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Kulturrelativismus als großes Problem?

G

Gelöscht 122020

Gast
Hey Leute, ich würde hier gerne eine Frage diskutieren, die mir gerade im Laufe des Ukrainekrieges und dem Umgang mit China immer öfter auffällt. Die Linken und rechten Ränder, aber auch bestimmte intellektuelle Stimmen (Richard David Precht, der späte Helmut Schmidt etc.) neigen dazu das Einstehen für die universellen Menschenrechte als Moralismus und eurozentristische Bevormundung anderer Staaten durch den Westen umzudeuten. Dass der Westen es mit diesen Werten nicht immer so genau nahm, steht außer Frage, aber das entwertet doch keines die Grundidee, die sich auch in unseren Freiheitsrechten widerspiegelt.

Für eine viel gefährlichere Idee halte ich es die Menschenrechte als rein europäisches Projekt zu betrachten. Das wünschen sich zum Beispiel auch Ethnopluralisten in der Identitären Bewegung. Diese Leute stört beispielsweise die Anwesenheit von Muslimen in Europa, aber sie stört sie nicht im Geringsten, was die Taliban oder das iranische Regime im Namen der Religion Menschen in ihrem eigenen Kulturraum antun. Eine solche Weltsicht können sich Staaten, wie Nordkorea, China und Russland natürlich nur wünschen. Ich finde es auch erstaunlich, dass aufgrund des Irak- und Afghanistaneinsatzes gerne behauptet wird, dass militärisches Eingreifen und westliche Interventionen noch nie zu einer Verbesserung, Demokratisierung oder mehr Freiheit in einer Region geführt hätten. Noch absurder ist das eigentlich von Seiten deutscher Intellektueller, da eigentlich der naheliegendste Gegenbeweis sehr geläufig sein sollte: der Zweite Weltkrieg. Weder Japan noch Nazi-Deutschland hatten sich freiwillig oder von innen zu jenen demokratischen Staaten gewandelt, die sie nach dem Krieg wurden. Auch Südkorea hätte den Koreakrieg ohne militärische Hilfe verloren und, wenn wir uns das heutige Nordkorea anschauen, dann kann man nicht davon ausgehen, dass die Südkorea diese Option aus heutiger Sicht bevorzugen würden. Leider neigen die Europäer dazu sich zunehmend klein zu machen. Was genau ist eigentlich in den letzten Jahrzehnten seit Ende des Kalten Krieges und der vielleicht naiven Selbstüberschätzung in den 90ern (end of history) passiert, dass heute Leute, die im Paradies und in der Freiheit aufwuchsen autokratische Systeme derart relativieren und nicht bereit sind für den Universalismus einzustehen. Ich verstehe auch diese Russlandnähe vieler Stimmen in Europa nicht. Wurde die DDR denn völlig vergessen?
 
G

Gelöscht 125515

Gast
Man sollte meinen, dass die Kriege im Nahen Osten mit denen wir versucht haben fremden Kulturen unsere Werte aufzuzwingen jedem ein bisschen Demut eingebracht haben. Dem scheint nicht so zu sein.

Es geht uns nichts an, ob andere Länder Vernichtungslager betreiben (China), Frauen zum Tode verurteilen wenn sie vergewaltigt werden (gesamter arabischer Raum) oder wenn indigene abgeschlachtet werden (Brasilien). Das sind innere Angelegenheiten und die können auch nur von innen gelöst werden. Wir können uns aber entscheiden, unsere Zusammenarbeit (wirtschaftlich, privat, militärisch) an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Ob die Länder das dann wollen, ist deren Angelegenheit und nicht unsere. Ebenso wie es China freistünde, seine wirtschaftlichen Beziehungen zu uns an Bedingungen zu knüpfen.

Die Frage ist also nicht, wie wir andere Länder verändern können, sondern wie weit wir bereit sind, unsere eigenen Interessen wegen unserer Werte zurückzustellen. Da wir das in keinster Weise bereit sind, sind unsere vertretenen Werte das Papier nicht wert auf dem sie geschrieben sind.
 
G

Gelöscht 122020

Gast
Nicht alles was Europäer als große Errungenschaft ansehen, wird in anderen Teilen der Welt auch so gesehen.

Da stellt sich die Frage, wen man fragt und wovon man Menschenrechte abhängig machen will. Von der Meinung einer Mehrheit? Das würde ich gerade auch bei Betrachtung der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert doch sehr kritisch sehen wollen. Die Uiguren, Frauen und Homosexuelle im Iran, einige Minderheiten und politischen Gefangenen in Myanmar oder in Sippenhaft geborene Menschen aus nordkoreanischen Straflagern würden das wahrscheinlich anders sehen als eine Mehrheit, die unter dem Regime oder den kulturellen Bedingungen im Moment nicht leidet oder sogar davon profitiert.

Der Politikwissenschaftler und Befürworter einer Modernisierung des Islam Bassam Tibi dreht die Argumentation der Kulturrelativisten z.B. genau um: Es sei eben gerade nicht rassistisch oder eurozentristisch für andere Kulturkreise die Menschenrechte einzufordern, sondern umgekehrt den Menschen aufgrund ihrer kulturellen Prägung diese verweigern oder absprechen zu wollen. Man verbiete hier der westlichen Kultur typisch westlich, nämlich universell zu handeln. Gleichzeitig dürften die anderen Kulturräume genau so handeln, wie es für sie typisch und stereotyp wäre.
 
G

Gelöscht 122020

Gast
Man sollte meinen, dass die Kriege im Nahen Osten mit denen wir versucht haben fremden Kulturen unsere Werte aufzuzwingen jedem ein bisschen Demut eingebracht haben. Dem scheint nicht so zu sein.

Es geht uns nichts an, ob andere Länder Vernichtungslager betreiben (China), Frauen zum Tode verurteilen wenn sie vergewaltigt werden (gesamter arabischer Raum) oder wenn indigene abgeschlachtet werden (Brasilien). Das sind innere Angelegenheiten und die können auch nur von innen gelöst werden. Wir können uns aber entscheiden, unsere Zusammenarbeit (wirtschaftlich, privat, militärisch) an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Ob die Länder das dann wollen, ist deren Angelegenheit und nicht unsere. Ebenso wie es China freistünde, seine wirtschaftlichen Beziehungen zu uns an Bedingungen zu knüpfen.

Die Frage ist also nicht, wie wir andere Länder verändern können, sondern wie weit wir bereit sind, unsere eigenen Interessen wegen unserer Werte zurückzustellen. Da wir das in keinster Weise bereit sind, sind unsere vertretenen Werte das Papier nicht wert auf dem sie geschrieben sind.

Du hast offenbar völlig ausgelassen, dass in einigen anderen Beispielen militärische Interventionen durchaus etwas gebracht haben. Warum sollte man aus dem Irakkrieg und Afghanistan jetzt die Lehren ziehen, dass wir beim nächsten Völkermord sagen: Sorry Jungs, wir leiden mit euch, aber wir können nichts tun?

Die Lehren aus der deutschen Geschichte sind also: Menschenrechte nur im Rahmen der deutschen und europäischen Selbstbeschäftigung. Ich bin eigentlich kein Fan von eher rechtsgerichteten Autoren, wie Henryk M. Broder, aber ich denke da trifft seine Kritik seit Jahren den Kern des Problems bezüglich der deutschen Doppelmoral. Jedes Jahr betont man die Verantwortung, die man aus dem Holocaust und der eigenen Geschichte gezogen habe und wie wichtig der Kampf gegen Antisemitismus sei. Gleichzeitig umarmen deutsche Politiker Gesandte aus dem Iran und wollen Atomdeals mit einem Regime aushandeln, der Antisemitismus und die Vernichtung Israels als Staatsdoktrin vorweist. Die Bekämpfung von Genoziden endet an europäischen Grenzen (Ruanda 1991) und eigentlich noch nicht einmal das (Jugoslawienkriege). Broder kritisiert völlig zu Recht, wie man in Europa jede Kleinigkeit zum Skandal innerhalb eines Kulturkampfes aufbauscht und die eigentlich wirklich leidenden dieser Welt vollkommen ignoriert. Man wirft dann Broder als polnisch-deutschen Juden gerne vor er verharmlose die Nazi-Verbrechen. Dabei kritisiert er etwas völlig anderes, dass die Deutschen alles, was sich nicht im Maßstab der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und der Nazis abspielt als unbedeutenden Kleinzwischenfall abtun.
 

Revan233

Aktives Mitglied
für andere Kulturkreise die Menschenrechte einzufordern, sondern umgekehrt den Menschen aufgrund ihrer kulturellen Prägung diese verweigern oder absprechen zu wollen.

Einfordern kann man vieles.
Allerdings wird das nichts, wenn die Adressaten nicht wollen.
Es besteht ein grundlegender Irrtum im Westen, dass man überall in der Welt darauf wartet um von westlichen Ideen und Vorstellungen beglückt zu werden. Und falls das doch irgendwo nicht so sein sollte, man es den Menschen dort einfach nur besser erklären muss.
Das ist nicht so. Und wahrscheinlich wird das niemals so sein.
 
G

Gelöscht 125515

Gast
Du hast offenbar völlig ausgelassen, dass in einigen anderen Beispielen militärische Interventionen durchaus etwas gebracht haben. Warum sollte man aus dem Irakkrieg und Afghanistan jetzt die Lehren ziehen, dass wir beim nächsten Völkermord sagen: Sorry Jungs, wir leiden mit euch, aber wir können nichts tun?

Die Lehren aus der deutschen Geschichte sind also: Menschenrechte nur im Rahmen der deutschen und europäischen Selbstbeschäftigung. Ich bin eigentlich kein Fan von eher rechtsgerichteten Autoren, wie Henryk M. Broder, aber ich denke da trifft seine Kritik seit Jahren den Kern des Problems bezüglich der deutschen Doppelmoral. Jedes Jahr betont man die Verantwortung, die man aus dem Holocaust und der eigenen Geschichte gezogen habe und wie wichtig der Kampf gegen Antisemitismus sei. Gleichzeitig umarmen deutsche Politiker Gesandte aus dem Iran und wollen Atomdeals mit einem Regime aushandeln, der Antisemitismus und die Vernichtung Israels als Staatsdoktrin vorweist. Die Bekämpfung von Genoziden endet an europäischen Grenzen (Ruanda 1991) und eigentlich noch nicht einmal das (Jugoslawienkriege). Broder kritisiert völlig zu Recht, wie man in Europa jede Kleinigkeit zum Skandal innerhalb eines Kulturkampfes aufbauscht und die eigentlich wirklich leidenden dieser Welt vollkommen ignoriert. Man wirft dann Broder als polnisch-deutschen Juden gerne vor er verharmlose die Nazi-Verbrechen. Dabei kritisiert er etwas völlig anderes, dass die Deutschen alles, was sich nicht im Maßstab der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und der Nazis abspielt als unbedeutenden Kleinzwischenfall abtun.
Eine militärische Intervention ist meiner Meinung nach nur dann angebracht, wenn der betreffende Staat sie auch fordert (so wie die Ukraine als eigenständiger Staat um Hilfe gebeten hat). Ansonsten ist es völlig ausreichend, wenn die UN Schutzzonen einrichtet. Das hängt für mich dann aber auch davon ab, ob der betreffende Staat die UN auch anerkennt.

Nichtsdestotrotz sind andere Kulturen unserer eigenen gleichwertig. Es steht uns schlicht nicht zu anderen zu sagen, welche Werte sie zu vertreten haben. Wir wollen ja auch nicht, dass der Iran oder China sich bei uns einmischen. Wer das trotzdem fordert, sollte wenigstens so ehrlich sein das als das zu benennen was es ist: Kolonialismus. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
 
G

Gelöscht 122020

Gast
Einfordern kann man vieles.
Allerdings wird das nichts, wenn die Adressaten nicht wollen.
Es besteht ein grundlegender Irrtum im Westen, dass man überall in der Welt darauf wartet um von westlichen Ideen und Vorstellungen beglückt zu werden. Und falls das doch irgendwo nicht so sein sollte, man es den Menschen dort einfach nur besser erklären muss.
Das ist nicht so. Und wahrscheinlich wird das niemals so sein.
Ich weiß nicht genau, woher du wissen willst, was die Adressaten wollen? Hängt das nicht vollkommen davon ab, wen man im jeweiligen Kulturkreis fragt? Die iranischen Frauen auf den Straßen wollen sicher etwas anderes als die Mullahs. Und wenn ich an bekannte Autoren denke, die z.B. Kulturrelativismus, falsch verstandenen Postkolonialismus Identitätspolitik und Einknicken des Westens kritisieren, dann sind das ganz oft Menschen mit Migrationshintergrund, die aus solchen Kulturräumen stammen: Aryaan Hirsi Ali, Bassam Tibi, Irshad Manji, Salman Rushdie, Hamed Abdel Samad, Seyran Ates etc.

Außerdem muss man auch sehen, welche Grundvoraussetzungen da sind. Vieles hat mit Bildung zu tun. Bestimmte Menschenrechtsfragen haben ja noch nicht einmal etwas mit westlicher Bevormundung, sondern mit Fakten zu tun. Wenn wir beispielsweise im 21. Jahrhundert immer noch Hexenverfolgungen in bestimmten Teilen der Welt erleben, dann kann man gerne argumentieren, dass eine vielleicht eher weniger gebildete Bevölkerung auf dem Lande diesem Aberglauben anhängt. Trotzdem bleibt die Existenz von Hexen aus aufklärerischer und wissenschaftlicher Sicht absoluter Blödsinn. Ein solcher Diskurs spielt sich nicht demokratisch ab. Und letztlich will der Großteil der Welt ja durchaus vom wissenschaftlichen Fortschritt profitieren. Diese hat aber sehr oft auch etwas mit sozialen Themen zu tun. Irgendein ein religiöser Gelehrter in der arabischen Welt mag behaupten, dass das Coronavirus oder das letzte Erdbeben eine Strafe Gottes aufgrund des Auslebens homosexueller Praktiken gewesen sein mag. Es bleibt trotzdem Blödsinn und ändert nichts an der Erforschung der Plattentektonik oder der Existenz von Viren. Langfristig muss man einfach daran arbeiten, dass sich Werte, die sich von Aberglauben und religiösem Quatsch ableiten langfristig von selber auflösen. Alles andere wäre ja auch am Ende antiaufklärerisch.
 
G

Gelöscht 122020

Gast
Eine militärische Intervention ist meiner Meinung nach nur dann angebracht, wenn der betreffende Staat sie auch fordert (so wie die Ukraine als eigenständiger Staat um Hilfe gebeten hat). Ansonsten ist es völlig ausreichend, wenn die UN Schutzzonen einrichtet. Das hängt für mich dann aber auch davon ab, ob der betreffende Staat die UN auch anerkennt.
Ich bin mir nicht sicher, ob wir bei der UN von einer wirklich erfolgreichen Institution sprechen können. Dort haben autokratische Staaten ein Vetorecht und Israel betont sehr zu Recht, dass es das Land schon lange nicht mehr gäbe, wenn es stets die Vorschläge der UNO und der Europäer befolgt hätte.

Nichtsdestotrotz sind andere Kulturen unserer eigenen gleichwertig. Es steht uns schlicht nicht zu anderen zu sagen, welche Werte sie zu vertreten haben. Wir wollen ja auch nicht, dass der Iran oder China sich bei uns einmischen. Wer das trotzdem fordert, sollte wenigstens so ehrlich sein das als das zu benennen was es ist: Kolonialismus. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Das ist halt die Frage, ob jene Kultur, deren Werte dazu führen, dass der Vergewaltiger deiner Tochter frei gesprochen und vielleicht sogar noch sie bestraft oder hingerichtet wird jener Kultur gleichwertig ist, die ein Grundgesetz besitzt, dass die Würde jedes Menschen schützt und sich stark am Individuum und nicht am Kollektiv ausrichtet. Und der europäische Kolonialismus zeichnete sich ja gerade dadurch aus, die Ungleichheit des Menschen in den Vordergrund zu rücken. Gerade die deutsche Geschichte war auch von Anfang eine sehr Unglückliche, da sich die oftmals antisemitische Nationalbewegung und die frühen bürgerlichen Demokraten im 19. Jahrhundert stark antifranzösisch, antiegalitär und antiaufklärerisch positionierten. Und wir erleben gerade jetzt, dass sehr rechtsgerichtete Strömungen wie Identitäre Bewegung und die AfD eine Art Ethnoimperialismus propagieren, der im Grund ähnlich funktioniert, wie das, was du weiter oben beschrieben hast. Andere kulturelle Räume gehen uns nichts an und es soll eigentlich keine wirkliche internationale Menschenrechtsordnung geben. Viele Linke fordern Ähnliches, aber eher aus einer veralteten und völlig simplifizierten Antiimperialismus-Theorie heraus, die Menschenrechtsuniversalismus mit Imperialismus gleichsetzt. Das gerade viele Autoren und Denker mit Migrationshintergrund und einem Nahverhältnis zu jenen Kulturräumen dieser Logik widersprechen, habe ich bereits im vorhergehenden Kommentar erläutern. Aber man kann sich ja auch mal fragen, warum Rechtsradikale so etwas fordern und auch die russische Propaganda extrem auf diese ,,dekadenten universalistischen" Werte abzielt. Das hat natürlich damit zu tun, dass man sobald man die Menschenrechtsidee zum rein europäischen Regionalprojekt erklärt hat langfristig auch darauf hin arbeiten kann diese in Europa zu untergraben. Was das langfristig, dann für unsere Freiheit, Ablehnung von Folter, Todesstrafe etc. bedeuten würde, kann man sich vielleicht denken.
 

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