Hallo, lieber Gast,
Deinen Frust kann ich nachvollziehen. Es ist enttäuschend, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden.
Es stellt sich nur die Frage, wie kann oder sollte man mit unerfüllten Erwartungen umgehen?
"Ich falle vor Schreck zu Boden und bleibe traurig liegen" scheint mir nicht wirklich hilfreich zu sein.
Ich habe den Eindruck, dass etliche Paare eine Eheberatung aufsuchen, damit der Therapeut dem störrischen Ehepartner mal verklickert, was dieser in einer Konfliktsituation konkret tun oder lassen soll. Aber das können oder wollen Therapeuten i.d.R. nicht. Und für Dich, so scheint mir, wäre die therapeutische Anregung an Deinen Mann: „kümmern Sie sich mal so oder so mehr um Ihre Frau“ die Hilfe, die Du erwartest.
Ich halte Diese Erwartungshaltung nicht für verkehrt – aber für völlig unzureichend.
Wichtig erscheint mir, dass sich die Ehepartner auf eine Gesprächsbasis begeben, auf der sie zu gemeinsamen Erkenntnissen kommen, die gemeinsame positive Entscheidungen ermöglichen. Anstelle von Vermutungen „was will mein Partner? Bzw. welche Zielvorstellung hat er“ oder „was ist ihm wichtig?“ oder „warum tut er was er tut?“ sollen konkrete Antworten beider Partner treten.
Bevor ich meinen Partner in eine Lösung einbinde, sollte ich selbst mit mir und meinen Erwartungen selbstständig umgehen können und obige Fragen an mich selbst richten.
Welche Zielvorstellung habe ich in meinem Leben?
Welche Werte habe ich – was ist mir wichtig?
Warum tue ich was ich tue? Warum unterlasse ich, was ich unterlasse?
Wenn Du wegen Eurer Eheprobleme depressiv bist, dann siehst Du Dich in der Opferrolle. In den Problemen bzw. in Deinem Ehemann siehst Du die Ursache. Wenn die Therapeutin meinte, Du solltest Dich erstmal stabilisieren, dann ist das für mich der verschnörkelt unklare Appell: Komm aus Deiner Opferrolle heraus. Lass nicht zu, dass die Situation etwas mit Dir macht sondern mache als selbstständiger Mensch etwas, was Dir gut tut und Deine Situation spürbar verbessert.
Wenn Du hingefallen bist, dann warte nicht darauf, dass Dein Mann Dir aufhilft. Auch wenn Du über ihn gestolpert bist und er insofern an Deinem Fallen aus Deiner Sicht Schuld trägt. In einer Ehe (Partnerschaft) entwickeln sich fast automatisch seelische oder finanzielle oder soziale Abhängigkeiten. Abhängigkeiten sind per se nicht schlecht – aber sie werden zum Problem, wenn ein Partner – warum auch immer – ausfällt.
Beispiel Kleinunternehmen. Es gibt die Abteilung Einkauf und die Abteilung Verkauf. In jeder Abteilung sitzt jeweils nur 1 Person. Wenn der Einkäufer krank wird oder „keine Lust mehr hat“, dann steht auch der Verkäufer auf dem Schlauch. Und umgekehrt. Der Einkäufer sollte wissen, wie man verkauft und der Verkäufer sollte auch im Einkauf aushelfen können.
Eine Ehe ist wie eine Reise zweier Personen. Jeder bringt seine Talente mit ein. Ein Partner kann gut Getränke sowie Wanderschuhe organisieren und der andere kann gut Brot, Wurst und Käse beschaffen. Jeder füllt mit dem, was er organisieren kann, seinen Rucksack und beide teilen miteinander und beide wandern dem gleichen Ziel zu. Aus irgendeinem Grund beschafft der Lebensmittelorganisator keine Lebensmittel mehr. Zuerst findet sich in seinem Rucksack kein Brot mehr, dann kommen Engpässe bei Wurst und Käse hinzu.
Die Frage, warum der Partner immer weniger Lebensmittel organisiert, ist absolut wichtig. Wenn sich diese Frage schnell beantworten und eine Lösung gut finden lässt, ist doch alles wieder „in Butter“.
Aber wenn sich eine Lösung nicht schnell genug finden lässt, dann ist der Grund für sein „Versagen“ zweitrangig. Es macht wenig Sinn, über seine Motive oder Unfähigkeiten zu diskutieren, wenn Du Hunger hast.
Wenn Du mit Deiner Fröhlichkeit in die Abhängigkeit gerietest, dass Du nur fröhlich sein kannst, wenn Dein Partner Dir Aufmerksamkeit schenkt, dann hast Du das Problem und nicht Dein Partner. Ich empfehle Dir: Du solltest Dir die Fragen überlegen:
Was macht mich fröhlich? Muss ich Aufmerksamkeit erhalten, um fröhlich zu sein – geht Fröhlichkeit nicht auch ohne im Mittelpunkt von XY zu stehen? Ist Aufmerksamkeit nicht evt. ein Hinweis darauf, dass ich mich nicht wichtig/wertvoll/liebenswert genug empfinde, deswegen soll mein Partner mir das genügend widerspiegeln?
Wenn Dein Partner Dich links liegen lässt, dann stellt sich die erste Frage: Ist das wirklich so – oder nur Dein Empfinden? Eine Mutter vernachlässigt ihr Kind nicht, wenn es das Kind von 15 Jahren nicht mehr füttert. Klar, die Mutter hat sichtbar ihr Verhalten geändert. Aber ist das wirklich zu kritisieren?
Wenn Dein Partner Dich links liegen lässt, dann ist er evt. nicht mehr willens oder nicht mehr fähig, seinen Rucksack genügend zu füllen, um mit Dir seine Gaben und Talente zu teilen.
Komm aus Deiner Opferrolle raus. Ist er nicht mehr willens, dann könnte er mangelnde Motivation reklamieren, die ihm Deinerseits fehlt. Er könnte das gemeinsame Ziel nicht mehr sehen oder nicht mehr anstreben wollen. Evt. hattet ihr noch nie konkrete Lebensziele – was ihm langsam unbewusst bewusst wird. Wie auch immer: Komm aus Deiner Opferrolle raus und nimm die Situation zunächst für Dich in die Hand. Sorge für Dein Glücklichsein – und betrachte Deinen Partner nicht als Automaten, dessen Aufgabe darin besteht, Dich glücklich zu machen.
Wer nicht für sich selbst sorgen kann, wird vermutlich auch nicht für andere sorgen können. Lass Dich selbst erkennen, dass Du eine starke Person bist, die für eigenes inneres Gleichgewicht sorgen kann. Mach‘ Dich für Dich selbst attraktiv (vor allem innerlich), dann bist Du es auch für die anderen, z.B. für Deinen Partner.
Wenn in einer Paartherapie zwei Menschen sitzen, die beide aufgrund eigener Mängel dem anderen Partner bei seinen Mängeln nicht helfen können, dann ist der Therapeut zur Hilflosigkeit verdammt. Der eine Partner verhungert, weil er sich selbst kein Brot besorgen kann und vom Partner keines erhält und der andere verdurstet, weil er sich selbst keine Getränke besorgen kann und vom Partner auch nichts zum Trinken erhält. Und jeder schiebt die Schuld für den Mangel auf den anderen. Beide haben Recht. Aber was nützt das in dieser Situation???
Ich hoffe, meine Gedanken helfen Dir, aufzustehen, die Depression im Ofen zu verbrennen und Dein inneres Gleichgewicht herzustellen. Und dann erst nimmst Du die Sache in die Hand und kümmerst Dich mit dem Therapeuten um Deinen Mann, um seine Mängel.
LG, Nordrheiner