Liebe Rosenblüte
Ich habe einiges von Dir gelesen und habe den Eindruck, dass Du Deine Vergangenheit nie richtig verarbeitet hast. Dass sie sich aber immer wieder aufdrängt und dass Du versuchst, Deinen Gefühlen in Deinen Texten Gestalt zu verleihen. Und, wenn ich Deine Texte richtig deute, hast Du nicht oft mit Menschen über Deine Vergangenheit gesprochen.
Es ist jetzt bestimmt nicht Deine Aufgabe, ein gutes Beispiel für andere zu sein. Und der erste Gedanke sollte jetzt auch nicht sein, Deinen Täter anzuzeigen.
Wenn ich Dir einen Rat geben darf, dann versuche ganz klein anzufangen. Dich vielleicht zuerst einmal ganz wenigen Menschen zu öffnen, denen Du vertrauen kannst. Wenn das klappt, und das wird klappen, wenn Du Dir die richtigen Menschen dafür aussuchst, dann bekommst Du einen emotionalen Rückhalt, bist nicht mehr alleine mit Deiner Geschichte.
Danach könntest Du erwägen, Deine Geschichte nach und nach einem Therapeuten anzuvertrauen. Dabei würde ich Dir raten, den Therapeuten sehr gut auszusuchen. Es sollte jemand sein, der Dich etwas fordert, Dich aber auch nicht gleich erschlägt. Halt jemand, bei dem Du Dich geborgen fühlst.
Erst danach kann ich es mir sinnvoll vorstellen, über eine Anzeige nachzudenken, oder gar anderen Menschen ein Beispiel zu sein.
Zum Verzeihen möchte ich Dir auch noch etwas sagen. Es gab in meinem Leben auch einzelne Menschen, die mir Schaden zugefügt haben, bei denen sich die Frage stellte, ob ich ihnen verzeihen kann. Sicher ist es schön, wenn man einem Menschen verzeihen kann. Es ist der angenehmste Weg, mit seiner Vergangenheit umzugehen. Aber manchmal ist das nicht so einfach, oder sogar unmöglich.
Wenn ich einem Menschen verziehen habe, dann habe ich das nie vorgehabt. Es ist geschehen, und ich habe es festgestellt. Meiner Mutter habe ich irgendwann verziehen. Nachdem sie mich die letzten 10 Jahre ihres Lebens nicht mehr gesehen hat. Heute, nachdem sie etwa 6 Jahre tot ist, nehme ich ihr Verhalten nicht mehr übel. Manchmal werde ich noch wütend, wenn ich damit konfrontiert werde, aber das ist auch schon alles. Aber letztlich war meine Mutter in ihren Möglichkeiten eine gute Mutter. Sie ist mit Deinem Täter nicht zu vergleichen.
Bei Püppi, die mich in naher Vergangenheit jahrelang benutzt hat, fällt mir das schon schwerer. Ich kann mir heute nicht vorstellen, ihr jemals verzeihen zu können. Ich kann mir eher vorstellen, dass ich sie verachten werde. Sie hat sich zwar pauschal entschuldigt, aber das reicht mir nicht. Dafür ist zuviel geschehen. Und sie hat es trotz Therapie nicht geschafft, mit Menschen anders umzugehen. Ich glaube nicht, dass sie es jemals machen wird. Warum sollte ich ihr also verzeihen? Irgendwann wird sie mir nur noch gleichgültig sein.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Du es schaffen wirst, Deinem Täter jemals zu verzeihen. Es mag ein Wunsch sein, der sich aber nicht realisieren lässt. Du musst andere Wege finden, mit Deiner Geschichte und mit Deinem Täter umzugehen.
Ich glaube, ich kann vieles nachvollziehen, was Du beschreibst. Ich habe zwar nicht Deine Geschichte, aber ich habe eine eigene Vergangenheit und eigene Ängste und die waren früher einmal noch viel größer.
Nur eines verunsichert mich. Was ist es, was Du Dir vergeben möchtest? Ich kann nicht sehen, was Du falsch gemacht hast.
Günter