Hallo, deinen Einwand kann ich sehr gutverstehen. Mir selbst sind sie gut bekannt. Noch gar nicht so lange vor meinem dreimonatigen Klinik-Aufenthalt habe ich mich dieses Arguments bedient. Es galt denjenigen unter meinen Freunden und Bekannten, die mir eine stationäre Therapie empfahlen. Da wehrte sich was in mir. Und natürlich spielten auch die alten Geschichten, die sich mit der Psychiatrie verbanden, eine Rolle. Ich war doch nicht bescheuert, war doch nicht blöd und klar im Kopf. Und da würden sie mich vielleicht fixieren, einsperren auf jeden Fall. Die Psychiatrie hatte ja in Deutschland einmal eine dunkle Vergangenheit.
Aber es waren ja nicht nur meine Gefühle, meine Gedanken, die mich lähmten. Mein Körper signalisierte mir zusätzlich, dass da was nicht mehr ging.
Ich hatte stark abgenommen, schlief nicht mehr und wenn, dann nur wenige Stunden. Meine Gedanken kreisten, und ich kam aus den Gedankenwirbeln gar nicht mehr raus. Ich wusste im Grunde, was das zu bedeuten hatte. Und ich dachte sehr konkret an Suizid, hatte das auch Menschen meiner Umgebung mitgeteilt.
Sie taten das einzig Richtige und informierten die Polizei. Innerhalb weniger Stunden landete ich in der Klinik. Drei Monate dauerte es, bis ich wieder so weit hergestellt war, dass ich wieder nach Hause konnte. Und es war gut,war richtig.
Du fragst ja nach den Gründen für das Ansteigen psychischer Erkrankungen. Man könnte oberflächlich betrachtet ja von einer Modeerscheinung, einer Mode-Erkrankung sprechen. Aber ich denke, es gibt Umstände und Vorausetzungen in unserer Gegenwart, die psychische Erkrankungen begünstigen. Als Erstes nenne ich eine wachsende Sinnkrise. Die Bindungen der Menschen etwa an die Religion nimmt seit Jahren ab. Unser Wertekompass ändert sich ungleich schneller als früher.
Das schafft innere Leere, ich will nicht von einer kollektiven Leere sprechen ,aber es gibt den Trend.
Beziehungen zerbrechen heute schneller. Man sehe sich nur die ständig steigende Scheidungsrate an. Beziehungkrisen führen in der Regel auch in Sinnkrisen.
Früher arbeiteten Menschen fast ein Leben lang in einer Firma, einem Konzern. Das schuf Bindungen.Ein Arbeitsplatz in der Stahlindustrie, im Bergbau war nicht seltenein Job auf Lebenszeit. Heute gilt das nicht mehr. Heuern und Feuern ist fast zur Regel geworden. Die sozialen Folgen sind unübersehbar geworden.
Auf der anderen Seit stehen diejenigen, die vor lauter Arbeit nicht mehr zu sich selbst kommen. (Burnout).
Es ist ein komplexes sozio-kulturelles Geschehen. Und Menschen reagieren darauf. Wir sind eben keine Roboter, keine Maschinen. Und es reagieren die sensiblen, die feinfühligen Zeitgenossen. Die anderen stumpfen ab. Beides führt irgendwann fast zwangsläufig in die Depression.
Das ist meine Erklärung, nicht vollständig, aber vielleicht erklärend.
Hans