Sorry, es ist einfach ein Unterschied, ob ich mich als "Außenseiter" oder als "anders" empfinde im Hinblick auf soziale Kontakte oder ob ich per Psychiater die Diagnose Autismus habe. Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, es gibt eine Dunkelziffer unter Autisten, die keine Diagnose haben, aber ich habe das Gefühl für manche ist es einfacher, ihre Probleme mit Autismus zu erklären, als sich anderweitig zu reflektieren und zu hinterfragen. Viele beschränken sich überwiegend darauf, dass Autisten Schwierigkeiten mit sozialer Interaktion haben oder oft "verschrobene Nerds" sind. Nur, das passt auch auf einen Haufen Leute, die keine Autisten sind. Autismus ist so viel mehr als das. Kognitiv, neurologisch. Nur irgendwie begreifen das einige Leute nicht oder übergehen das ständig. Die lesen dann, dass Autisten die Attribute besitzen, die sie auch anders machen, von der Masse abheben und häufig zu Außenseiter in Gruppen machen und da fühlt man dann eine Verbundenheit.
Natürlich gibt es den Satz "Kennst du einen Autisten, kennst du einen Autisten" nicht umsonst. Aber es gibt trotzdem Merkmale, die sich durchziehen und Punkte, an denen man es festmachen kann. Ich würde sagen, diese Merkmale und Punkte sind verschieden ausgeprägt und kommen unterschiedlich zum Ausdruck. Es ist auch mitunter ein großer, entscheidender Unterschied, wie ein Autist bisher gefördert und unterstützt wurde. Was es für ein Umfeld gibt. Viele Autisten machen nicht umsonst ein Sozialkompetenztraining. Schon das alles kann zu Unterschieden führen.
Und so allgemein, es bleibt als Behinderung eingestuft. Ich denke, was es so tricky macht ist, dass in den Medien Autisten oft als verschrobene Genies und Außenseiter, die aber auch liebenswert sind, dargestellt werden. Nur nicht die anderen Herausforderungen und Probleme. Oder es gibt durchaus Autisten, die leben und arbeiten wie jeder andere auch. Die sind nicht minderbegabt. Man sieht, bzw. merkt das dann nicht immer offensichtlich, je nach Einzelfall. Aber es bleibt eine Behinderung.
Ehrlich, ich habe Kinder kennengelernt, die sind in einen Overload gekommen, weil der eingeübte Zeitplan nicht eingehalten werden konnte, weil der Lehrer krank war und plötzlich ein Vertretungslehrer da war. Eine riesen Sache mitunter, deren Auswirkungen die ganze Woche zu spüren sind, auch wenn das vielleicht nur ein Tag war. Ausflüge mussten wir wochenlang vorher thematisieren und einüben mit den Kindern. Strategien durchsprechen, wenn es zu viel wird. Es gibt Autisten, die halten die Konsistenz von bestimmten Essen nicht aus. Die ziehen dunkle, große Sonnenbrillen an, weil sie im Sommer die Sonne nicht aushalten. Deren Arbeitsplatz muss mit Klebeband begrenzt werden. Die weinen und sind fix und fertig, weil sie nicht verstehen, was dieser eine Gesichtsausdruck bedeutet und wissen nicht, ob derjenige wütend auf die ist. Die ziehen sich plötzlich mitten im Unterricht aus, weil das neue Shirt sich unerträglich anfühlt. Oder man muss es mit der Naht nach außen drehen. Weil sie es nicht anders aushalten. Die können nur mit Timer arbeiten, egal um was es geht und 5 Minuten vor Schluss der Arbeitseinheit muss man das ankündigen. Sonst kommt die Überforderung. Und wenn man egal welche Aufgabe nicht in einzelne Arbeitsschritte und Regeln zerlegt und übt, scheitern sie in den Situationen und kommen in den Overload. Ich musste mit einem Autisten selbst einüben und jeden Morgen durchgehen, wie er sich richtig umzieht. Dann wie er aufs Klo geht. Dann was er sich wie herrichten muss, damit er in den Unterricht starten kann. Und das Tag für Tag. Und dass er das nach fast einem Jahr selbst geschafft hat, war dann ein riesen Erfolg. Auf "kleinste" Veränderungen musste man die Kinder oft wochenlang vorbereiten. Teilweise sogar Anleitungen schreiben, was sie wie tun sollen. Es gab ein Kind, wenn im Mäppchen nicht die Stifte in der exakten Reihenfolge waren, wie sie sein müssen, war der ganze Tag im Eimer. Dann war alles durcheinander und er kam nicht mehr klar. Es gibt Autisten, die können sich keine Gesichter merken. Die können sich Leute nur anhand anderer Merkmale einprägen.
Es geht darum, dass man mit einer offiziellen Diagnose mehr Unterstützung und Hilfe bekommt. Z.B den Zeitausgleich. Oder besonderen Kündigungsschutz. Oder Förderungen. Und wenn man so glasklar denkt, man ist ein Autist, kann man auch gleich zum Psychiater gehen und sich das per Diagnose bestätigen lassen. Weil "einfach so" leben Autisten nicht im Alltag. Und sollte man wirklich Autist sein, kann man viel erreichen, wenn man dahingehend arbeitet. Dabei geht es nicht darum, sich zu verbiegen oder an die Masse anzupassen. Sondern für sich selbst mehr Lebensqualität zu erreichen (wenn man einen Leidensdruck hat) und vorallem zu verstehen, was da abläuft, warum das so ist und was man tun kann, um sich besser zu fühlen.