frei werdens von Glaubenszwängen - eine Art Kehraus. Mein Haß, meine Ängste, meine Enttäuschungen im Zusammenhang mit Gott und Jesus sind so nach und nach verschwunden und ich konnte mich unbefangener damit auseinandersetzen, was die Botschaft der Bibel nun eigentlich für mein heutiges Leben bedeuten könnte.
In der Zeit habe ich dann auch angefangen, eine Art "moralisches Gerüst" für mein eigenes Lebens zu errichten: nicht sonderlich statisch, immer wieder 'Anpassungen' ausgesetzt, ziemlich mühsam und ziemlich anspruchsvoll und irgendwie verbindlicher, als es mein kindlicher Christusglaube je war.
Deshalb kann ich deine oben zitierte Aussage nicht nachvollziehen, EuFrank. Warum meinst du, daß man als "moralischer Mensch ohne religiöse Grundlage" nicht gut lebt? Ich lebe damit angstfreier - wenngleich dieses Leben nicht weniger "anstrengend" ist, weil ich das, was ich für mich als wertvoll und wichtig erkenne, immer wieder mit dem, was mir begegnet und was von anderen Menschen zu mir zurückkommt, "koordinieren" muß. Und warum meinst du, der "areligiöse Humanismus" hinge in der Luft?
...
Was letztendlich hinter den Naturgesetzen steckt, ob die Zeit nur ein integraler Bestandteil der Ewigkeit ist, vermag ich auch nicht zu sagen.
Aber wie ist es möglich, daß man am Beginn des 3. Jahrtausends unserer Zeitrechnung sich immer noch mit der Gottesinterpretation der alten Männer vor über 2000 Jahren auseinandersetzt , die selbstredend in den Paradigmen ihrer Zeit gedacht und gehandelt haben ...
Beim Lesen deiner Zeilen, Wapiti, schoß mir so durch den Kopf, daß Menschen zu allen Zeiten versucht haben, das, was für sie unerklärlich, weil übermächtig, groß und unfaßbar, in Bilder umzusetzen - sei es in Form von Legenden, sei es in Form von "Übersetzungen" in Tiergottheiten oder eben in die Gestalt eines Gottvaters. Wenn ich mir vorstelle, wie unbegreiflich die Natur in all ihren schönen, aber auch grausamen Erscheinungsformen auf uns auch heute noch wirkt, wenn ich mir außerdem vorstelle, daß die Frage nach dem "Warum" angesichts Katastrophen, Verlusten, Gewalt und Tod so alt ist wie die Menschheit selbst, dann denke ich, daß wir diese "Gottesinterpretation der alten Männer vor über 2000 Jahren" aus unserer heutigen Sicht schlicht mißverstehen. Zumindest ich habe von klein auf gelernt, daß Gott ein liebender Gott sei - wenn diese Gottesvorstellung aber nichts weiter wäre als eine Art Abbild der Welt, in der wir leben - mit all ihren grandiosen, herzzerreißend schönen, aber auch abgrundtief schrecklichen Erscheinungen - dann komme ich in die Nähe dessen, wie Kanja_Ewe ihre Gottesvorstellung beschreibt: als unbewegten, nicht eingreifenden, unbeeinflußbaren Gott.
Für mich heißt das: wenn ich mein Leben damit zubringe, das, was dieser "Gott" (als Personifikation der Welt, in der ich lebe) zu interpretieren und nach seinem Willen zu leben, dann muß ich scheitern, weil ich weder die Welt noch ihre "Prüfungen" durch mein Verhalten beeinflussen kann - zumindest nicht in der Form, wie man es sich oft vorstellt. Die Welt interessiert es schlicht und ergreifend nicht, ob ein Kind vergewaltigt wird, ob Menschen einander morden oder ob wir sonntags in dir Kirche laufen, um dort Lieder zu singen - die Welt straft nicht, sie existiert einfach.
Übergeordnet betrachtet aber hat menschliches Verhalten eben doch Einfluß auf "die Welt": indem wir sie betrachten, anerkennen und nach ihren Gesetzen leben, Respekt vor dem Leben an sich haben usw. gestalten wir diese Welt: es liegt in unserer Entscheidung, ob wir sie zumüllen, ob wir Atomkraftwerke bauen, ob wir das Ozonloch vergrößern, es liegt in unserem Ermessen, ob wir Kriege führen oder versuchen, uns mit anderen Völkern zu verständigen usw. - für all diese Dinge finden sich in den Schriften der "alten Männer vor 2000 Jahren" reichlich passende Lebensweisheiten.
Ich denke, so lange Menschen versuchen, sich Gott als
Person vorzustellen, werden sie der Versuchung erliegen, enttäuscht, wütend oder verletzt zu werden wie kleine Kinder, die sich weinend zu Boden werfen, weil Mutti ihren Wunsch oder ihre Erwartung nach Süßem nicht erfüllt.
Ich denke schon, dass man sich Gott durchaus als eine Person vorstellen kann. Ich bevorzuge diese personale Vorstellungsart. Wobei es mir aber etwas schwer fällt, den Begriff "Person" zu definieren. Das wichtigste ist mir am PersonBegriff vielleicht der freie selbstständige Charakter. Und da ich mich selbst als Person wahrnehme, würde ich es etwas komisch finden, wenn ich dem vollkommeneren Gott seine Personalität absprechen würde.
Eines der obersten Gebote lautet: "Du sollst dir kein Bildnis machen". Ich glaube nicht, daß damit bloß die Vorstellung eines Gottes mit Rauschebart gemeint war.
Vielleicht liegt darin der Schlüssel zu vielen Streitereien über den christlichen Glauben? So lange wir versuchen, uns Gott vorzustellen als "Person", werden wir "IHN" ähnlich wahrnehmen wie uns selbst ("Gott erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild") - wenn Gott aber existiert und allmächtig ist, wie könnten wir ihn dann überhaupt begreifen?
WENN es ihn gibt, dann in einer so unfaßbaren Dimension, daß ich ihn mir nicht als personalisierte Wesenheit vorstellen will. Daraus folgt für mich: ich versuche nach bestem Wissen und Gewissen zu leben, ohne mich um "IHN" zu kümmern, so wie "ER" sich auch nicht um mich als kleine Fritzie mit so kleinen Wünschen wie Geborgenheit und jeden Tag ein Schokoeis kümmert.