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Jahrelanges Quälen durch großen Bruder

A

Aaron1988

Gast
Mein großer Bruder ist fünf Jahre älter und seit ich etwa sieben war, wurde ich von ihm regelmäßig verprügelt und psychisch misshandelt.

Als ich zehn war und er fünfzehn, begann er Messer zu kaufen, Schlagstecken aus Holz zu schnitzen und schoss mit einer professionellen Steinschleuder herum. An einem Tag zielte er auf mich mit der Steinschleuder von seinem Balkon aus. Er hatte dafür Metallkugeln gekauft. Weil er aber wusste, dass die Eltern ihn bestraften, begann er sehr bald alles in Momenten zu machen, da sie es nicht sahen und irgendwann glaubten mir meine Eltern nicht mehr. Er prügelte unprovoziert auf mich ein, wenn sie gerade ein Zimmer weiter waren und obwohl ich weinte, unternahmen meine Eltern irgendwann nichts mehr.
Wir drei Brüder hatten jeweils unser eigenes Zimmer. Ich war in der Mitte, mein mittlerer Bruder links und mein großer Bruder, der mich misshandelte, rechts. Zwischen meinem großen Bruder und mir war nur eine dünne Rigipswand, sodass man alles durchhörte. Er schaute Filme und schlief vor dem Fernseher ein. Die DVD Menüs lärmten bis in den Morgen und ich konnte nicht schlafen. Wenn ich aber abends Musik hörte oder etwas am PC machte, ging er hinunter ins Stiegenhaus und drehte den Strom für mein Zimmer am Sicherungskasten ab. Ich saß im Dunklen. Wenn ich zu bald herauskam, lauerte er mir im Stiegenhaus auf und verprügelte mich. Deshalb und aus Angst hatte ich einen Zimmerschlüssel und sperrte jede Nacht mein Zimmer zu. Es passierte mit einer derartigen Regelmäßigkeit, wenn er mir den Strom im Zimmer abdrehte, und ich minutenlang im Dunklen ausharren und still sein musste, dass ich darüber Notizen machte. Aber ich löschte die Excel-Datei bald, es belastete mich noch mehr. Während der ganzen Zeit hing drohend die Tatsache über allem, dass er sich Waffen gebaut hatte. Als ich einmal in sein Zimmer ging, sah ich den Baseball-Schläger, den er hinter seiner Tür griffbereit hingestellt hatte.
Ich begann Angstzustände zu bekommen. Nachts hatte ich fast immer Albträume und Schwierigkeiten durchzuschlafen. Wir stritten jeden zweiten Tag und ich hörte auf gemeinsam am Tisch zu essen, aß auf meinem Zimmer. Das wurde "normal". Meine Großmutter sagte dazu nur: "Irgendwann bist du stärker!", aber das trat nie ein. Mein Bruder war immer einen Kopf größer und weit stärker. Wenn wundert es, er ist fünf Jahre älter. Ich war psychisch am Ende. In einer extremen Phase spielte ich mit dem Gedanken davonzulaufen oder mich umzubringen. Ich sperrte mich auch untertags im Zimmer ein.
 
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XXXXXGuest

Gast
Mein großer Bruder ist fünf Jahre älter und seit ich etwa sieben war, wurde ich von ihm regelmäßig verprügelt und psychisch misshandelt.

Als ich zehn war und er fünfzehn, begann er Messer zu kaufen, Schlagstecken aus Holz zu schnitzen und schoss mit einer professionellen Steinschleuder herum. An einem Tag zielte er auf mich mit der Steinschleuder von seinem Balkon aus. Er hatte dafür Metallkugeln gekauft. Weil er aber wusste, dass die Eltern ihn bestraften, begann er sehr bald alles in Momenten zu machen, da sie es nicht sahen und irgendwann glaubten mir meine Eltern nicht mehr. Er prügelte unprovoziert auf mich ein, wenn sie gerade ein Zimmer weiter waren und obwohl ich weinte, unternahmen meine Eltern irgendwann nichts mehr.
Wir drei Brüder hatten jeweils unser eigenes Zimmer. Ich war in der Mitte, mein mittlerer Bruder links und mein großer Bruder, der mich misshandelte, rechts. Zwischen meinem großen Bruder und mir war nur eine dünne Rigipswand, sodass man alles durchhörte. Er schaute Filme und schlief vor dem Fernseher ein. Die DVD Menüs lärmten bis in den Morgen und ich konnte nicht schlafen. Wenn ich aber abends Musik hörte oder etwas am PC machte, ging er hinunter ins Stiegenhaus und drehte den Strom für mein Zimmer am Sicherungskasten ab. Ich saß im Dunklen. Wenn ich zu bald herauskam, lauerte er mir im Stiegenhaus auf und verprügelte mich. Deshalb und aus Angst hatte ich einen Zimmerschlüssel und sperrte jede Nacht mein Zimmer zu. Es passierte mit einer derartigen Regelmäßigkeit, wenn er mir den Strom im Zimmer abdrehte, und ich minutenlang im Dunklen ausharren und still sein musste, dass ich darüber Notizen machte. Aber ich löschte die Excel-Datei bald, es belastete mich noch mehr. Während der ganzen Zeit hing drohend die Tatsache über allem, dass er sich Waffen gebaut hatte. Als ich einmal in sein Zimmer ging, sah ich den Baseball-Schläger, den er hinter seiner Tür griffbereit hingestellt hatte.
Ich begann Angstzustände zu bekommen. Nachts hatte ich fast immer Albträume und Schwierigkeiten durchzuschlafen. Wir stritten jeden zweiten Tag und ich hörte auf gemeinsam am Tisch zu essen, aß auf meinem Zimmer. Das wurde "normal". Meine Großmutter sagte dazu nur: "Irgendwann bist du stärker!", aber das trat nie ein. Mein Bruder war immer einen Kopf größer und weit stärker. Wenn wundert es, er ist fünf Jahre älter. Ich war psychisch am Ende. In einer extremen Phase spielte ich mit dem Gedanken davonzulaufen oder mich umzubringen. Ich sperrte mich auch untertags im Zimmer ein.
Das klingt nach einer sehr schlimmen, dunklen Zeit für dich. Solche Erlebnisse lassen einen oft ein Leben lang nicht los.

Deine Großmutter wusste davon und hat nichts dagegen unternommen?

Wie ist deine Situation jetzt?
 
A

Aaron1988

Gast
@XXXXXGast: Es geht leider noch weiter. Die 1000 Wörter Begrenzung stand mir letztens im Weg.

Weiter vom ersten Eintrag:

Als ich einmal einen Freund zu Besuch bei mir hatte, drehte er wieder die Sicherung raus. Wir saßen im Dunklen und mein Schulfreund hatte ebenso Angst wie ich. Als ich hinausging, kam er mir schon am Gang entgegen und prügelte mich zu Boden. Ich konnte nur noch spüren, wie mein Kopf seitlich am Boden lag und er auf meinen Schädel wie ein Presslufthammer einprügelte. Seine Schläge waren alle auf meinen Kopf gerichtet und mir wurde schwindlig. Er schlug vielleicht zwanzig mal auf mich ein und ich hörte sein hasserfülltes, spuckendes Schnaufen an meinem Ohr. Dann beschimpfte er mich: "Du klane, verfickte D*******!". Meine Eltern kamen benommen aus dem Schlafzimmer, als das alles schon vorbei war. Sie schickten ihn auf sein Zimmer und ich auf meines. Mein Schulfreund war völlig verängstigt und wir konnten lange nicht einschlafen.

Eines Abends spielte sich der schlimmste Streit überhaupt ab. Um ein Uhr nachts lärmte er noch mit dem Fernseher und ich konnte nicht schlafen. Also hämmerte ich gegen die Wand und rief, er solle leise sein. Ich hörte ihn in Tobsucht schreien und rannte aus meinem Zimmer, hinunter in die Küche. Mein Vater war nicht da, er war verreist. Meine Mutter hatte ferngesehen und stand in der Küche, als mein Bruder mit einem seiner selbstgeschnitzten Stecken herunterrannte. Ich weiß noch wie er ausgesehen hat. Er war leicht gekrümmt, etwa 3cm Durchmesser und hatte einen Griff aus dicken Kunststoffbändern, wie man sie von Fahrrädern kennt. Beide Enden waren stumpf abgeschnitten, also vom Aussehen her ähnlich wie ein Übungsschwert für Samurei. Meine Mutter drängte mich aus der Küche, in den Garten hinaus. Die Küchentür hatte ein Glasfenster in Kopfhöhe. Ich sah, wie mein Bruder schnaubend auf meine Mutter einredete: "Gib mir die kleine D*******. Ich bring ihn um!". Meine Mutter bekam einen Nervenzusammenbruch, stützte sich auf dem Herd ab und heulte, konnte kaum atmen. Er redete weiter auf sie ein, ich würde das verdiene oder was auch immer er gesagt hat. Als ich meine Mutter so sah, drehte ich selbst durch, schrie und schlug mit der Faust gegen die Scheibe. Sie zerbrach und ich schnitt mir die Handkante auf, die augenblicklich stark blutete. Meine Mutter rannte zur Tür und machte auf. Sie hatte davor mit dem Telefon am Gang den Nachbarn angerufen, oder solle schnell hinüberkommen. Der Nachbar stand nun auch ratlos in der Küche und redete beschwichtigend auf uns ein. Wie das endete, erzähle ich weiter unten.








Gestern am Morgen träumte ich wohl in der Aufwachphase etwas so Grausliches, mir blieb der Nachgeschmack dieses komplexen Gefühls den ganzen Tag im Kopf. Ich wollte nicht unter Menschen sein, war reizbar und müde. Abends in der Arbeit schlief ich andauernd ein.

Der Traum handelte (wieder einmal) von einer Begegnung mit meinem Bruder. Ich weiß nicht mehr, was darin passiert ist, vielleicht habe ich mit ihm gestritten, ihn angeschrien, versucht ihn zu verprügeln. Die Klarheit des letzten Ablaufs drängte sich auf, als hätte plötzlich jemand einen Scheinwerfer auf meine Stirn gezielt. Jedenfalls konnte er mich überwältigen und gewann den Kampf. Ich kann das Gefühl und den Vorgang danach kaum beschreiben. In einer sonderbaren Übereinkunft akzeptierte ich, dass er mich umbringen darf.
Ich bat ihn regelrecht darum, er solle mich jetzt erschlagen. Ich wäre damit einverstanden! Dabei sehe ich mich selbst von hinten stehend, tendenziell mit dem Blick auf meine linke Hälfte und mein Gesicht, gefesselt oder umklammert von ihm, aber ich könnte trotzdem wegrennen. Ich sah ihn an und gab ihm zu wissen, er darf mich umbringen. Er steht links von meinem Körper. Als ich es vermittle, dass er mich erschlagen kann, gibt er mir mehrere Schläge auf den Kopf, vielleicht mit einem stumpfen Gegenstand. Ich liege am Boden und er schlägt auf mich ein, aber es gelingt ihm nicht, mich mit den Hieben umzubringen. Der Vorgang scheitert und wird abgebrochen, in einer diffusen Bewegung befreie ich mich und bin weg. Danach springe ich in der Zeit voraus. Ich schreie, zerschmettere ein Wasserglas am Boden, indem ich es von mir wegschleudere und es zerspringt in tausend Scherben. Ich schreie jemanden an, vielleicht die Eltern. Erzähle nach, was gerade geschehen ist, schreie, dass nichts unternommen wurde. Meine Stimme treibe ich ans Äußerste, ich kann im Traum kaum noch rufen und werde hysterisch und schwach.
Wie erwähnt, es ist mir einfach kaum möglich adequat zu beschreiben, wie derartig pervers, grotesk und unerträglich dieses Gefühl des Auslieferns war. Am ehesten noch denke ich an die Szene aus "Saving Private Ryan", wo ein deutscher Soldat einen amerikanischen überwältigt und ihm ganz langsam die Klinge in die Brust drückt, während er ihm beschwichtigend zuredet.
Ich glaube, der Ursprung dieses Traums ist der Moment von dem großen Streit, ich will fast sagen Kampf, als Lukas mit einem Stecken in der Küche stand und auf Mama einredete, sie soll ihm "die klane D*******" überlassen. Als meine Hand blutete und Hans reingekommen war, überkam mich ein Gefühl der völligen Verzweiflung und Hilflosigkeit. Es war, als hätte ich meinen Körper verloren und nur noch ein rohes, schalenloses Ei war übrig, oder mein Gehirn ohne Schädel, jedenfalls etwas völlig schutzloses mit einer dünnen Membran, dass bei dem kleinsten Druck bersten würde, war übrig geblieben. Nackt, entkernt, jede Würde verloren, überwältig und gänzlich machtlos. Und ich bot ihm an, wir sollten uns die Hände reichen und den Streit für alle mal aufgeben, Frieden schließen. Er verzog sein übles, widerliches Gesicht zu diesem säuerlichen, faltigen, schmalen Mund, blickte zu Boden und sagte einfach: Nein.
Er ging bei der Haustüre raus, zum Bahnhof und kaufte sich Zigarette.

Ich glaube, ich muss in Therapie. Immer wieder träume ich so etwas. Aber mit diesem widerlichen, todesmutigen Gefühl ... das war noch nie so unerträglich und lähmend. Ich spreche mit niemanden darüber. So ein Traum kommt wie ein Schluckauf von scharfem Essen. Er kommt einfach, belastet mich, vielleicht Stunden oder auch mehrere Tage. Wieder monatelang Ruhe, und dann kommt irgendwann der nächste solche Traum. Wenn ich ehrlich sein soll, schockiert mich vorallem der klare, wache Gedanke, dass ich ihn am liebsten umbringen würde, in Echt. Es steht in mir so eine Fülle an Hass, wie ein tiefer dunkler See im Wald, ohne Wind, die Schwere dieses Moors, das immerzu vor sich hingärt. Ich halte das nicht für gesund und gerade in einer Phase, wo ich keine Partnerschaft habe, ist jede Belastung wie unter einer Lupe betrachtet von enormer Größe.
Gestern musste ich mich anstrengen, um dieses umfassende, abartige Gefühl in Zaum zu halten. Es ist inzwischen abgeklungen. Ich denke, inhaltlich war es so widerlich, weil ich ihm freiwillig einfach mein Leben überließ. Er durfte mich umbringen, mich beseitigen – der ultimative Endpunkt eines verfahrenen, uralten Streits. Der ultimative Gewaltakt. Meinen Körper und meine Geist sterben zu lassen, nur weil er mich bis ins unendliche gehasst hat, vielleicht immer noch hasst. Denn eines ist mir klar, er hat in seinen Augen immer recht. Selbst wenn er, wie sie erzählt haben. wehleidig zu den Eltern sagen mag, dass er es bereut, so gewesen zu sein. Selbst darin sehe ich nur einen egoistischen Akt, eine Fassade zu schaffen und insgeheim denkt er sich, er hat zurecht gehandelt, jedesmal. Lukas wird sich nicht mehr ändern. Er wird sich mir gegenüber nie anders verhalten und er wird den Kern seines Charakters, diese asozialen, psychophatischen Züge, an anderen auslassen und danach handeln. Er wird mit Sicherheit sein Kind und seine Frau schlagen, ich wette darauf. Ich selbst sehe an mir den Schaden darin angerichtet, da ich manchmal den Gedanken durchgehe, ihm maskiert aufzulauern, nachdem ich im Vorfeld detektivisch ermittelt habe, welche Wege er täglich macht. In so einem Szenario warte ich irgendwo versteckt, springe heraus und verprügle oder erschlage ihn, erschieße ihn womöglich. Aber zu spüren, wie ich sein Fleisch schädige, mit meinen bloßen Händen oder nur die Vibration durch einen Schläger, den Aufprall auf seinem Fleisch, scheint bei weitem die größere Genugtuung. Und gleichzeitig spüre ich die Angst vor den Konsequenzen, die sofort über mich hereinbrechen. Hass und Verachtung der Familie, der Bekannten, Freunde – schlussendlich, Verhaftung und Urteil, Gefängnis.
Man relativiert immer alles massiv, denkt sich: Ach, das sind Gedanken, die jeder hat. Aber es wurde nicht jeder von seinem großen Bruder psychisch und physisch misshandelt. Ich mache mir etwas vor damit. Das ist keine Normalität gewesen, obwohl mir das Markus und die Eltern damals einreden wollten. Und es ist nicht normal, dass ein Fünfundreißigjähriger eines morgens aufwacht und quälende Albträume hat von Ereignissen, die vor über 15 Jahren stattgefunden haben.
 
A

Aaron1988

Gast
@XXXXXGast:
Meine Mutter hat zu Anfang meinen Bruder durch das Haus gejagt und ein zwei mal geschlagen, wenn er mich geschlagen hat. Es half nichts anderes, kein Schimpfen und kein Zureden haben ihn davon abbringen können das immer wieder zu tun. Mein mittlerer Bruder war immer diplomatischer, mit dem hatte ich keine Probleme. Da aber mein ältester Bruder natürlich der coolere war, hielt er meistens zu ihm und spielte auch weit mehr mit ihm als mit mir. Deren Verhältnis war besser.

Meine Eltern fühlten sich wahrscheinlich überfordert. Mein Vater arbeitete im Büro und war abends eigentlich nicht willens sich allzu viel mit uns zu beschäftigen. Wenn, dann mussten wir etwas mitmachen, das ihm Spaß machte. Bergsteigen, Wandern, Radfahren. Ob wir das wollten, war ihm herzlich egal. Wenn es Streit gab, hielt mein Vater meistens zu meinem großen Bruder, mit dem er sich gut verstand. Er zwang mich auch öfters Spielzeug oder Hefte mit meinem großen Bruder zu teilen. Ich bekam kaum neue Kleidung und trug immer die alten Sachen meiner Brüder, was mein großer Bruder mir komplett missgönnt hat. Er sah mich in seinem alten Lieblingspullover und bekam wieder einen mords Hass auf mich. Das reichte dann oft schon aus, um wieder Prügel zu kassieren. Die Kleider waren ausgewaschen und ausgeleiert. Dass das eigentlich fies von meinen Eltern war, dämmerte mir erst Jaher später.

Normal ist das, was man innerhalb des sozialen Umfelds definiert. In meiner Familie war so einiges "Normalität", was ganz und gar nicht so hätte sein sollen. Meine Eltern stritten dermaßen oft, dass man die Uhr danach stellen konnte. Fixpunkt waren die Streiterein am Wochenende. Schon um 7 oder 8 Uhr morgens hörte man meine Eltern in der Küche unten schreien. Meine Mutter zerschlug regelmäßig Geschirr oder ging zur Küchentür, um diese einfach mit voller Wucht mehrmals auf und zu zu schlagen, nur um ihrem Ärger Luft zu machen. Es gab zahlreiche Momente, wo wir Brüder in die Küche hinunterrannten, weil der Streit so eskalierte, dass sie sich fast gegenseitig schlugen. Das taten sie auch, aber "nur" drei oder viermal. Dieser Umstand im besonderen hat mir eine Angst vor dem Geräusch zufallender Türen bereitet und ich bekomme davon im schlimmsten Fall Panikattacken.

Meine Großmutter wohnte in einem anderen Ort und wir waren nur bei ihr zu besuch. Ich sprach mit niemanden über die Vorgänge, aber als ich ihr eben davon erzählte und sie den lappidaren Spruch abließ: "Irgendwann bist du mal stärker!", so als ob das Jahre der Misshandlung wettmachen könnte, war ich einfach enttäuscht und böse auf sie.

Wenn ich nicht zuhause war, fing er an in mein Zimmer zu gehen und dort Gegenstände anzuzünden oder zu zerschneiden. Er hat meinen ersten Computer zerstört, den ich von meinem Vater bekommen habe. Aber diese ganze Vorkommnisse hatten für ihn keine Konsequenzen mehr. Meine Eltern schimpften ihn, das war's.

Nachdem mein Bruder mich vor einem Freund halb ohnmächtig geschlagen hat, wie oben beschrieben, steckten meine Eltern ihn für ein Jahr in ein Internat und er machte eine technische Ausbildung dort. Es war die entspannteste Zeit meiner Jugend, allein dadurch, dass seine Quälerein wegfielen. Er war zwar an Wochenenden auf besuch, aber das konnte ich aushalten.

Mit etwa 25 Jahren versuchte ich mich mit ihm zu versöhnen und besuchte ihn manchmal. Da wohnte er im Dach bei meinen Eltern. Wir konnten miteinander reden, aber es war wie wenn ich mit einem Fremden spreche, der irgendwie zu persönlich mit mir umging. Er hat narzisstische Züge und zwar insofern, da er eigentlich nur über sich selbst spricht, seine neuesten Erfolge, seine Aufträge, wo er Sport gemacht hat, welche Fotos er gemacht hat. Wenn ich ihm etwas aus meinem Leben gezeigt habe, worauf ich stolz war, kam selten oder gar nie Lob, sondern nur ein ratloses "mhm". Zudem hatte er den Zwang jede Erzählung von mir belehrend zu kommentieren. Ich machte entweder einen Fehler oder dachte falsch über Dinge nach, eine andere Schlussfolgerung gab es für ihn nicht, bin ja der dumme kleine Bruder.

An einem Tag kam es wieder zum Bruch. Ich war mit einer Arbeit für die Uni beschäftigt und mein Ladekabel für den Laptop wurde kaputt. Ich wusste, dass er so eines hat und ging hinauf, um ihn zu bitten mir seines zu leihen. Er stand in der Tür, die er gar nicht ganz aufmachte, verzog sein Gesicht zu dieser boshaften Fratze, die ich von damals kannte und sagte nur: "Mit gefällt der Ton nicht." Dann bettelte ich ihn an, ich müsste eine Frist einhalten, es wäre unglaublich wichtig. Er schlug mir nur die Tür vor der Nase zu.
Als ich die Stiege hinunterging, raste mein Puls und ich fing an zu hyperventilieren. Mir ronn der Schweiß kalt über Rücken und Stirn. Alle Schikanen, Bosheiten und Prügel von damals schienen wie ein dunkler Nebenschleier über mich hinwegzurinnen. Ich setzte mich im unteren Stock auf einen Sessel, blickte aus dem Fenster und versuchte mich zu beruhigen. Ich glaube, ich fuhr am selben Tag zurück in meine Stadt in die Studentenwohnung.

Mir glaubte niemand aus der Familie. Alle hielten mich für einen Simulanten und ein Weichei. Mehrmals warf man mir vor, ich sollte mich gefälligst mit meinem Bruder versöhnen. Aber ich kann es nicht und werde es niemals wieder versuchen. Er hat mir so viel Stress verursacht und Schaden zugefügt und zeigte selbst in lichteren Phasen keinen Deut der Besserung. Dieser Mensch wird sich nicht ändern und ich brauche ihn in meinem Leben nicht.

Ich weiß nicht, ob andere Leute mit Geschwistern das verstehen können, aber Gewalt kann nicht jeder Mensch gut wegstecken. Ich kann es nicht. Ich war vielleicht nie stark genug mich zu wehren. Ich vergaß zu erwähnen, dass wenn ich mich mit aller Kraft, die mein Körper hergab, gewehrt habe, zurückgeschlagen habe oder ihm nachgelaufen bin nachdem er mich geprügelt hat und auf seinen Rücken und Kopf einschlug, dann setzte es immer (!) die doppelte Tracht Prügel, die er vorhin gerade ausgeteilt hat. Das war ein eingespielter Mechanismus und selbstverständlich war ich nicht so dumm, es immer wieder zu versuchen und mich zu rächen.

Ich war nie in Therapie und durch das Schreiben dieser Zeilen wird mir bewusst, wie massiv die Belastung war und noch ist. Ich habe seit meiner Jugend Probleme mit Beziehungen und mich emotional auf jemand einzulassen. Zudem lade ich kaum Leute zu mir nachhause ein, unterbewusst durch diese Nacht beeinflusst. Ich wünschte fast, ich könnte ihn für diese Misshandlungen anzeigen.

Heute redet unsere Gesellschaft unablässig von #MeToo, teils mit schwer beweisbaren Dingen. Ich sitze in einem Scherbenhaufen, den mir meine Familie angetan hat.
 
G

Gelöscht 79650

Gast
Ich konnte nur noch spüren, wie mein Kopf seitlich am Boden lag und er auf meinen Schädel wie ein Presslufthammer einprügelte.
Und da kamst du nicht ins Krankenhaus?
Ich war nie in Therapie und durch das Schreiben dieser Zeilen wird mir bewusst, wie massiv die Belastung war und noch ist. Ich habe seit meiner Jugend Probleme mit Beziehungen und mich emotional auf jemand einzulassen. Zudem lade ich kaum Leute zu mir nachhause ein, unterbewusst durch diese Nacht beeinflusst. Ich wünschte fast, ich könnte ihn für diese Misshandlungen anzeigen.
Ich würde mich informieren, ob auch in diesen Fällen die Frist von 30 Jahren ab Volljährigkeit gilt.
Heute redet unsere Gesellschaft unablässig von #MeToo, teils mit schwer beweisbaren Dingen. Ich sitze in einem Scherbenhaufen, den mir meine Familie angetan hat.
Kein Grund, #MeeToo schlechtzureden. Die Frauen können nichts dafür, dass du einen gewalttätigen Bruder und unfähige Eltern hast.
Von einer Anzeige abgesehen , würde ich eine Therapie probieren.
 

cucaracha

Urgestein
Es ist furchtbar was du erleben musstest.
Deine Eltern hätten dir wesentlich stärker helfen müssen.

Mit Sicherheit würde ich eine Therapie machen, um das Grauen mit diesem schlimmen Bruder verarbeiten können.
Vermutlich war der Bruder neidisch und eifersüchtig.

Der Bruder wirkt psychisch krank...vermutlich (frühkindlich bedingt) durch die Eltern.
 
G

Gelöscht 79650

Gast
Hab`mal nachgeschaut - leider verjähren auch Delikte wie schwere Körperverletzung nach 10 Jahren.
Da würde ich mich persönlich rächen/für einen gesunden Ausgleich sorgen.
Hat er Familie ? Einen Job?
 
A

Aaron1988

Gast
Kein Grund, #MeeToo schlechtzureden. Die Frauen können nichts dafür, dass du einen gewalttätigen Bruder und unfähige Eltern hast.
Von einer Anzeige abgesehen , würde ich eine Therapie probieren.
Hatte nicht vor #Metoo schlecht zu reden. Es kam falsch rüber. Ich meinte damit, dass in anderen Belangen oft wenig Beweise und vielleicht unappetitliche Sprüche ausreichen, um eine Karriere zu beenden oder wen anzuzeigen. Der Vergleich hinkt natürlich sorry.

Ich kam nicht ins Krankenhaus. Meine Eltern fragten auch gar nicht nach, wie es mir ging. Die schickten uns einfach ins Bett. Sie glaubten auch im ersten Moment, ich sei "wieder einmal" schuld und Unruhestifter und dass mein Bruder mich etwa berechtigt verprügelt hätte. Das sind Momente, die sich mir eingebrannt haben. Ich kann auch heute seine Stimme nicht hören, wir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich sein nervöses Räuspern und "Mhm!" höre.

@cucaracha: Ich danke dir für deine Worte und dein Mitgefühl. Meine Eltern waren durch ihre eigenen Streiterein und Ausfälligkeiten, die besonders vonseiten meiner Mutter abscheulich und untergriffig waren, mit ihren eigenen Dämonen beschäftigt. Wir Kinder wurden immer wieder in die Streitereien mit hineingezogen, mussten sie oft schlichten. Ich hatte immer Angst, sie würden sich an einem Wochenende mal gegenseitig abstechen und bekam oft panische Angst, wenn ich sie streiten hörte. Meine Mutter instrumentalisierte vorallem uns Kinder oft, lästerte über unseren Vater und wollte uns auf ihre Seite bringen, auch wenn sie oft im Unrecht war.
Ich glaube nicht, dass meine Eltern die Reife hatten oder die Kapazität, die Situation ordentlich einzuschätzen. Wir Brüder leben jetzt alle in jeweils anderen Orten. Meine Eltern führen nach wie vor eine toxische Beziehung, haben sich aber aufeinander eingespielt und würden bei einer Trennung keinen Partner mehr finden, die deren massive Macken aushalten würden.
 
A

Aaron1988

Gast
Hab`mal nachgeschaut - leider verjähren auch Delikte wie schwere Körperverletzung nach 10 Jahren.
Da würde ich mich persönlich rächen/für einen gesunden Ausgleich sorgen.
Hat er Familie ? Einen Job?
Er hat Familie, Frau und Kind. Mein Vater hat mich anfangs genötigt, seinen Sohn anzusehen und brachte ihn einmal hoch, ich sollte ihn hoppern. Die Idee, den Sohn von meinem missbräuchlichen Bruder begrüßen und hoppern zu müssen, war für mich ekelhaft. Ich habe meinem Vater gesagt, er soll bitte gehen und das Kind wieder mitnehmen. Bis heute hat mein Vater, trotz eines seitenlangen Briefes, der an einige Familienmitglieder ging, kein so rechtes Verständnis für meine Haltung.

Es scheint mir sinnlos, mich in irgendeiner Form an ihm zu rächen. Das macht die Verletzungen der Vergangenheit nicht ungeschehen. Ich weiß nur eines und zwar werden wir uns irgendwann über den jeweiligen Anwalt unterhalten. Spätestens, wenn es um meine Eltern geht.
 

cucaracha

Urgestein
Auf keinen Fall würde ich mich am Bruder rächen.
Das würde eure schlimme Beziehung fortsetzen und unschuldige Leute werden dafür bestraft.

Kontaktabbruch ist viel besser als Rache.

Es könnte sein, dass du das klügere und schönere Kind warst und von den Eltern bevorzugt wurdest.

Vielleicht war der Bruder aus diesem Grund neidisch und eifersüchtig auf dich....

Und prahlte bei dir auch deshalb später noch narzisstisch von seinen Dingen aufgrund seines tief angeknacksten Selbstwertgefühls.
Er suchte nach Bewunderung.

Deine Eltern hätten wesentlich früher eingreifen sollen und ihn früher in ein Internat geben müssen.
Er ging in das Internat..das heisst deine Eltern wollten lieber dich behalten.

Du bist durch seine sadistischen Handlungen traumatisiert worden.
Deine Eltern waren hilflos und überfordert.
Sie waren mit ihren eigenen Problemen und Streitereien beschäftigt.

Ihre Streits können ein Hauptgrund für die Gewalt von deinem Bruder gewesen sein.


Er hat dich als sein Ventil für seine Wut benutzt.....die Eltern lebten ihm den gewalttätigen Streit vor.
Gewalttätige Streits wurden bei euch verharmlost.

Kinder leiden extrem unter den heftigen Streitigkeiten von Eltern.
Manche Kinder gehen deshalb später keine eigenen festen Beziehungen ein.

Wenn sich ein Paar häufig und heftig streitet ist es einerseits eine toxische Beziehung
(besonders für die Kinder) und auf der anderen Seite steckt oft eine tiefe emotionale und sexuelle Bindung und Liebe dahinter.
 

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