Ich glaube, ich kann ganz gut nachvollziehen, was du schreibst... das passt erschreckend gut zu dem was ich empfinde (oder nicht empfinde). Für mich fühlt sich das oft so an als wäre da tief in mir etwas, ein Teil von mir, an den ich nicht ran komme. Dieser Teil ist leider sehr wohl in der Lage zu fühlen und das kommt dann manchmal raus... und ich muss mit meinen eigenen Reaktionen darauf klarkommen, auch wenn ich die eigentlichen Emotionen nicht richtig wahrnehmen kann. Ich versteh aber nicht warum das so ist. Ich hab ein paar dumme Sachen erlebt, aber da war ich schon älter, da hätte meine Persönlichkeit schon gefestigt sein müssen.
Ich habe Angst davor, diesen 'Reparaturversuch' zu wagen, da ich einen Totalschaden befürchte. Dass man reinschaut und ein bisschen in den Einzelteilen rumwühlt um zu gucken, was da falsch verkabelt ist, und dann fliegt das ganze Ding in die Luft.
Wenn man ein Kind ist, sagen die Eltern einem immer, dass sie immer für dich da sind und du ihnen alles sagen kannst. Und dann erreichst du ein gewisses Alter, wo du in ihren Augen selbstständig genug bist und allein klarkommen musst und gefälligst nicht mehr so viel Aufmerksamkeit verlangen sollst. Und wenn du ihnen dann sagst, dass du dich vernachlässigt fühlt, sagen sie dir, dass du dich nicht so anstellen sollst und sie zu tun haben. Und wenn dann was passiert, dann hast du niemanden, dem du was sagen kannst. Du bist noch zu jung um zu erkennen, dass dir Unrecht angetan wird und dann redest du mit niemandem weil du denkst, du bist schuld. Und selbst wenn du anfängst zu heulen und total auszurasten wegen scheinbarer Kleinigkeiten, dann ist das die 'Pubertät' und du hast nur deshalb ständig Magenschmerzen weil du keinen Bock auf Schule hast und die Atemprobleme kommen vom Asthma und an deiner Schlaflosigkeit bist du selbst schuld weil du immer am Computer sitzt. Und dann willst du einfach irgendwann nicht mehr reden. Da kommt der Punkt wo es leichter ist, einen Rasierer auseinander zu nehmen und damit so oft über deinen Arm zu fahren bis alles rot ist und schmerzt und in deinem Kopf endlich Ruhe ist.
Ein Analytiker analysiert die Situation. Ein besserer Analytiker analysiert die Motive der Beteiligten. Ein noch besserer Analytiker analysiert dazu das Umfeld und die Werte, die die Beteiligten motivieren. Und der beste Analytiker analysiert die Motive des Analytikers, die die Analysen beinflussen. Und der Analytiker des Analytikers analysiert die Werte des besten Analytikers... und irgendwann, der letzte in der Reihe, der wird bekloppt. Der Betroffene, derjenige, der unter seelischen Schmerzen leidet, ist sein eigener Analytiker. Er hat zu Recht Sorge, dass er beim Nachdenken über die Ursachen seiner seelischen Schmerzen keine Lösung findet und bekloppt wird. Insofern ist das Nicht-sich-selbst-Analysieren-können oder Wollen ebenfalls eine Schutzmaßnahme. Ergebnis: Warum bist Du so? Antwort: ich weiss es nicht.
Um nicht bekloppt zu werden, hilft es, nicht zu analysieren. Der Nachteil der Nicht-Analyse liegt darin, dass wir den Ursachen für einen untragbaren Zustand nicht auf die Spur kommen. Der Zustand bleibt.
Violetta Valerie hat es sehr schön ausgedrückt: Tief im Inneren sitzt das Schmerzzentrum. Und wenn diese seelischen Schmerzen an die Oberfläche kommen (wie ein Vulkanausbruch), dann sorgen körperliche Schmerzen, die ich mir zufüge, für eine Ablenkung.
Das ist die praktische Lösung der Waldfeuerwehr. Es wird Feuer mit Feuer bekämpft. Man brennt gezielt nieder, was das "wilde" Feuer erreichen könnte und sich dann weiter ausbreitet. Körperliches Feuer versus seelisches Feuer.
Ist das körperliche Feuer stark genug, stellt sich sogar ein Zufriedenheitsgefühl ein.... bis zum nächsten Ausbruch des seelischen Feuers.
Aus meiner Sicht liegt die Hauptursache der seelischen Schmerzen in einem Nichterfahren von Liebe. Das Liebesbedürfnis der Menschen ist unterschiedlich groß. Der eine Mensch kommt mit den Zuwendungen seiner Eltern völlig klar, der andere Mensch, der die gleiche Intensität an Zuwendung erhält, verhungert.
Liebe ist längst nicht nur ein Gefühl. Liebe ist das Verstehen und auch das Nicht-Verstehen-aber-trotzdem-Tragen. Liebe ist eine Summe von unterschiedlichen Zuwendungen, die alles tut, damit es Dir gut geht und Du glücklich bist. Liebe hat immer etwas mit Tun zu tun.
Ein Therapeut kann die Liebe der Eltern nicht ersetzen. Ein Therapeut kann aufdecken, wo in der Vergangenheit Lieblosigkeit (Verletzungen) passierte und er kann helfen, mit dieser Lieblosigkeit fertig zu werden. Aber was heisst schon fertig werden? Wenn wir verstehen, dass der andere Mensch, der mir Liebe schuldete, aus irgendeinem Grund diese Liebe nicht gab, dann kann es passieren, dass ich soviel Kraft habe, dass ich jetzt verstehe... Und was ich verstehe, damit kann ich auch besser umgehen. Das ist völlig richtig. Nur der eigentliche Grund, die Ursache, die fehlende Liebe, die ist damit noch nicht wieder "repariert" bzw. hergestellt.
Und das ist aus meiner Sicht der Grund, warum Therapien hilfreich sind und trotzdem oft das Problem nicht lösen.
Darüber denke ich nach.
LG, Nordrheiner