Hallo Lila,
ich komme einfach nicht umhin, dir auf deinen Thread zu antworten, obwohl ich in Foren sonst eher die Schweiger-Nummer bevorzuge und mich ausschließlich konsumierend verhalte (Probleme anderer aufsauge, wenn sie sich mit meinen decken und nach wertvollen Beiträgen für mich selbst suche).
Deine Gefühlslage, deine Unsicherheit und das Gefühl, fehl am Platz zu sein oder keine Berechtigung zu haben, dich frei von Zweifeln und Ängsten zu bewegen - all das kommt mir so vertraut vor, dass ich diesen Thread genauso gut hätte beginnen können. Ich entdecke meine Ängste wieder, wenn ich deine Beiträge lese; das Kämpfen mit scheinbar alltäglichen Situationen, die einem Kraft, Mut und Energie abverlangen und die andere so spielerisch meistern, ohne auch nur den Hauch eines Kratzers in ihrem Selbstbewusstsein aufweisen zu können - zumindest nach außen hin.
Ich studiere ebenfalls und kann das Gefühl, sich mit diesem Unwohlsein durch die Uni bewegen zu müssen, so gut nachempfinden. Als wäre man nur ein billiger Vertreter für jemand anderen, der sich dort eigentlich gar nicht aufhalten dürfte. Ich löse dieses Problem meist so, dass ich erhobenen Hauptes, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen (und innerlich entweder meine Schritte zählend oder an einen Liedtext denkend) energisch auf mein Ziel zugehe, sei es der Seminarraum, das Büro des Profs oder selten der Gang in die Cafeteria.
Auch mich kostet es eine enorme Anstrengung, ständig zwischen 'Bloß nicht auffallen und aus der Rolle fallen' und 'Verdammt, du studierst an dieser Uni, du hast jedes Recht der Welt, dich hier frei und selbstbewusst zu bewegen, egal wie andere dich ansehen oder bewerten'. Das ist ein Kraftakt, der immer wieder aufs Neue bewältigt werden muss.
Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, bei mir sind durchaus Minderwertigkeitskomplexe vorhanden, die zum großen Teil aus früheren Erfahrungen resultieren und teilweise auch einfach in der Familie liegen.
Dazu kommt eine irrationale Angst vor Autoritäten.
Das fing in der Schule mit autoritären Lehrern an (bei denen mir teilweise einfach die Stimme versagte), geht bis hin zu Behörden oder auch der Polizei.
Alles Institutionen oder Instanzen, deren Willkür mich irgendwie triggert.
Das geht soweit, dass auch bei alltäglichen Dingen immer der Zwang da ist, sich überkorrekt zu verhalten, um ja nicht in die brenzlige Situation zu geraten, Kontakt zu einer dieser Instanzen haben zu müssen. Ein Beispiel (aus früheren Zeiten): Wenn ich einkaufen ging und eine Stofftasche aus einem anderen Laden dabei hatte, wartete ich innerlich angespannt immer darauf, dass eine Verkäuferin/ein Detektiv mich anfahren würde, dass ich etwas habe mitgehen lassen, weil ich die Tasche anfangs nicht vorgezeigt habe. Total absurd eigentlich.
Oder am Flughafen, wenn man durch die Kontrolle muss: Ich fürchte immer, dass sie irgendetwas oder irgendeinen Grund finden, um mich festzuhalten, zu durchsuchen oder Ähnliches. Und das, obwohl ich stets penibel und mehrfach nachlese, was erlaubt ist und was nicht. Das Einhalten von Regeln und Gesetzen ist bei mir schon in eine Art Zwang ausgeartet, der besagt, dass ich bloß nichts falsch machen darf - dabei spielt die Angst, vorgeführt und öffentlich lächerlich gemacht oder gedemütigt zu werden, eine große Rolle. Hilflos zu sein vor anderen und der Gewalt oder Willkür ausgesetzt zu sein.
Oder ein anderes Beispiel: Ein fremdes Lokal/Restaurant zu betreten und nicht zu wissen, ob man warten muss, an einen Tisch geführt zu werden oder ob man sich selbst einen aussuchen darf. Ich habe in dieser Situation das Gefühl, dass mich alle anstarren und für dämlich halten. Bescheuert eigentlich. Gilt auch für S*bway, wo man sich sein Sandwich selbst zusammenstellen darf. Solange ich nicht genau wusste, was in welcher Reihenfolge erfolgt und an welcher Stelle das Zahlen kommt, war ich die ganze Zeit beim Bestellen angespannt, weil ich keinen Fehler machen wollte und vor den anderen Kunden/dem Verkäufer nicht wie ein Idiot dastehen wollte.
Ich muss stets den genauen Ablauf, die (Verhaltens-) Regeln und so weiter kennen, sonst fühle ich mich angespannt, ausgeliefert, bin nervös und werde fahrig, patzig zu meinem/n Begleiter/n und mir wird schwindlig.
Ein mögliches Schlüsselerlebnis fällt mir da ein:
Meine Mutter hatte mich als Kind (so zwischen 7 und 9) zum Wocheneinkauf mitgenommen und mich gebeten, den Einkaufswagen zurückzubringen und die (Pfand-) Münze natürlich wieder mitzunehmen. Das war eigentlich nie ein Problem, ich habe den Wagen zurückgebracht, die Münze herausgeholt und wurde im selben Moment von einer fremden Frau angeschrien, was ich da mache und dass es Diebstahl sei, fremde Münzen aus den Einkaufswagen herauszuholen. Ich hab losgeheult und bin zurück zu meiner Mutter gegangen, die nach der Münze gefragt hatte und ich ihr dann heulend von der Frau erzählt habe. Meine Mutter ging zu der Frau und hat sie angefahren, die Münze geholt und damit war die Sache eigentlich erledigt. Dachte ich. Ob sie auch mit mir geschimpft hat, weil ich nicht auf meinem Recht bestanden habe, weiß ich nicht mehr, aber ich denke, dass sie schon etwas in diese Richtung gesagt hat.
Ich glaube, seitdem hat sich die Angst davor etwas falsch zu machen so massiv verstärkt. So sehr, dass ich mittlerweile sogar dann unsicher bin, wenn ich genau weiß, dass ich alles richtig mache oder es besser weiß. Und dann unterlaufen mir vor Nervosität erst recht Fehler.
Wenn ich mir das selbst so eingestehe, sehe und weiß ich selbst, dass mein Leben von Ängsten bestimmt wird. Deshalb fühle ich mit dir...eine Lösung weiß ich leider selbst nicht. Ich bastele lediglich an meiner Außenwirkung und lasse die anderen glauben, ich wäre stark und selbstbewusst. Nur meine Liebsten und Vertrauten wissen, wie es tief drinnen in mir aussieht. Aber auch nicht vollständig, weil sie mich dann wohl sofort zu einem Psychiater schicken würden.
Fühl dich gedrückt, du bist nicht alleine...
Gast(in)