Zunächst mal verdienst Du Lob. Du erwägst verschiedene Möglichkeiten, statt vergebens auf die Festanstellung zu warten. Dass Dein Handwerk für eine Selbständigkeit geeignet ist, ist auch ein Plus.
Ganz wichtig ist aber die Erwartungsabstimmung. Wenn Du als erste Wahl einen sicheren Job in Festanstellung möchtest, so muss Dir klar werden dass eine Selbständigkeit nicht das gleiche bietet. Es gibt kein Fixeinkommen, es gibt keinen pünktlichen Feierabend, und der Arbeitsplatz und die Nachfrage müssen erst entwickelt werden. Zudem muss in einem Masse hinzugelernt werden, das einem Angestellten erspart bleibt (wie die ganze Selbständigkeit funktioniert nämlich). All diese Dinge erfordern Zeit, so dass ein gutes Auskommen und eine gewisse Planbarkeit erst nach einigen Jahren erwartet werden kann.
Dann sind einige Grundsatzentscheidungen zu treffen, die den Ausgang des Unternehmens wesentlich beeinflussen:
1. Meistens lebt es sich leichter, wenn eine Selbständigkeit in der Aufbauphase nicht das einzige Standbein ist. Hat der Partner Einkommen, ist schon mal viel Last von den Schultern. Oder man baut es nebenberuflich auf. Hast Du zum Beispiel schon mal Jobs im Stoffhandel, im Bekleidungsgeschäft (Du könntest neben Verkauf Änderungsarbeiten ausführen) oder ähnliche artverwandte Dinge versucht? Mit so einem Job hat man mehr Ruhe, den Laden aufzubauen. Zumal dem Geschäft GANZ DRINGEND nicht nur Einkommen entnommen werden darf, sondern die ersten Jahre eigentlich im wesentlichen der Reinvestition und Optimierung von Angebot und Ausstattung gehören.
2. Wenn man sich im erlernten Beruf nicht so sicher ist, gehen ja auch andere Dinge. Die Schwester einer Freundin hat einen langjährig geführten sauberen Imbiss und lebt gut davon. Für Einsätze auf Märkten und bei Veranstaltungen kassiert sie noch mal richtig satt Taschengeld fürs ganze Jahr, und zu Weihnachten hat sie zusätzlich einen Glühweinstand. Also, wenn man sich die Selbständigkeit schon antut, genau überlegen was man sich denn so vorstellen kann und gerne tut.
3. Die Aufbauphase ist wie gesagt keine fette Zeit. Auch wenn Gründerkredite usw. verlockend sind, sollte man bedenken was es heisst, mit einer kleinen Butze erstmal gegen einen Kredit anzuarbeiten. Im Zweifel lHier ist auch die Relation wichtig, ein gut gehender Imbiss zahlt u.U. relativ fix 10.000€ Startkapital ab, während eine schlecht gehende Änderungsschneiderei mit 3000€ Kredit überfordert sein kann. Genau durchdenken und dabei auch gucken, ob Nachbarkreise oder -städte gesonderte Förderungen haben, oder subventionierten Gewerberaum, sprich wo ist ein guter Standort für das Vorhaben.
4. Genau analysieren was man eigentlich bieten kann. Wenn in einer Rentnergegend noch gar keine Nähstube ist, könnten durchaus Reissverschlüsse repariert und Hosen gekürzt werden müssen. Wenn in einem bunten Viertel die jungen Leute alle nicht ändern und reparieren lassen und die Ausländer zu einheimischen Nähstuben gehen, die Deine Preise unterbieten, ziehst Du den kürzeren. Kannst Du etwas ganz bestimmtes, sieht es schon anders aus. Machst Du einen Expresservice mit Café, kannst Du auch Schuhabsätze richten, gibt das erweiterten Markt. Kannst Du eine Daunenwäscherei für Betten im Hinterzimmer machen, veilleicht ergänzt durch spezielle Reinigung und Reparatur von Outdoorklamotten und Schlafsäcken, eventuell mit Einschick-Service, hast Du einen Spezialbetrieb. Leder, Hüte, Accessoires - sind eigene Nachfragegebiete. Also es ist ganz wichtig, zu gucken was man kann bzw. sich aneignen kann.
5. Wenn Du es wagst, dann hock nicht im Stillen Kämmerlein. Eröffnung mit Kuchen und Sekt, Einladungen an Nachbarbetriebe, Flyer überall, Vorstellen bei Klamottenläden ob sie Dich empfehlen würden wenn ein Kunde was gekürzt haben muss usw. Einen Abend die Woche offenen Nähkurs und Hobbyschneiderberatung anbieten gegen 5€ pro abend und Nase. Und ruhig zu Treffen und Stammtischen der Selbständigen Deiner Gegend gehen, sich austauschen, andere empfehlen und empfohlen werden, die Geschäftsstrasse gemeinsam gestalten und Weiterentwicklungen und Ergänzungen Deines Marktes wahrnehmen.
Warum sollte das nicht klappen?
Das einzige was Dich todsicher fällen wird ist eine passive Mentalität. Wenn Du Dir aber vorstellen kannst, da mal ein paar Jahre richtig Kraft reinzustecken, vollgas statt immer nur halbe flamme, und die ersten jahre zum vielfältigen ausprobieren und ergänzen nutzt - dann wirst Du Dich vielleicht irgendwann selbst wundern, was für eine rührige und tatkräftige Person das aus Dir gemacht hat. Das fühlt sich geil an!