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Gescheitertes Studium, Jahrelanges nichtstun, soziale Isolation

JustSomeone

Neues Mitglied
Ich muss mir mal ein paar Dinge von der Seele reden, weiß aber nicht so recht wie ich anfangen soll, also mache ich es mal ganz am Anfang.

Irgendwann in der Oberstufe habe ich Probleme gekriegt. Ich wurde gemobbt. Viele haben damit sicher schon selbst Erfahrungen gemacht und selbst in meiner Klasse war ich lange nicht der der am meisten oder schlimmsten gemobbt wurde. Und trotzdem bin ich einfach nicht klar gekommen.
Langsam aber sicher habe ich mich immer weiter isoliert, wenn meine Freunde gefragt haben ob ich zum Fußballspielen oder ähnlichem kommen will habe ich immer öfter abgesagt und irgendwann haben sie dann aufgehört zu fragen.
Wenn ich nach der Schule nach Hause gekommen bin wollte ich nur noch abschalten. Das hat dazu geführt, dass ich den ganzen Tag nur noch am PC saß und nichts mehr aus eigenem Antrieb unternommen habe. Ich habe fast nie Hausarbeiten gemacht, und wenn, dann indem ich sie abgeschrieben oder in den Pausen während der Schulzeit hingeklatscht habe.
Das hat sich dann einige Jahre hingezogen, bis zu meiner Abiturprüfung. Die habe ich dann, obwohl ich zum Schluss sogar noch meine Leistungskursklausuren geschwänzt habe, mit mehr Glück als Verstand und einem Durchschnitt von 2.7 bestanden.

Ich hatte außerhalb meiner Familie kein soziales Umfeld mehr und selbst zu der war ich nicht besonders Nahe. Meine Eltern hatten sich als ich noch sehr jung war getrennt, meine Mutter war so ziemlich allein erziehend. Bei meinem Vater war ich nur jedes zweite Wochenende. Zu beiden hatte ich schon lange kein enges Verhältnis mehr.
Sie haben immer viel gearbeitet, und waren auch schon um die 40 als sie mich gekriegt haben, inzwischen also so 60. Sie hatten sicherlich auch einfach keine Kraft mehr.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich noch in keinster Weise um ein Studium, oder zumindest einen Job, gekümmert.
Und so saß ich Zuhause rum und bin vor mich hin gegammelt.
Auf Druck von meiner Mutter habe ich mir dann, nachdem ich im ersten Jahr die Einschreibefrist verpasst habe, mich um einen Studienplatz beworben. Es war ein Ingenieursstudiengang. Ich weiß nicht warum ich ihn gewählt habe, wahrscheinlich damit meine Eltern aufhören zu fragen was mein Plan ist.

Im ersten Semester bin ich noch zu allen Vorlesungen gegangen. Ich war auch noch immer dabei wenn meine Gruppe die Hausaufgaben gemacht hat, nur dazu beigetragen habe ich nicht viel. Auch außerhalb der Vorlesungszeit habe ich mich mal wieder nicht ums Studium gekümmert. Letztendlich habe ich mich dann nicht zu den Prüfungen angemeldet. Wenn meine Eltern danach gefragt haben wie das Studium geht habe ich sie angelogen.

Das nächste Semester lief fast genau so, nur das ich immer mehr Vorlesungen nicht besucht habe. Am ende hab ich mich dann zu einer Klausur angemeldet und sie sogar bestanden.

Mein Selbstvertrauen war inzwischen an einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Ich war 25kg übergewichtig, hatte nur ein Satz Kleidung die nicht richtig gepasst hat, und habe meine Hygiene vernachlässigt. Ich konnte nicht in den Spiegel oder auf Fotos von mir gucken.
Ich erinnere mich noch an einen Tag an dem ich von einer Vorlesung mit der U-bahn zu einem anderen Unigebäude gefahren bin. Als ich mein Spiegelbild in der Fensterscheibe gesehen habe hat das mir meine Laune so versaut, dass ich direkt umgekehrt bin und mich Zuhause verkrochen habe. Sozial isoliert war ich immernoch.

Anstatt das Studium zu diesem Zeitpunkt abzubrechen und was Sinnvolles zu tun habe ich mich wieder zurückgemeldet. Im dritten Semester bin ich zu exakt einer Vorlesung gegangen. Einer.
Den Rest der Zeit habe ich Zuhause rumgelegen oder am PC gesessen. Am Ende des Semesters habe ich wieder meine Eltern angelogen und mich zurückgemeldet.

Das ging 2 Jahre lang so. 2 Jahre indem ich nichts aus eigenem Antrieb getan habe. 2 Jahre wo ich meine Eltern angelogen habe und mir von ihnen das Nichtstun hab finanzieren lassen. 2 Jahre in denen ich nichts aus eigenem Antrieb getan habe, in denen ich wochenlang das Haus nicht verlassen habe. 2 Jahre in denen ich mich immer wieder an der Uni zurückgemeldet habe und dann nicht hingegangen bin.
Ich hatte zu dieser Zeit oft Selbstmordgedanken. Es waren nie konkrete Pläne, eher ein Gefühl, wenn ich über die Zukunft nachgedacht habe, dass ich mich eh umbringen werde. Einmal hab ich mir einen Gürtel um den Hals gelegt, so eine Weile verharrt und ihn dann wieder abgenommen.

Mir war klar, dass ich depressiv war. Ich bin sogar mal so weit gekommen mir eine Liste an Psychotherapeuten rauszusuchen und ein paar anzurufen. Nachdem die ersten paar keine Plätze hatten oder grade nicht ran gegangen sind habe ich das aber auch wieder aufgegeben.
Stattdessen habe ich immer wieder online geguckt: Was tun bei Depression? Was tun bei Angststörungen? Was tun bei sozialer Isolation? Was tun?

Langsam sind ein paar Dinge davon hängengeblieben. Zuerst habe ich angefangen mich um meine Hygiene und Gesundheit zu kümmern. Ich habe versucht mich täglich zu duschen und zu rasieren, bin zu Ärzten gegangen und habe mich um meine Neurodermitis und meine Rückenschmerzen gekümmert.
Dann habe ich angefangen darauf zu achten was ich esse und mir passende Kleidung gekauft, Kleidung in der ich mich zum ersten mal Wohl gefühlt habe.
Auch habe ich versucht das Haus so oft wie möglich zu verlassen. Ich habe meinen Führerschein gemacht und regelmäßiger Sport getrieben.

Mein größter Erfolg war aber Anfang 2017, wo ich meinen Eltern endlich gesagt habe, dass ich mich nicht noch einmal zurückmelden werde. Die volle Wahrheit kennen sie aber nicht. Sie denken, dass ich Jahrelang studiert habe.
Danach habe ich mir einen Job gesucht. Es war ein Mindestlohn Job ohne Zukunftsperspektive, in Nachtarbeit und oft über 40 Stunden/Woche. Ich wollte sehen ob ich überhaupt noch arbeiten kann. Vielleicht wollte ich mich auch bestrafen.

Der Job war kein Spaß, ich hatte aber zum ersten mal seit langem einen geregelten Tagesablauf und war täglich unter Menschen. Nebenbei habe ich auch angefangen mir Gedanken über die Zukunft zu machen, die über einen Selbstmord hinaus gehen.

Ich will etwas studieren. Diesmal möchte ich es wirklich tun, aus eigenem Antrieb. Ich möchte etwas tun was mich fordert. Ich möchte nicht mehr nur rumgammeln, ich will bis spät abends an der Uni sein und an etwas arbeiten. Ich habe jetzt so lange nichts getan, ich habe es satt.
Also habe ich mir einen Studiengang rausgesucht, der mich interessiert: Wirtschaftsinformatik.

Gegen Ende 2017 habe ich also meinen Mindestlohnjob gekündigt. Der Plan war mir einen 450 Euro Job zu suchen und mich zum 01.04 an einer Uni die Wirtschaftsinformatik zulassungsfrei anbietet einzuschreiben.
Momentan bin ich dabei mir eine Wohnung in der Umgebung zu suchen und einen Job, den ich nebenbei machen kann.
Es ist aber schwieriger als gedacht. Besonders Probleme macht mir das Schreiben von Bewerbungen. Was schreibe ich? Wie erkläre ich die Jahre an denen ich ohne Ergebnisse an der Uni immatrikuliert war? Was für Fähigkeiten habe ich überhaupt? Wieso wäre ich ein guter Kandidat?

Auch die Finanzierung wird schwer. Ich werde sehr bald 25, habe dann also keinen Anspruch auf Bafög mehr, auch meine Eltern wollen mich verständlicherweise nicht ewig finanzieren.

Die Selbstzweifel sind auch am zurückkehren. Bin ich schon zu alt um jetzt noch ein Studium anzufangen? Kann ich es diesmal überhaupt durchziehen? Was sage ich den Leuten wenn sie fragen was ich bisher gemacht habe?
Falle ich wieder in ein Loch und versinke im nichtstun?
Und auch wenn ich in den letzten ~2 Jahren viel geschafft habe, aus der sozialen Isolation bin ich noch nicht raus.

Ich weiß nicht so recht was ich mir von dem Post hier erhoffe. Vielleicht hats ja was therapeutisches.
 
J

Judith

Gast
Lieber Justsomeone,

erstmal möchte ich Dir sagen, wie bewunderswert Du Dich selbst sozusagen "aus der Gosse" befreit hast. Sorgtest für Hygiene, angenehme Kleider, Gesundheit UND sagtest Deinen Eltern, dass Du Dich nicht mehr einschreiben lässt. Das muss für Dich sehr sehr befreiend gewesen sein !!! Bravo !!! Und dann stelltest Du Dich der echt grossen Herausforderung, Nachtarbeit. Wenn man sich vorstellt wie Du zuvor ( vor dem PC) isoliert rumhingst, ist es besonders toll, dass Du Dich diese Nachtwächter-Prüfung unterzogen hast. Sie zeigte Dir, Du schaffst Gewaltiges und Du kamst ein stückweit aus der Isolation heraus.

Und jetzt kam ( vielleicht gerade wegen dieser Nacht-wächtererfahrung ?) die echte Motivation etwas zu lernen, das Dich anmacht. Man spürt in Deinen Zeilen, dass ganz ein anderer Wind weht.

Nun ist es wichtig, dass Du den gewünschten Uniplatz bekommst, sowie Deine Eltern von Deiner neuen Motivation überzeugen kannst. Ich denke, sie würden schon noch ein wenig zahlen , wenn sie spürten, diesmal ist es unserem Sohn ernst.

Und eins musst Du ablegen versuchen: Deine Schuldgefühle in Bezug auf die ersten beiden Studienjahre. Sie waren offenbar für Deine Entwicklung nötig, und im Grunde bist zu niemandem Rechenschaft und Erklärungen schuldig, weshalb Du halt oft geschwänzt hast. Ausserdem musst Du ja etwas mitbekommen haben, wenn Du so mühelos gewisse Prüfungen sogar noch gut bestandest ! Du selbst musst Dir bewusst sein, dass diese Zeit an der Uni ( auch wenn selten anwesend) nicht für die Katz war. Ausserdem bist Du BEI WEITEM nicht der einzige Student, der Fächer wechselt nach einigen Monaten. Im Gegenteil ist es gang und gäbe. Was ich auch gut finde, denn erst in der Praxis erfährt man ja, ob einem das gewünschte Studienfach auch das bringt, was man sich vorstellte, bzw. wie weit man
dem Stoff auch gewachsen ist. Ich schlage Dir also vor, der Aufnahmekommission einfach nur zu erklären, Du seist 2 Jahre ( oder wie lange genau) an der Uni gewesen, doch Du habest festgestellt, dass Du nicht am richtigen Ort bist. Nicht mehr und nicht weniger. Das Privatleben, die Privatentwicklung geht die nichts an.


So wie es jetzt klingt, habe ich den Eindruck, dass Du noch die Kraft hast, nicht wieder in die depressive Stimmung zurückzufallen. Und ich nehme ebenso an, dass wenn Du einen Studienplatz hast, der Dich fasziniert und interessiert, Du dann auch mit MitstudentInnen zusammentreffen wirst, Beziehungen ( auch durch die Gemeinsamkeit) sich
aufbauen können. Dass Du dem Fussball-Team entwachsen bist, ist auch nichts unübliches: die wenigsten Kollgen bleiben dieselben ein Leben lang. Die Interessen, Richtungen wandeln , individualisieren sich besonders in der Zeit nach dem Abitur oder den anderen Schulen, die in diesem Alter besucht werden. Das ist die Regel ! Also auch da bist Du nicht eine grosse Ausnahme. Denke, es ist wichtig, dass Du Dir dessen bewusst bist. Deine Entwicklung klingt nicht nach einer besonders pathologischen oder so.


Was nicht heisst, dass Du Dir nicht in den kommenden Lebensjahren mal psychotherapeutische Hilfe gönnen darfst, ja die Wartelisten sind leider gross...doch wenns jemandem echt drum ist, nimmt er das in Kauf. Es kann sein, dass es im Laufe Deines Lebens mal hilfreich wird, doch im Moment habe ich stark den Eindruck, dass Du weisst wo es
lang geht, dass Du auch die Kraft dazu hast dies umzusetzen..nur wichtig, jede Scham abzubauen. Hoffe habe Dir etwas in dieser Hinsicht helfen können: Du bist eher ein Held als ein Versager :))!!! Liebe Grüsse, Judith
 
G

Gelöscht 50836

Gast
Wie lange warst du denn in deinem ersten Studium immatrikuliert? Wenn du nicht länger als 3 Semester immatrikuliert warst, bekommst du auch für dein zweites Studium BAföG.
 

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