Liebe Leidensgenossen, Männer und Frauen, junge und ältere Leute,
seit 16 Jahren bin ich in meinem Hilfsarbeiterjob gefangen. Und das als Studierter mit der Note 1!
Wie schön, einmal zu lesen, dass auch andere Menschen ihren Job "hassen". Denn so ist es auch bei mir: Die Arbeit, der ich nachgehe, verursacht reine Hassgefühle. Vor allem morgens, "wenn es wieder losgehen" soll.
In diesem Forum sind beide Richtungen angesprochen und gut beschrieben worden: Über- und Unterforderung. Ehrlich gesagt, ich bin so stark gegen meinen Job eingestellt, dass ich überhaupt nicht mehr sagen kann, was davon zutrifft. Wenn ich über meinen Job nachdenke, kann ich nacheinander "das kapitalistische System", "die Betriebsstruktur", "die Vorgesetzten", "die Kollegen", "die Tätigkeit" selber als Schuldige nachweisen.
Ich glaube, ich passe einfach sehr schlecht in die Arbeitswelt. Ich wollte Wissenschaftler oder Schriftsteller werden, jetzt mache ich Hilfsarbeit.
Am 19.März 1996 bin ich in meinen Job eingestiegen. Hilfsarbeit in der Halle, mit Handschuhen und Sicherheitsschuhen, eine körperlich anstrengende Arbeit. Nicht mal Vollzeit, aber mittlerweile 16 Euro die Stunde.
Zusammen mit Wohngeld kann ich davon meine Familie, Frau und 2 Kinder ernähren, wir haben sogar ein (altes und zugiges) Haus gemietet. Mein Auto ist 22 Jahre alt, wirklich! Täglicher Arbeitsweg 66 Kilometer.
Warum wohne ich so weit draußen? Weil es hier billiger ist, aber vor allem, weil ich den Hass, den ich für den Job empfinde, auf die Stadt, wo das Gebäude steht, übertragen habe. Ich will möglichst weit weg vom Job, den Vorgesetzten und den Kollegen sein.
Ich bin körperlich stark, ich kann meinen Garten umgraben, ich kann Äpfel ernten. Kochen, Sachen reparieren. Aber die paar Stunden auf der Arbeit, die machen mich alle.
Ich bin dünnhäutig und empfindsam. Nach 16 Jahren habe ich mich nicht an die betriebliche Befehlsstruktur gewöhnt! Zur Gegenwehr bin ich zu schwach. Meistens folge ich blind dem Befehl/Arbeitsauftrag, genervt, alle fünf Minuten zur Uhr blickend. Manchmal steigen mir die Tränen in die Augen, wenn ich wegen "2 Minuten zu spät" (Tatsache!) zur Rede gestellt werde.
Die Arbeit ist eine Sortierarbeit, Papier, viel Gewicht. Am Tag mehrere Tonnen Handarbeit.
Bei uns werden auch Maschinen eingesetzt. Bizarrerweise sind Leute, die nach mir in den Betrieb gekommen sind, heute Maschinenführer (=leichtere und selbstbestimmtere Arbeit). Nicht ich. Ich mache seit 16 Jahren ein und dasselbe! Dabei habe auch ich mich auf diese Stellen beworben.
Ein Vorgesetzter sagte einmal direkt: "Du gehörst nicht hierher!" Ich rede anscheinend anders, und obwohl ich zerfetzte Arbeitshosen trage, erkennt jeder, dass ich ein Fremdkörper bin.
Andere, die nach mir kamen, waren nach vier Wochen besser integriert als ich.
Inzwischen bin ich 44, der Zug ist absolut abgefahren.
Dabei bin ich gut und sehr fleißig, wenn mich die Sache etwas angeht. Ich habe mehrere veröffentlichte Romane und viele Erzählungen geschrieben. Die Kritiken waren teils sehr gut, aber ich habe weniger als hundert Euro daran verdient.
Ich bin ein guter Mensch, im Haus auch fleißig, klug und umsichtig.
Auf der Arbeit versage ich manchmal bei den einfachsten "neuen Arbeiten". Ich kenne mich oft nicht aus. Leute mit weitaus weniger Bildung haben mich in betrieblichen Belangen längst überholt.
Der einzige Trost ist, es ist keine Vollzeitarbeit. Müsste ich acht Stunden dies Grauen ertragen, ich wüsste nicht, was dann mit mir passiert.
Mann, 44 Jahre, Norddeutschland