Vielen lieben Dank für eure Rückmeldungen und Einschätzungen.
Ich bin ein selbstkritischer Mensch und mir durchaus bewusst, dass es nicht das vollständige Bild ist, das ich euch liefere. Ich habe letztens einen klugen Spruch gelesen, sinngemäß:
"You are worried sick about the past and the future. The past is a thing you cannot change. And the future does not exist."
Ich denke, es wird vielen hier genau so gehen wie mir. Wir können solche Weisheiten inhaltlich verstehen, aber es ist eine ganz andere Sachen, nach ihnen zu leben. Der menschliche Körper ist anders gebaut. Mein ganzer Verstand hat meinen Bruder als Gefahr abgespeichert. Wenn ich seine Stimme höre, kommt mir das Grausen. Es reicht teils sogar, wenn jemand einen ähnlichen Mund oder Gesichtsausdruck hat und ich werde die Person deswegen unterbewusst ablehnen und ohne guten Grund hassen. Das ist der reine animalische Schutzmechanismus. Mein Vater ist ein großer Fan von meinem scheinbar so erfolgreichen ersten Sohn. Er hat sogar einige Manierismen von ihm übernommen, zum Beispiel ein ganz stumpfsinniges, verhaltenes "Mhm." nach jedem gesprochenen Satz, quasi als Selbstbestätigung. Das macht mein psychopathischer Bruder auch seit seiner Pubertät.
Es kostet viel Überwindung, solche Dinge bewusst auszublenden oder im Geiste zu glätten.
Ich werde vermutlich, wie ihr vorgeschlagen habt, eine Therapie machen. Da man die aber beantragen muss und auch sonst einiges an Infos an die Krankenkasse durchsickert, habe ich Hemmungen davor. Ich lege viel wert auf Datenschutz.
@cucaracha
Es ist glaube ich schwierig zu mutmaßen, warum er so gehandelt hat. Eifersucht wird definitiv mitgespielt haben. Er hat auch heute noch ein angespanntes Verhältnis zu den Eltern, er hasst die Mutter, verlangt aber Liebe und Anerkennung von ihr. Beim Vater sucht er Bestätigung und Anerkennung. Als ich vor Jahren gehört habe, dass er unter Panikattacken leidet und psychisch Probleme hat, keimte in mir ein kleiner Funken Schadenfreude auf. Aber das hilft niemandem, das macht die Sache nicht ungeschehen. In der Rache findet sich keine Heilung für das, was vorgefallen ist.
Ich habe hier so einiges an Themen von toxischen, missbräuchlichen und versagenden Eltern gelesen. Mein psychopathischer Bruder hatte meiner Einschätzung nach keinerlei Interesse oder Empathie bei den Streitereien der Eltern. Sie waren ihm völlig egal. Er hat das Geschirr springen und die Türen knallen hören, aber das hat ihn nie interessiert. Von daher kann ich den Konnex mit seiner Gewalt nicht herstellen.
Mein mittlerer Bruder hat im Übrigen mein Leiden durch diese Situation immer geschmälert, bis ich einigen Leuten in der Familie vor drei Jahren einen mehrseitigen Brief schrieb, in der ich die Situation zusammengefasst habe. Er hatte bis dahin gesagt, ich "hätte herumpubertiert" und damit war das Thema erledigt. Jetzt denkt er anders darüber und hat inzwischen verständis. Interessanterweise hat er auch zu dem Bruder den Kontakt insgesamt abgebrochen. Wenig überraschen hat der sich nämlich auch ihm gegenüber egoistisch und asozial verhalten. Mein Bruder beschrieb sein Verhalten als "verschroben", seine Frau sei im übrigen ebenso drauf. Er hat Spielsachen von seinen Kindern nämlich ohne ein Wort zu sagen mitgenommen. An anderen Tagen haben sie ihren Sohn zu ihnen gebracht und sie mussten auf ihn aufpassen, zurück kam aber nichts. Auch ließen sie sich gerne einladen auf Kuchen und Essen, aber auf eine einzige Gegeneinladung können sie bis zum St. Nimmerleinstag warten...
@Tobi84:
Es war sinnlos sich zu wehren, stimmt. Wie ich schon beschrieben habe, schlug er mir dann einfach mit doppelter Gewalt zurück, ins Gesicht und auf den Kopf. Selten aber doch bekam ich auch von meinem mittleren, netteren Bruder Prügel und auch der schlug mir mit Vorliebe gegen den Kopf. Das ging soweit, dass ich Angst hatte eine Gehirnerschütterung zu bekommen. Ich kann mich noch gut an das Geräusch erinnern, dass man hört, wenn einem mit der Faust gegen den Kopf geschlagen wird und man Sternchen sieht. Ich hatte schlichtweg Angst um meine Gesundheit.
@tonytomate:
Es tut mir leid, dass du auch so etwas durchgemacht hast. Wie ist es dazu gekommen und was hat dein Bruder mit dir angestellt? Ich habe den Verdacht, das viele Leute unterschätzen wie lähmend so eine Erfahrung sein kann. Es verursacht, wie du erwähnt hast, mitunter eine Beziehungsstörung und ein Unvermögen, sich auf Leute einzulassen oder ihnen zu vertrauen. Es braucht eine enorme Anstrengung, um sich von festgefahrenen Mustern und übermäßigem Selbstschutz zu befreien.
Das Dilemma an der Sache ist, dass es einem niemand quittieren wird. Wenn man Leute kennenlernt oder sich überwindet auf andere zuzugehen und sich ihnen zu öffnen, dann sieht niemand von ihnen welcher Kraftaufwand dahinter steckt. Das, was für andere selbstverständlich ist, ist für unsereins jedesmal ein Kampf gegen den vergangenen Missbrauch und das Unrecht, das einem angetan wurde.
@Daoga
Ich habe kurz und ohne tatsächlichen Willen zur Umsetzung daran gedacht, meinen Bruder rückwirkend anzuzeigen. Es gibt aber keine Beweise mehr dafür. Ich habe keine Fotos gemacht von den Waffen, die er hergestellt hat und es gibt keine Anzeige von dem Abend, als er meiner Mutter gedroht hat mich mit seinem Schlagstock zu verprügeln und sie in eine Panikattacke getrieben hat. Meine Mutter selbst ist vielzusehr ein Kind von ihrem Wesen her. Sie hätte und würde auch heute niemals etwas nach außen dringen lassen, einfach weil es ihr peinlich ist und sie um ihr Ansehen (?) fürchtet. Das ist das allererste woran sie denkt. Als ich ihnen den Brief mit meiner Schilderung der Jugend und den Qualen gab und erwähnte, dieser sei auch an andere in der Familie ergangen, fragte sie als allererstes, wer ihn noch hat und warum das notwendig war. Daran erkennt man unmissverständlich, worum es ihr geht.
"Wenn du mit 25 über das Betteln immer noch nicht hinaus warst..." Du kannst dich unmöglich in die Situation hineinversetzen. Dieser Gewaltausbruch an dem Abend war der Scheitelpunkt von Jahren des Missbrauchs, an dem in wenigen Minuten das alles zu einem einzigen, traumatischen Erlebnis kulminiert ist. Wenn wirklich die Polizei dagewesen wäre, dann wäre der Missbrauch zum ersten Mal amtlich geworden. Man hätte registriert, dass hier Gewalt innerhalb der Familie in einem abnormalen Ausmaß vorhanden ist. Ich hätte mich auch schlussendlich Jahre später darauf berufen können. Jetzt gibt es niemanden, der das bezeugen könnte. Unser Nachbar, der diesen Streit geschlichtet hat, ist verstorben. Meine Eltern und mein mittlerer Bruder wären nicht willens, eine Aussage gegen meinen Bruder zu machen und die Familie damit weiter zu spalten.
@Alegra67, @Tobi84
Das stimmt schon, aber das heißt auch nicht, dass ich mit deren Kind jemals etwas zu tun haben muss. Ich sehe in dem Gesicht von dem Buben meinen Bruder und das ist unerträglich und ekelhaft für mich. Ich werde garantiert kein Onkel für dieses Kind sein.
Heute habe ich ein mehr oder weniger gutes Verhältnis zur Familie meines mittleren Bruders. Mit meinen Eltern kann ich so gut sprechen, wie wir das gewohnt sind: Ich spreche mit ihnen kaum bis gar nicht über meine Probleme, meine Beziehungen oder sonst was. Ich halte das auf ein Minimum, da sie keine produktiven Anregungen bringen. Mein Vater ist mittlerweile vergesslich und man muss ihm alles mehrmals erzählen. Zudem geben mir meine Eltern ununterbrochen Ratschläge, hören aber ausnahmlos auf keine einzigen Ratschläge von mir. Wenn ich mit ihnen spreche und etwas rate, ist das vollkommen wertlos. Es wird einem "Ach, ok!" kommentiert und damit ist die Sache schon vom Tisch.
Ich bedanke mich nochmals für euer Verständnis und eure Tipps. Eine Therapie wird mir hoffentlich ermöglich, dieses Kapitel abzuschließen und zu lernen damit umzugehen.
Ich freue mich nach wie vor über Kommentare, wenn jemand vielleicht etwas von seinem Umgang oder seiner Situation in der Hinsicht teilen kann!
🖤