Den größten Teil meines Erwachsenenlebens habe ich als Lesbe gelebt, offen gelebt, habe mich an Arbeitsstellen als Lesbe zu erkennen gegeben, war nie "versteckt" usw. In all den Jahren ist mir nur ein einziges Mal ein blöder Spruch um die Ohren geflogen, gelegentlich mal ein irritierter Blick, ansonsten positive Reaktionen. München ist zwar nicht so konservativ wie der Rest von Bayern, aber auch nicht so weltoffen wie Berlin.
Ich war allerdings auch für Gaymagazine aktiv, war in Frauenprojekten usw. engagiert und bekam so auch mit, daß Diskriminierungen tatsächlich stattfanden, auch sexuelle Übergriffe gegen Lesben.
Ich will nix beschönigen, die Gewaltübergriffe gegen überwiegend männliche Homosexuelle nehmen in den letzten Jahren wieder zu, das ist Fakt. Aber: ich kann mir vorstellen, daß hier ein ähnlicher Effekt eintritt, wie er auch im Zusammenhang mit Feminismus zu beobachten ist, nämlich: es wird immer Menschen geben, die sich als Verlierer einer Bewegung empfinden und dann die vermeintliche Ursache als Feindbild hochstilisieren. Gay/Bi ist heutzutage en vogue, ist offensiv, zum Teil auch sehr plakativ, gelten noch immer in manchen Bereichen als Trendsetter. Auf der anderen Seite so viele verunsicherte, sexuell unsichere, sich an konservative Werte klammernde Leute, die es nicht fassen können, daß das "Abweichende" scheinbar so schick, so locker, so fröhlich vor sich hinlebt, wo sie selbst nicht mithalten können... sowas frustriert. "Schuld" sind dann die Perversen, die die Sitten verderben... verstärkt wird das dann, wenn Homosexualität, BDSM oder sonstige frivole Lebensstile so offen gezeigt werden. Damit kommen viele nicht zurecht. Keine Entschuldigung, aber Erklärung aus meiner Sicht.
Gewalt und Diskriminierung gab's immer, wird's immer geben. Die Ziele verändern sich je nach Zeitgeist. Merken tun wir's immer dann, wenn wir mit betroffen oder zumindest "nah dran" an denjenigen sind, die davon betroffen sind.