Liebe Kollegin,
Du schreibst:
"Sag mir bitte, wo der Staat Lehrer mit der von dir geforderten Engelsgeduld hernehmen soll. Darf ich keine Gefühle mehr haben, muss ich mir alles gefallen lassen? Soll ich denn alle meine Bedürfnisse, mein ganzes Sein, alles, was mich ausmacht, aufgeben? So selbstlos bin ich nicht.
Ich glaube, die von dir geforderte Einstellung zu den Schülern, dieses ununterbrochene, bedingungslose Wertschätzen, ganz egal, was die Schüler machen, wie sie sich verhalten - das kann ich meinen eigenen Kindern entgegenbringen, aber nicht meinen Schülern. Denn ich liebe meine Schüler nicht, ich unterrichte sie. Hundertachzig verschiedene Schüler sehe ich pro Woche in meinem Unterricht. Wie soll ich sie alle bedingungslos lieben, als sei ich ihre Mutter?!!!! "
Sei versichert, dass ich deine Fragen verstehe. Sehr gut sogar. Ich kann mir vorstellen, dass da richtig kleine oder auch große "Ekelpakete" vor dir sitzen. Gerade im Fach Religion (ich unterrichtete daneben auch Deutsch und Geschichte) saßen sie, weil sie nicht in einen Ersatzunterricht wollten, etwa Mathematik-Förderung oder Förderung in einem anderen Hauptfach. Und Reli-Lehrer sind ja auch allgemein als liebe, freundliche, vor allem verständnisvolle Typen gebucht🙂
Ich war schon ein Papa-Typ, schließlich bin ich vierfacher Vater und sogar schon Opa. Von daher, und darin unterscheiden wir uns naturgemäß, ergab sich bei mir ein - ich sage das ohne Arroganz - so etwas wie ein väterliches Verständnis. Dennoch, und das gilt ja auch für eigene Kinder, brauchen Schüler klare Verhaltensregeln.
In meiner Schule gab es schon länger einen sogenannten Trainingsraum, in den Schüler geschickt wurden, die sich weigerten, dem Unterricht zu folgen oder die störten.
Erschien ein Schüler innerhalb einer bestimmten Zeit wiederholt in diesem Trainingsraum, erhielten die Eltern eine Mitteilung und wurden in die Schule bestellt. Der Schüler wiederum durfte erst wieder am Unterricht teilnehmen, wenn die Eltern erschienen waren.
Das war schon eine sehr einschneidende und wirksame Maßnahme, die, falls sie nicht das gewünschte Resultat zeigte, sogar den Verweis von der Schule nach sich zog. Ich selbst, und da war ich dann sehr konsequent, habe über einige Jahre den Verweis von der Schule für mehrere Schüler beantragt und auch durchgesetzt.
Liebe Kollegin, ich sehe in deiner Schilderung nicht nur einen Hilferuf, nein sogar schon einen Hilfeschrei. Für mich klingt das sehr grenzwertig, wenn nicht sogar alarmierend. Du musst dich deshalb unbedingt selbst schützen. Es nützt dir nichts, gar nichts, wenn Du dich im Dienste der Jungen und Mädchen selbst verzehrst.
Liebe, auch die pädagogische Liebe und das Verständnis für Kinder, haben da ihre Grenze, wo die eigene Würde und die eigene Gesundheit gefährdet wird. Das meine ich sehr ernst.
Diese Grenze ist bei dir bereits deutlich überschritten. Jetzt brauchst Du Hilfe. Woher kannst Du sie bekommen, wirst Du zu Recht fragen. Ich habe den Eindruck, dass dir etwa deine Mentoren, die Kollegen, die die Klassen führen, offenbar nicht helfen. Scheinbar ist auch die Schulleitung untätig.
Die Vertreter des Studenseminars bewerten deine Leistungen, scheiden, das war nie anders, als Unterstützer in der Regel aus. Ich sehe deshalb im Moment nur die Möglichkeit, dass Du erstens mit der Schulleitung über deine Situation sprichst und zweitens mit einem Vertreter des Seminars. Möglicher Weise besteht die Chance, dass Du dich für eine gewisse Zeit krank meldest, um dann deine Vorbereitungszeit anschließend noch einmal zu verlängern.
Ein Weiter-So, das signalisiert Du ja ganz deutlich und überzeugend, ist so jedenfalls nicht möglich.
Dann aber, liebe Kollegin, solltest Du dir tatsächlich Alternativen überlegen. Vielleicht hast Du die Chance dein Studium zu ergänzen, um evtl. als Diplompädagogin in den Bereich der Erwachsenbildung zu wechseln.
Soweit bis heute.
Burbacher