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Hat das psychologische Zeitalter alles falsch gemacht?

G

Gelöscht 126322

Gast
"Psychologisches Zeitalter" ist ein Begriff, der vom Soziologen Daniel Bell geprägt wurde und meiner Ansicht nach ganz gut die Gesellschaft der letzten Jahrzehnte beschreibt. Im psychologischen Zeitalter ging es den Gesellschaften, die es zur Industrialisierung geschafft hatten darum psychologisches Wissen anzuhäufen und psychologische Dienstleistungen aller Art auszubauen. Es ging anscheinend darum Potential zu entfalten und Bedürfnisse zu befriedigen.

Auf der privateren Ebene drückte sich das psychologische Zeitalter oft in der seelisch-geistigen Selbstoptimierung aus: Lebensberatung, Hosentaschenpsychologie in Form von tausenden von Taschenbüchern, Yoga und Meditation bis hin zu skurriler Esoterik.

Auf wirtschaftlicher Ebene: Einstellungstests, Coachings, Bewertungsbögen, Werbe- und Verkaufstricks.

Auf der klinischen Ebene: Psychologisieren ohne Sinn und Zweck, Stopfen von Erklärungslücken in der Forschung und teilweise Fehlinterpretieren und unmenschliches Handeln, beispielsweise überall dort, wo es um unerklärliche Krankheiten des Gehirns ging.

Es kam wie es kommen musste. Vieles aus dem klinischen Bereich wurde auf den privaten Bereich übertragen, was zu weiteren gesellschaftlichen Fehlleistungen führte: Der Expartner war nicht mehr länger nur unfair, sondern gleich ein Narzisst. Das schüchterne Mädchen war nicht mehr einfach nur schüchtern, sondern hatte gleich eine Angststörung. Und der höfliche Bewerber war nicht einfach nur zurückhaltend höflich, sondern defensiv desinteressiert. Normales Verhalten wurde als falsch und krankhaft interpretiert.

Bereits Bell hatte davor gewarnt, dass das psychologische Zeitalter negative Folgen mit sich brachte: Zerstörung von Werten, Schwächung von Bindungen und Erzeugung von Konflikten und Unsicherheiten.

Dort wo man Gutes tun und erreichen wollte haben sich einfach nur Dienstleister angesiedelt, die vorgaben alles besser erklären und tun zu können. Aber vielleicht wurde dadurch mehr Schaden angerichtet, als Gutes getan. Wie seht Ihr das?
 

Daoga

Urgestein
Man muß sich nicht zwanghaft jeden Schuh anziehen, der vor einen hingestellt wird. Je größer das Angebot, von ehrlich bis Betrug, um so mehr Menschenverstand sollte man vorher anschalten, bevor man sich damit befaßt, das Gute kann man nehmen, der Rest in die Mülltonne, wie überall sonst auch.

Bereits Bell hatte davor gewarnt, dass das psychologische Zeitalter negative Folgen mit sich brachte: Zerstörung von Werten, Schwächung von Bindungen und Erzeugung von Konflikten und Unsicherheiten.
Das sind ganz allgemeine Phänomene unserer Zeit, nicht nur in psychologischer Hinsicht. Alte "Werte" oder "Bindungen" sind auch nicht immer Gold gewesen, denken wir an gesellschaftliche Frauendiskriminierung, Tyrannei und Gewalt in Familien der die Opfer kaum entkommen konnten, und Homophobie. Konflikte und Unsicherheiten gehen ganz natürlich einher mit vermehrter Freiheit, denn so frei wie heute waren die Menschen noch nie vorher, und Freiheit erfordert einfach daß man selber die Wahl trifft, überall und ständig aufs Neue. Und wenn man die falsche Wahl trifft, kann man dafür keinen anderen verantwortlich machen als sich selbst. Heute sieht man schon die Gegenbewegung dazu, Freiheit für alle aber Verantwortung will niemand mehr übernehmen, wenn was schief geht sind Gott und die Welt und die böse Allgemeinheit und die böse Politik sowieso schuld. Viele Leute möchten am liebsten alle Verantwortung abschieben wie ein kleines Kind, das vollversorgt wird und sich selber um nichts kümmern muß. Mama und Papa Staat kümmern sich schon, und wenn sie es nicht tun, wirft man sich auf den Boden und schreit - oder klebt sich irgendwo als lästiges Hindernis fest. Klingt bekannt, oder?
 
G

Gelöscht 120756

Gast
TRIGGERWARNUNG




Leider kenne ich den Psychologen Daniel Bell nicht.

Meine Familie kommt ursprünglich aus einer Gesellschaft, wo es weniger Psychologisierung im Alltag gibt, als in einigen Milieus in Deutschland. Libanon.

Ich finde es gut, dass es Psychopharmaka und Psychotherapie gibt. Doch muss man Vorsicht walten lassen.

Verzeiht mir bitte meine Ehrlichkeit. Ich weiß, dass Psychologen vielen, vielen Menschen helfen und auch viel Gutes machen.

In einem anderen Forum habe ich beobachtet, dass manche Menschen, Menschen mit Angststörung, auf Rat des Psychologen, sich von ihrer Familie distanziert haben.

Manchmal kann das notwendig sein, aber es geht auch Gefährdung davon aus.

Ich habe eine Therapie gemacht und mir ist passiert, dass der Psychologe mein Verhältnis zu meiner Familie als zu eng bezeichnet hat und meinen Vater, den er nicht behandelt, allein aus meinen Schilderungen diagnostiziert hat als „er somatisiert“.

Ich habe in Foren schon Dinge gelesen, die ich bedenklich fand. Psychologen ersetzten Freunde und Familienmitglieder. Tatsächlich aber sind sie das nicht.

Wenn ich mit meinem Psychologen Smalltalk machen wollte, ist nichts zurück gekommen. Er hat mich auch nicht angefasst.

Im Libanon gibt es weniger Psychologen, aber die Leute haben mehr Familienwerte.
Sie haben auch mehr Scham.
Ich glaube, dass Psychologisierung die Scham oder auch Angst vor Gesichtsverlust vermindert. Scham kann schlecht sein, aber sie hat auch Vorteile.

Beim Psychologen habe ich erlebt, dass sie systematisch versuchen, einem Scham auszutreiben.

Man lernt beim Psychologen viele hilfreiche Techniken, aber sie vertreten auch Werte, die ich ablehne.

Ich verstehe aber natürlich, dass viele Leute auf Psychologen angewiesen sind und dass Psychologen ihr bestes tun und dass sie den Patienten helfen wollen.

 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

Daoga

Urgestein
Ich habe in Foren schon Dinge gelesen, die ich bedenklich fand. Psychologen ersetzten Freunde und Familienmitglieder. Tatsächlich aber sind sie das nicht.
Ich sage immer, Psychologen sind die moderne Fassung von Beichtvätern in einer Zeit, in der kaum noch jemand religiös ist. Eine von vielen Wellen, die aus den USA zu uns rübergeschwappt ist, die Amerikaner haben für jede Art Wehwehchen jemand, der ihnen gegen gutes Geld zuhört.
Wenn ich mit meinem Psychologen Smalltalk machen wollte, ist nichts zurück gekommen. Er hat mich auch nicht angefasst.
Ein Psychologe der seine Patienten einfach so antatscht agiert unprofessionell. Wenn Du eine Umarmung haben willst, mußt Du das sagen. Sonst wird das nämlich dem Psychologen als sexuelle Belästigung ausgelegt. Auch ein Psychologe kann nicht riechen, was Du gern hättest, da mußt Du den Mund schon aufmachen.

Im Libanon gibt es weniger Psychologen, aber die Leute haben mehr Familienwerte.
Sie haben auch mehr Scham.
Ich glaube, dass Psychologisierung die Scham oder auch Angst vor Gesichtsverlust vermindert. Scham kann schlecht sein, aber sie hat auch Vorteile.

Beim Psychologen habe ich erlebt, dass sie systematisch versuchen, einem Scham auszutreiben.
Wenn einem falsche Scham ausgetrieben wird, die Sorte die einen dazu verleiten möchte, sich fremde Schuhe anzuziehen und für anderer Leute Fehler geradezustehen, dann ist da doch nichts Schlechtes daran, oder? Befreiung von anderer Leute Dummheiten ist gut. Nur muß man das auch erst mal lernen.
 
G

Gelöscht 126322

Gast
Liebe BinNichtWertlos,

ich denke, dass es im Libanon sicherlich auch eine ähnliche Art von "Psychologisierung" gibt. Eine, die weniger individuell ist, aber genau in die gleiche Kerbe haut: Nämlich den Charakter einer Person, vor allen Dingen erlernbare Eigenschaften, um in eine bestimmten Umfeld funktionieren zu können.

Ich finde, dass unter dem Strich beide Vorgehensweisen darauf drängen sich gefälligst anzupassen:

Die Familie drängt darauf sich ins Familiengefüge einzuordnen. Die hier in Deutschland angebotenen Hilfsangebote drängen vor allen Dingen auf Eingliederung in die Gesellschaft und Arbeitsfähigkeit. Das ziehe ich mir auch nicht etwa an den Haaren herbei, sondern es ist ein Fakt, dass alle gesundheitlichen Maßnahmen per Sozialgesetzbuch als Maßnahmen definiert sind, um eine Erwerbsfähigkeit herzustellen. Und nur das bezahlt die Krankenkasse.

Wenn man sich Hilfe sucht erwartet man ja eher, dass man irgendein Handwerkszeug in die Hand bekommt, was einem hilft irgendeinen Sinn zu erkennen, glücklicher und zufriedener zu sein. Und kein Arzt oder Therapeut oder Sozialarbeiter wird da die Wahrheit aussprechen, dass man sagt: "Ja, wissen Sie... ist ja schön, dass sie gerne glücklicher sein wollen. Aber eigentlich ist es mein Job sie dazu zu bringen Arbeiten gehen zu können. Wenn Sie das nicht mehr können, dann ist es mein Job sie davon abzuhalten auszurasten und weitere Kosten zu erzeugen.".

Aber wie gesagt ist es unterm Strich echt alles das gleiche: Die Familie erwartet, dass man ihr seine Ressourcen zur Verfügung stellt. Auf der anderen Seite erwartet einen "Vater Staat" und möchte auch die Ressourcen haben oder zumindest, dass man maximal günstig und problemlos ist.

Dem Staat geht es um Kosten und Chaos einzudämmen. Bei der Familie geht es nicht immer nur um Geld oder chaotische Zustände zu vermeiden. Es geht auch um Ansehen, um Ehre, um Macht über den anderen. Es sind mal positive und mal negative Gründe, die da eine Rolle spielen. Es ist mal Wut, mal Angst. Der Staat hat um einen erst mal so keine Angst.

Der Staat als Gebilde kennt keine Emotionen. Aber der Staat kennt Ziele: Alles schön stabil halten, jeden in Beschäftigung bringen, Wirtschaftswachstum, Umweltschutz, bisschen soziale Gerechtigkeit.

Jede Familie hat auch irgendwelche Ziele. Und, wenn man heraus finden will, was die Eltern eigentlich von einem wollen, dann sollte man vielleicht zuerst die Frage nach den Zielen stellen und fragen warum es wichtig ist diese Ziele zu erreichen und was sich die Eltern davon erhoffen. Und dann kann man für sich heraus finden, ob man das auch erstrebenswert oder wichtig findet, ob es Alternativen gibt, ob die Eltern überhaupt in der Lage sind Alternativen zu sehen und anzuerkennen.
 
G

Gelöscht 122689

Gast
Ich glaube, du warst nie auf psych. Hilfe angewiesen, sonst würdest du nicht so urteilen.
Ich finde es ziemlich anmaßend, anderen psych. Diagnosen absprechen zu wollen und es hängt sehr viel an der guten Psychologischen Versorgung, daß es gesellschaftlich besser wird.
Sei es Gewalt, Kindererziehung, Beruf etc.
 
G

Gelöscht 122689

Gast
Nach kurzer Recherche muß ich feststellen, daß nicht Bell diesen Begriff erfand, sondern du gerade eben.
 

Daoga

Urgestein
Hier hat man einen wohl recht guten Überblick über die Thesen des Daniel Bell: Vom Aufstieg und Fall der Wissenseliten (deutschlandfunk.de) Da ist aber von Wissenschaft die Rede und ihrer Interaktion mit der (gebildeten) Bevölkerung, nicht von Psychologie. Der allerletzte Absatz in dem Bericht ist zu beachten - in Zeiten ausgeprägter Fake-News ist es wichtiger denn je, faktische Wahrheit von Meinungen, Ideologien oder bewußten Lügen unterscheiden zu können.
 

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