Ich war im Herbst zu unserem 50-jährigen Treffen. Es war erschreckend zu sehen wer schon alles verstorben ist.
Ja, im Angesicht des Todes und schwerer Krankheiten oder Schicksalsschläge wird es ernst, dann ist wahrscheinlich auch nicht mehr so vielen nach Angeben zumute. Da ist man dankbar, dass man lebt und sich überhaupt noch mal sehen kann.
Selbst in meiner Jahrgangsstufe sind schon einige verstorben, meist an Krebserkrankungen oder ( zwei Mitschüler) Selbstmord. Einer der an Krebs verstorbenen Mitschüler hatte zu dem Zeitpunkt eine noch kleine Tochter. Eine andere Mitschülerin, früher supersportlich (bekam bei den Bundesjugendspielen immer eine Ehrenurkunde), war Lehrerin, verstarb nach einer mehrjährigen Krebserkrankung (zwischenzeitlich hatte es sogar noch wieder ganz gut ausgesehen), hinterließ ihren Ehemann und drei Söhne. Traurig. Eigentlich sollte das einigen zu denken geben.
Selbstmorde kommen gar nicht selten auch in Familien vor, in denen gern geprahlt und sich vorzugsweise mit Leuten aus höheren Kreisen abgegeben wird. Eine Schwester meiner früheren Schulfreundin hat sich vor einigen Jahren auch das Leben genommen. Sie war schwer depressiv. Sie hatte zunächst Schwierigkeiten gehabt, nach dem Studium beruflich Fuß zu fassen, was ihr letztlich aber dann doch gelungen war. Ihr Partner, mit dem sie zusammenlebte, hatte zwar studiert, aber das Studium nicht beendet und war letztlich Taxifahrer geworden. Das war insbesondere ihrem Vater, der gerne seine Herkunft aus einem alten Bauerngeschlecht (Cousin Landtagspräsident) mit Stammbaum bis ins 16. oder 17. Jahrhundert betonte, ein Dorn im Auge. Der hatte schon mit einer anderen Schwester meiner Freundin Terror gemacht, weil sie "nur" einen Physiotherapeuten und Nebenerwerbslandwirt geheiratet hatte, der in einer begehrten Urlaubsgegend ein Haus besitzt. War ihm als Schwiegersohn nicht gut genug. Vor der Heirat hat er noch einen bösen Brief hingeschrieben, womit er die Hochzeit aber letztlich nicht verhindern konnte. Wirklich als Schwiegersohn akzeptiert hat er nur den Mann meiner Freundin, einen promovierten Juristen. Die Heirat hatte er selbst eingefädelt, es handelte sich nämlich um den Sohn seiner früheren Jugendliebe aus der Tanzschulzeit. Die Teilnehmer an diesem Kurs hielten als "Clübchen" immer noch Kontakt und trafen sich einmal jährlich reihum. Da hat er seine Tochter gut untergebracht. Die Ehefrau des Bruders meiner Freundin ist Französin, von Beruf Logopädin. Sie wird auch akzeptiert, vor allem, weil sie Französin ist, damit lässt sich ja gut prahlen (wäre sie Türkin, wäre das schon wieder etwas anderes). Aber die jüngere Schwester hat diese Einstellung in der Familie offensichtlich nicht gut verkraftet, ist daran zerbrochen oder zumindest hat sie keinen Halt daran finden können.
Leute, die zu Klassentreffen gehen, sind wahrscheinlich typische Networker. Jetzt werden wieder Kommentare kommen: "Na und? Dürfen sie doch. Was ist so schlimm daran?" Nichts, bis auf die berechnende Einstellung, die oftmals dahinter steht, und die Folgen für diejenigen, die durch das Raster fallen und ausgegrenzt werden. Egal, ob sie an Schicksalsschlägen und Misserfolgen selber schuld sind oder auch nicht.
Ich habe inzwischen erkannt, dass ich zu solchen Menschen nicht passe, auch wenn ich lange für diese Erkenntnis gebraucht habe. Deshalb sehe ich, wie viele andere auch, Klassentreffen eben kritisch. Nach außen hin hört sich alles so toll an, bis man genauer hinsieht und erkennt, welche Kriterien die Leute erfüllen (müssen), um über Jahrzehnte alte Freundschaften behalten zu können. Meist gelingt das nur, wenn beide Seiten entweder sehr erfolgreich sind (oder aber umgekehrt, wenn beide ihr Päckchen zu tragen haben). Selbst bei vielbeschäftigten Prominenten gibt es langjährige Schulfreundschaften, aber die können sich dann auch gegenseitig Vorteile davon versprechen. Wer hat nicht gern eine einflussreiche Patentante oder einen entsprechenden Patenonkel in einer hohen beruflichen oder gesellschaftlichen Position für seine Kinder? Wer gibt sich nicht gern einen kosmopolitischen Anstrich und schmückt sich nicht gern mit seinen "Freunden" aus dem Ausland, jedenfalls, wenn es sich um eine Nation handelt, die in Deutschland hohes Ansehen genießt? Ich kenne zig Beispiele, prominente und nicht prominente, wo das so abläuft.
Wenn die Atmosphäre in unserer Gesellschaft so wäre, dass sich bei Klassentreffen etc. jeder wohl und akzeptiert fühlen könnte, egal wie es ihm im Leben ergangen ist, dann wäre es etwas anderes. Aber das ist eine Utopie.