"Mmh, eigentlich stimmt das ja. Aber, eigentlich liebe ich ihn ja, auch und will, unsere Familie nicht"
Genau darin besteht die ungeheure Komplikation.
Wir lieben unseren Vater und ersehnen uns Rückhalt von diesem einen Menschen, der uns dafür bestimmt wurde. Doch hat er Dir einen grausamen Hinterhalt gelegt. Eine Tatsache, die nicht übergangen werden kann. Sein Verrat an Dir kann nicht revidiert werden. Er hat Deine sexuelle Schutzmauer missachtet und Deine Integrität verletzt. Seinem eigenen Kind. Ich versteh Deine Sorge und Bedenken. Es wird sie alle sehr mitnehmen, aber es gibt noch Wichtigeres als das.
In erster Linie brauchst Du natürlich Betreuung durch eine psychosoziale Ambulanz. Ruf gleich morgen an und leg die Karten auf den Tisch, bevor sie Dich wegen Corona vertrösten. Sieh zu, dass niemand Dein Handy entsperren kann. Damit Du so schnell wie möglich von professionellen Leuten begleitet wirst. Vielleicht spürst Du selber, dass Du im Moment noch gar nicht abschätzen kannst, was da eigentlich geschah. Ich auch nicht, als ein Fremder. Aber mir scheint klar zu sein, es war etwas wirklich Schwerwiegendes dass Dir noch einiges bereithält, wenn es es Dir ins Bewusstsein dringt. Also zögere nicht.
Ob es zu einer Anzeige kommt, ist schon zu weit gegriffen. Diese Leute wissen am Besten, wie es weitergehen soll.
Ach, Du wirst schon wissen, wie Du an die richtige Stelle kommst! Wo sie über diese Konflikte besser Bescheid wissen und habe Vertrauen, dass sie so behutsam sein werden, wie es die Situation erlaubt. Deinen Geschwistern und Deiner Mutter würde genauso geholfen werden, wie Dir. In solchen Fällen wird natürlich die ganze Familie angesprochen. Der Ablauf wäre doch viel klüger, als wenn es Dir in einem Streit am Küchentisch heraus platzt.
Hinnehmen, schweigen, aus Sorge um die Familie alles erdulden, das gehört nicht mehr in unsere Zeit. "Ich muss es für meine Familie ertragen", folgt einer Leidensorientierung. die lange Zeit bestimmend gewesen ist. Bis man es, noch nicht lange her, endlich einmal hinterfragte. "Hat Leiden einen Sinn?" Mit dem Ergebnis: nein, Leiden hat keinen Sinn. Natürlich, für seine Familie einen Leidensdruck auf sich nehmen könnte schon Sinn haben, es funktioniert aber nicht. Weil Du kannst Deiner Familie nichts geben, wenn Du selber schwer verletzt bist.
Außerdem sollst Du nicht leiden, dafür was er getan hat.
Also sollst Du auch nicht leiden zu den Konsequenzen, die es möglicherweise für ihn hat.
Was Du doch tun wirst, aber dann wisch es gleich wieder weg.
Und auch nicht, weil es Deine Familie erschüttern wird.
Du bist unschuldig und jedes weitere Leid, dass Du in dem Zusammenhang auf Dich nimmst, wäre eine Fortsetzung des Missbrauchs auf anderen Ebenen. Der meines Erachtens erst dann beendet ist, mit der Entscheidung: ich akzeptiere kein weiteres Leid in der Sache und auch nicht auf Umwegen durch die Sorge um meine Familie. Dein eigenes Loch in der Brust sollte jetzt maßgeblich sein.
Du darfst Deinen Vater immer lieben und wirst Du wohl auch. Mit lebenslangen Schmerzen um ihn. Darum haben wir einen imaginären Rucksack mitbekommen, in den manches hineingeht und wir können ihn das ganze Leben lang tragen, ohne dass es die schönen Momente erschwert. Wären sie nicht imaginär, würdest Du an uns allen solche Rucksäcke sehen, mit unterschiedlichem Inhalt.
Wer kalt ist, wird von der Justiz bestraft. Wer liebt, nimmt es als Möglichkeit der Sühne. Erst dann wirst Du wissen, was an ihm dran ist. Ob es genügen wird für eine neuerliche Begegnung, oder nicht.
Aber es muss den offiziellen Weg gehen. davon bin ich fest überzeugt.