Hallo miteinander
Ich habe mir lange überlegt, ob ich meine Abhängigkeit, das heißt, ihre Struktur einmal beschreibe. Es wird doch sehr persönlich. Ich denke, ich mache es einfach einmal. Alles begann mit dem Verhältnis zu meiner Mutter.
Jemanden wie meine Mutter hätte sich der ein oder andere aus diesem Forum sicher gewünscht. Sie war warm, herzlich und liebevoll. Sie hat sich um ihre Kinder bemüht, sich richtig aufgeopfert. Sie war emotional und lebenslustig.
Aber, natürlich ein aber, sie war depressiv, zumindest in der Situation, in der sie lebte. Als ich noch klein war, erzählte sie mir immer mal wieder, was sie machen würde, wenn mein Vater einmal nicht mehr von der Arbeit nach hause kommen würde. Sie würde sich mit mir eine Wohnung suchen und wieder arbeiten. Und sie war so glücklich, als sie mit mir schwanger wurde. Und dass sie sich vielleicht schon lange das Leben genommen hätte, wenn ich nicht gekommen wäre.
Ich entstand mit 10 Jahren Abstand zu meinen Geschwistern, ich war ein "Unfall". Und offenbar war ich für das Leben meiner Mutter verantwortlich. Ob sie meinen Vater geliebt hat? Fraglich. Insgeheim hat sie sich seinen Tod gewünscht. Und sie hat sich ganz auf ihre Kinder gestürzt. Nicht nur, weil sie in dem Verhältnis mit ihrem Mann unglücklich war, auch weil sie nicht wollte, dass es ihren Kindern so erging, wie ihr.
Meine Mutter hatte wieder einen Konflikt mit ihrer Mutter. Sie entstand in einer Beziehung vor der Ehe meiner Großmutter mit meinem Großvater. Sie wurde von meiner Großmutter nie geliebt, sie wurde ganz offen abgelehnt, immer gegenüber ihren Halbgeschwistern benachteiligt und nicht beachtet. Meiner Mutter war das bewußt, aber sie hat immer wieder versucht, die Liebe meiner Großmutter zu gewinnen. Sie hat es nie geschafft. Meine Großmutter hat es mit ins Grab genommen.
Als Folge verliebe ich mich tendentiell in Frauen, die einen großen Konflikt mit ihrer Mutter haben, sich von ihr nicht geliebt fühlen, abgelehnt werden. Ein Gespräch reicht, ohne dass auch nur das Wort Mutter fällt, und ich weiß bescheid. Sogar hier im Forum ist mir das passiert. Ich habe eine Seite gelesen, meine Gefühle bemerkt und wußte bescheid. Die Frau mußte einen Konflikt mit ihrer Mutter haben.
Das für sich ist nicht schlimm. Ich bin ein sehr guter platonischer Freund für derartige Frauen und auch Beziehungen können so funktionieren. Die Partnerin, die mir am meisten bedeutet hatte, hatte auch einen Konflikt mit ihrer Mutter, der so weit ging, dass sie den Kontakt ganz abbrach und sich eine Geheimnummer zulegte. Sie sah mich als einen Felsen in der Brandung an, einen ruhenden Pol, um den sie sich bewegen konnte. Ich tue solchen Frauen gut.
Die Beziehung ist leider an anderen Aspekten gescheitert. Meine Mutter war in ihrer Liebe eben auch sehr besitzergreifend. Irgendwann hatte sie bereits geplant, dass sie nach dem Tode meines Vaters bei mir unterkommen würde. Meine Überlebensstrategie damals war, mich ganz in mich zurück zu ziehen und nichts mehr von mir zu zeigen, meine Gefühle gar nicht mehr wahrzunehmen. Daran scheiterte leider diese Beziehung. Die Dame war ein emotionaler Schlagbohrhammer, dem ich nicht gewachsen war und ich zog mich vollkommen in mich zurück, so, wie ich es gelernt hatte.
Um meiner Mutter zu entgehen brach ich mit 27 Jahren den Kontakt zu ihr und, damit keine Konflikte entstehen, zu meiner ganzen Familie ab. Ich nahm ihn mit ihrer Beerdigung wieder auf und war zum ersten Mal in der Lage, Kontakt zu meinem Vater aufzunehmen. Meine Mutter hatte sich verrechnet, sie war vorher gestorben. Ich hatte zwar irgendwann in meiner Kindheit bemerkt, dass mein Vater gar kein Monster ist, trotzdem stand sie immer zwischen mir und ihm. Heute verstehen wir uns gut, auch wenn ich das Thema nicht ansprechen darf. Schließlich war sie seine Frau und er hat sie geliebt.
Die Folgen trage ich leider bis heute in mir. Durch die enge Beziehung zu meiner Mutter mache ich mein Leben sehr stark abhängig von einer Partnerin. Ohne Partnerin dümpele ich vor mir hin, mit Partnerin werde ich aktiv. Ausserdem habe ich von meiner Mutter gelernt, wie man einen Menschen liebt. Sie hat mich nie loslassen können. Entsprechend fällt es mir unglaublich schwer, einen Partner nach einer Trennung wieder loszulassen. Trennungen sind für mich der Horror. Ich muss sogar damit rechnen, dass ich besitzergreifend bin, obwohl ich selten eifersüchtig bin. Vielleicht bin ich selten eifersüchtig, weil ich mir meiner Mutter immer absolut sicher war. Und ich muss immer darauf aufpassen, dass ich mich meiner Partnerin nicht unterordne, dann gehe ich unter. Trotzdem passiert es mir immer mal wieder. Und leider habe ich Angst vor Nähe. Ich könnte gefressen werden.
Heute bedauere ich manchmal, dass ich den Kontakt ganz abgebrochen habe. Was ich mit ihr nicht habe lösen können, muss ich jetzt mit meinen Partnerinnen lösen. Aber hätte ich es mit ihr lösen können? Ich glaube nicht. Sie hätte Besitz von mir ergriffen und so getan, als sei nie etwas geschehen. Ich hatte keine Chance.
Und Abhängigkeit, jeder Mensch besitzt solche Strukturen. Man sehe sich nur die Geschicht vom Standhaften an. Ein Mann wie ein Baum, der jedem Sturm trotzt. Aber wenn ihn seine Frau verläßt, finden seine Wurzeln keinen Halt mehr. Wer hätte gesagt, er sei abhängig. Dennoch ist er es. Fast alle Menschen sind es. Es ist nur die Frage, wie man damit durchs Leben kommt und wie sehr man darunter leidet.
Gibt es eine richtige Erziehung? Vielleicht. Ich weiß es nicht. Meine Großmutter hat den einen Fehler gemacht, meine Mutter den anderen. So zieht es durch die Generationen. Jede Erziehung bildet Strukturen im Kind aus, mit denen dieser kleine Mensch eines Tages durch sein Leben gehen muss.
So, das ist meine Geschichte, meine Struktur, mein Schema. Es ist eine Sache es zu kennen und eine andere, es zu ändern. Nach jeder Trennung muss ich mir eingestehen, dass ein Teil davon immer noch gegriffen hat. Es wird mich durch mein Leben begleiten.
Günter