Liebe Dauni,
Du schreibst, dass Du für Deine Mutter alles menschenmögliche getan hast. Sie umsorgt hast etc.
Du warst für Deine Mum da...- auch wenn sie es vielleicht - wie Du schreibst- nicht immer so annehmen konnte oder sogar mehr erwartet hat.
Doch halte Dir immer vor Augen, dass Du nicht mehr für Deine Mum tun konntest- als da für sie zu sein!
Für ihr psychisches Problem musst Du Dich nicht verantwortlich fühlen.
Weisst Du,
meine Mum war manisch depressiv. Manchmal war sie himmelhochjauchzend und dann wieder zu tote betrübt...
...in schweren Phasen hatte ich auch manchmal das Gefühl- dass nichts an guten Gedanken bei ihr ankommt. Aber in diesen Momenten war sie einfach nicht bereit dafür, was Positives aufzunehmen.
Klar-
war ich auch dann traurig, mich der Situation ohnmächtig gegenüber zu fühlen...
... sie hat dann einfach ihre Ruhe gebraucht und auch Verständnis...
Wenn es ihr sehr schlecht ging- dann hat sie oftmals alles in den falschen Hals bekommen und Streit war dann oft vorprogrammiert. Jedes Wort hat sie dann in solchen Momenten als persönlichen Angriff gewertet und dann
haben wir uns auch manchmal lautstark "angegiftet". Doch im Grunde waren das halt Phasen, die irgendwann auch wieder vorbei gingen.
Der Grund für ihre Erkrankung war für mich in ihrer Vergangenheit zu suchen.
Sie ist als Halbweise aufgewachsen bei ihrer Tante. Ihre Mutter (meine Oma) ist 10 Tage nach ihrer Geburt verstorben. Ihr Vater war seinerzeit im Krieg und erst mit etwa 6 Jahren- als ihr Vater vom Krieg zurück kam-
hat sie ihren eigenen Vater kennengelernt. Sie hatte ihn bis dato gar nicht gekannt und irgendwann stand ein für sie "fremder Mann" vor der Tür...- so wie sie erzählt hat. Er war ihr Papa.
Bei ihrer Tante hat sie oft das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie froh sein soll, dass
sie bei ihr überhaupt aufwächst ... dementsprechend musste sie schon in jungen Jahren die ganze Hausarbeit übernehmen und ist mehr oder weniger behandelt worden, wie ein Mensch der nur zu Arbeiten hat- um die Dankbarkeit ihrer Tante gegenüber zu vermitteln. Sowas wie wirkliche Mutterliebe war ihr Zeit ihres Lebens fremd.
Ihr Vater hatte dann noch 2 Mal geheiratet. So musste sie sich dann immer wieder mit dessen Frauen arrangieren.
War auch nicht immer sehr leicht für sie.
Liebe hat sie eigentlich in ihrer Jugend nie bekommen...
...so konnte sie manchmal auch schwer damit umgehen, wenn jemand ihr Zuneigung gezeigt hat.
Umgekehrt war sie aber eine wirklich liebende Mutter. Sie hat uns Kindern das geschenkt, was sie niemals bekommen hat- nämlich Liebe.
Ich habe ihre Liebe immer gespürt...-trotz ihrer psychischen Erkrankung.
Aber ich habe dennoch keine Schuld verspürt- dafür...
...denn ich war schon als kleines Kind ein Mama"kind"...
...bin ihr manchmal gar nicht von der Seite gewichen.....- einfach, weil ich mich so wohl in ihrer Gegenwart gefühlt habe.
Wir haben aber auch ab und zu uns lautstark angeschrien...-das war dann ab und an auch richtig krass und heftig und mit viel Tränen verbunden...
...doch es hielt nie lange an... - bis wir uns wieder in den Armen gelegen sind...
Irgendwie hatte ich einen besonderen Draht zu ihr...- wir waren innerlich sehr verbunden...
Mein Vater hatte Probleme- im Umgang mit ihr. Denn er hat es oft gut gemeint mit ihr-
aber war oftmals sehr unsensibel ihr gegenüber. Sie hat sich von ihm unverstanden und auch ungeliebt gefühlt, obwohl es im Grunde gar nicht so war. Deshalb haben meine Eltern sehr oft gestritten...
Du hattest doch bestimmt zu Deiner Mum auch einen besonderen Draht- oder?
Sonst hättest Du doch gar nicht für sie da sein können- so wie Du es getan hast.
Helfen konntest Du ihr nicht so, wie sie es sich vielleicht erhofft hat. Mag schon sein. Hättest Du es überhaupt können? Diese Frage musst Du Dir immer vor Augen halten. Dann wirst Du zum Ergebnis kommen, dass Du nicht
mehr hättest tun können.
Vielleicht nimmt Dir das auch ein wenig die Schuldgefühle.
Auch wenn die schönen Momente-
wie Du schreibst-
länger zurückliegen-
es hat sie gegeben....
...wenn Du besonders traurig bist, dann versuche Dich doch mal an die besonders schönen Momente zurückzuerinnern. Vielleicht zaubert Dir das ein Lächeln ins Gesicht. Das wünsche ich Dir sehr.
Ja...- den Tod begreifen-
auch wenn er unerwartet und plötzlich kommt-
können wir alle nicht.
Dennoch glaube ich ganz fest an ein Wiedersehen...
...daran, dass wir nun unseren Lieben noch viel näher sind-
obwohl sie im Grunde irdisch nicht mehr greifbar sind. Im Herzen sind sie allgegenwärtig.
Ich spüre, dass meine Eltern für mich das sind...-
es ist ein warmes Gefühl, das sich in Worte gar nicht beschreiben lässt.
Wann immer ich an meine Eltern denke-
sind sie einfach bei mir...in meiner Erinnerung genauso lebendig, wie ich mir erhoffe, dass sie es nun in einer anderen Dimension auch sind. Es ist vielleicht nur eine Hoffnung-
aber ich will daran glauben, dass nach dem irdischen tod ein ewiges Leben uns bevorsteht.
Meine Mum hat mir beispielsweise auch immer erzählt,
dass sie ihre Mum zwar selber nicht kennenlernen durfte-
aber ihre gegenwart hat sie immer verspürt. Sicher hat sie selber oft mit ihrer Mum gesprochen...
...meine Mum war auch davon überzeugt, dass ihre Mum ihr bei wichtigen Lebensentscheidungen geholfen hat.
Es war immer so ein Wink von oben- so ähnlich hat sie mir das erzählt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es etwas zwischen Himmel und Erde gibt...
...daran will ich auch einfach glauben.
Und wenn es das andere Leben gibt-
dann wird Deine Mum Dir von oben zuschauen und stolz auf Dich sein...
...dann wird sie auch begreifen, dass es auch nicht alles leicht für Dich war.
Denn dann ist sie in Dir ...spürt vielleicht ja auch Deine Gedanken und das, was Du fühlst.
Und wenn sie dann spürt, dass Du solche Schuldgefühle in Dir trägst- ihr gegenüber, dann sei Dir sicher,
dass sie es nicht will und auch nicht wollen würde.
Sie möchte Dich wenigstens glücklich sehen...ganz bestimmt.
Was ich in traurigen Momenten tue...wenn ich an meine Eltern denke?
Naja...
meine Trauer verarbeite ich mich viel Schreiben...-
damit- das zu schreiben, was ich fühle für sie...
-tiefe Traurigkeit und gleichzeitig -Dankbarkeit, sie gekannt zu haben. Beide meiner Elternteile.
Ich sehe nur noch das Gute, das sie uns geschenkt haben. Allem voran wurde uns doch sicherlich viel mit auf den weg gegeben. Sehr viel Lebensweisheit- die wir in unser alltägliches Leben miteinbinden können.
So war ihr Leben nicht umsonst...
sondern wichtig und wertvoll...so wie jedes Leben wichtig und wertvoll ist. Und weil das so ist-
kann es einfach nach dem Tod nicht alles gewesen sein.
Vielleicht ist unser Leben auch so eine Art Prüfung auf ein nächstes Leben.
Der Gedanke ist mir auch irgendwie Trost.
Manchmal zünde ich meinen Eltern auch eine Kerze an.
Denke an ihre Geburtstage- kaufe dann auch Blumen für sie...
Zuhause habe ich eine Art Erinnerungsaltar aufgebaut...mit Bildern meiner Eltern etc.
Sie sollen wissen, dass sie immer bei mir sind und ich immer an sie denke ...
...es macht mich auch traurig-
genauso wie Dich-
dass ich meine Eltern nicht mehr in die Arme schließen kann...
...besonders mit meiner Mum habe ich zeit meines Lebens immer sehr gerne geknuddelt.
Einfach weil ich sie so lieb hatte. Sie war nicht nur einfach meine Mum- sondern mir wie seelenverwandt.
Wir haben immer beide gespürt, wenn es uns nicht gut ging. Wir haben uns wortlos verstanden....
Aber auch mein Vater war in den letzten Jahren besonders herzlich...- auch ihn habe ich geliebt-
obwohl mir lange nicht bewusst war, dass er uns Kinder auch so geliebt hat. Denn er konnte es einfach nicht zeigen, früher....
Was ich sagen möchte:
Deine Mum wird immer in Deiner Seele bleiben...denn auch sie ist Teil von Dir...
Du wirst sie nie suchen müssen-
denn Dein Herz trägst Du immer bei Dir...-und dort hat Deine geliebte Mum ihre Spuren hinterlassen-
die Dir immer wieder den Weg zu ihr zeigen...-
niemals kann sie Dir verloren gehen.
So wirst Du sie niemals vergessen können...
...aber ich wünsche mir für Dich,
dass es Dir gelingen wird,
Dich von Deinen Schuldgefühlen zu befreien...
auch, dass es Dir mehr gelingen mag-
Dich an die wunderschönen Momente zurück zu erinnern,
die es auch gab.
Sie mag krank gewesen sein...
...aber vom herzen her war sie ein warmer Mensch-
der die wundervolle Tochter aus ihr gemacht hat- die Du bist.
Sonst wärst Du nicht mit viel Fürsorge für sie da gewesen...
..das sollte Dir ein klein wenig Trost sein.
Glg. Sissy