Zum Film am 7. + 8.11. "Eine einzige Tablette"
"EINE EINZIGE TABLETTE"
Der umstrittene Zweiteiler "Eine einzige Tablette" von Regisseur Adolf Winkelmann erzählt - fiktionalisiert - die Geschichte des Contergan-Skandals. Das Schlafmittel, das in dem Ruf stand, keinerlei Nebenwirkungen zu haben, und deshalb häufig von Schwangeren eingenommen wurde, verschwand 1961 vom Markt, nachdem tausende Mütter missgebildete Babys geboren hatten. Sowohl der Hersteller, der Pharmakonzern Grünenthal, als auch der Opferanwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen hatten gegen die Ausstrahlung geklagt. Schulte-Hillen, selbst Vater eines geschädigten Sohnes, hatte damals im Prozess gegen Grünenthal gefochten, sah aber jetzt durch den Film seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Die Figur des Anwalts Paul Wegener, dessen Tochter Contergan-geschädigt ist, basiert auf seiner Biografie. Anfang September wies das Bundesverfassungsgericht allerdings zwei Eilanträge zurück, sodass der Film heute und morgen in der ARD gesendet werden darf - obwohl er zu einem späteren Zeitpunkt noch verboten werden könnte. Allerdings hielten einige Szenen aus dem Drehbuch dem zwei Jahre währenden Rechtsstreit nicht stand. Außerdem erklärt im Vor- und Abspann jeweils ein Text, was historisch belegt und was reine Dichtung ist.
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Bericht aus der TAZ (7.11.2007)
Dass Grünenthal nicht begeistert davon sein würde, die Geschichte neu aufzurollen, war ja zu erwarten. Aber der damalige Gegner des Pharmakonzerns, der Opferanwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen, dessen Sohn selbst geschädigt ist, hat versucht, die Ausstrahlung zu verhindern.
Ja, das hat uns sehr enttäuscht. Über seine Gründe kann ich nur Mutmaßungen anstellen, aber ich habe ein Bild vor Augen: Landgericht Hamburg, Karl-Hermann Schulte-Hillen, der ehemalige Opferanwalt auf der Seite von Grünenthal, neben ihm Herbert Wartensleben, der damals Justitiar bei Grünenthal war - zwei, die sich mittlerweile als beste Freunde bezeichnen. Nach erbittertem Rechtsstreit verwalteten sie gemeinsam das Geld für die Opfer, heute sind sie Verbündete.
Bei Ihnen hört es sich an, als hätte Schulte-Hillen auf die Seite des Bösen gewechselt. Tatsächlich sah er aber in der ursprünglichen Drehbuchfassung seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Wenn etwa, wie es anfangs im Drehbuch stand, der Opferanwalt eine Affäre mit einer Mandantin anfängt - was frei erfunden ist -, können Sie da seinen Ärger nicht nachvollziehen?
Nein, das kann ich nicht. Er hat keinen Grund, sich zu ärgern. Die Figur des Anwalts Paul Wegener ist frei erfunden. Sie unterscheidet sich in so vielen wesentlichen Merkmalen von Schulte-Hillen, dass eine Verwechslung schlichtweg nicht möglich ist. Zudem ist Paul Wegener sowohl im Drehbuch als auch im Film ein unzweifelhaft moralisch integrer, positiver Held, der seine Frau und seine Tochter über alles liebt. Das Gericht hat ja nun auch alle 17 Verbotsanträge des Karl-Hermann Schulte-Hillen zurückgewiesen und von den 15 Grünenthal-Anträgen nur einen halben bestätigt.
Die Darstellung des Detektivs.
Ja, es geht es um die Figur des Detektivs Karges, der versucht, den Anwalt und die Opfer zu diffamieren. Das Gericht hat entschieden, dass wir nicht darstellen dürfen, Derartiges sei mit Wissen und Billigung der Grünenthal Geschäftsleitung geschehen.
Warum haben Sie überhaupt einen Detektiv eingebaut?
Weil es ihn gab.
Aber in anderer Form. Historisch verbürgt ist, dass ein Detektiv im Auftrag Grünenthals missliebige Ärzte ausspionieren sollte. Aber es ist nicht bekannt, dass versucht wurde, die Opfer in der Öffentlichkeit oder vor ihren Familien bloßzustellen.
Deshalb haben wir den Film geändert.
Es gibt noch mehr historische Unwahrheiten. Etwa wenn Sie suggerieren, Grünenthal hätte Jahre gebraucht, Contergan vom Markt zu nehmen, obwohl es nur zwölf Tage dauerte. Warum haben Sie den Fall aufgemotzt. Ist die wahre Geschichte nicht stark genug?
Sie irren. Auch in diesem Punkt hält sich der Film an die historischen Fakten. Tausenden von Contergan-Opfern wären ihre Behinderungen erspart geblieben, wenn die in der Firma Grünenthal Verantwortlichen auf bereits seit 1958 vorliegende und sich häufende Warnhinweise auf schwerste andere Nebenwirkungen des Medikaments angemessen reagiert hätten. Die Anklageschrift des damaligen Contergan-Prozesses listet auf gut 400 Seiten eine nicht enden wollende Abfolge von Meldungen über schwere und schwerste Nervenschädigungen auf. 1958 und 1959 vereinzelt, bald vermehrt und schließlich in den Jahren 1960/61 von Monat zu Monat bis in Tausende von Fällen ansteigend, melden sich Klinikärzte, niedergelassene Ärzte, Apotheker und irgendwann auch Geschädigte bei der Firma Grünenthal mit Hinweisen auf schwerste Nervenschädigungen nach Einnahme von Thalidomid. Diese werden von den behandelnden Ärzten in vielen Fällen als irreversibel beschrieben. Obwohl man es besser hätte wissen können und besser hätte wissen müssen, haben die damals Verantwortlichen keine Anstrengung unterlassen, das Medikament zu "schützen", es aggressiv zu bewerben und wirtschaftlich höchst erfolgreich massenhaft auf dem Markt zu verbreiten. Erst als Ende 1961 der Zusammenhang von Thalidomid mit embryonalen Missbildungen offenkundig wurde und durch einen Zeitungsartikel einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden war, sah sich Grünenthal zur Rücknahme des Medikaments veranlasst. Unser Film stellt Letzteres genauso dar, ist eher zurückhaltend in seiner Interpretation der sonstigen Fakten und schon gar nicht aufgemotzt.