Lieber TE, du weißt, was du nicht willst und wenn man weiß, was man nicht will, weiß man ja indirekt auch ein bisschen, was man will. Du willst die Beziehung in der Art nicht (unabhängig davon, ob du deine Freundin liebst oder nicht), aber du traust dich nicht, die nötigen Schritte zu gehen.
Du weißt sehr viel mehr über dich als du denkst, aber du hast Angst, zu diesen Erkenntnissen zu stehen und ihnen Taten folgen zu lassen. Das Blöde ist nur, dass das Leben genau das ist: Entscheidungen treffen. Man ist dort, wo man aktuell ist, weil man auf dem Weg immer wieder Entscheidungen getroffen hat. Und diese Entscheidungen waren oft nicht leicht. Jede Entscheidung für etwas ist gleichzeitig eine Entscheidung gegen etwas anderes. Ich meine herauszulesen, dass das der springende Punkt ist: Du hast Angst eine falsche Entscheidung zu treffen und bis dadurch völlig gehemmt. Aber es gibt im Leben nie 100%ig Sicherheit, dass das was man tut das richtige ist. Das ist ein ganz normaler Nebeneffekt des Lebens.
Auch glaube ich, dass Folgendes bei dir passiert: Du hast lange das gemacht, was du dachtest, was man im Leben halt so machen soll, dir eine Beziehung aufgebaut, die nun langsam Richtung Heirat geht. So hat deine Familie (Eltern und Bruder) es dir vorgelebt, dass es richtig ist. Plötzlich hinterfragst du etwas, was für dich völlig normal war, was du lange überhaupt nicht angezweifelt hast und das zieht dir den Boden unter den Füßen weg. Denn alles, worauf du "hingearbeitet" hast, ist vielleicht/wahrscheinlich gar nicht das, was du eigentlich in deinem Herzen möchtest, sodass dein Leben dir jetzt sinnlos erscheinen mag. Da bist du nicht der Einzige, vielen geht es so z.B. mit dem beruflichen Erfolg. Man wird darauf getrimmt, dass man immer mehr erreichen muss und irgendwann sitzt man da und denkt "Mein Leben bereitet mir keine Freude".
Dass du gerade nicht weißt, was für Dinge dich interessieren, das ist in einer depressiven Verstimmung normal. Das ist ein Syptom der Krankheit,. Aber sobald du dich von den großen Dingen, die Druck bei dir auslösen, freimachst, hast du irgendwann wieder den Kopf dafür Dinge auszuprobieren und findest dann auch Aktivitäten, die dir Spaß machen. Ich war mit einer schweren Depression vor 9 Jahren ebenfalls stationär in einer Klinik und dachte damals auch, dass das Leben nie wieder schön sein würde. Aber es kam wieder, nur eben sehr langsam und indem ich mir den Druck rausgenommen habe bestimmte Dinge tun zu müssen bzw ein bestimmter Mensch sein zu müssen.
In jedem Fall aber darfst deine Unsicherheit nicht dazu führen, dass du einem anderen Menschen schadest. Du schadest deiner Freundin aber vermutlich momentan mit diesen Sachen. Du willst sie behalten für den Fall, dass du dich getäuscht hast und sie doch möchtest.
Das Ding ist: So einfach sind die Dinge nicht. Selten sind Entscheidungen so, dass man Option 1 100% will und Option 2 möchte man zu 0%. Das wäre dann ja auch nicht schwer, sondern sehr, sehr leicht. Aber wenn ich merke, dass ich Option 1 vielleicht zu 51% möchte, und Option 2 nur zu 49%, dann ist das auch eine Erkenntnis. Oft weiß man schon intuitiv, was man möchte und was nicht, aber man hat sehr, sehr viel Angst davor. Plus es ist einfach eine Menge Arbeit (z.B. neue Wohnung suchen oder neuen Job suchen, neue Kontakte aufbauen; da reizt es einen doch manchmal es nicht zu tun). Ich denke jedoch, wenn du wissen möchtest, wer du bist, kommst du nicht drumherum auch schwere Schritte zu gehen. Leider ist es im Leben nicht so, dass das Glück an die Tür klopft und nur hereingelassen werden muss, sondern man muss sehr, sehr hart dafür arbeiten. Und "hart" heißt "mit Unsicherheiten, Angst und Schmerz umgehen können".
Ich sehe bei dir viel Wachstumspotential (wenn ich das mal so sagen darf), weil du alles und jeden hinterfragst. Das muss man gedanklich ja auch erst mal leisten, denn viele Leute hinterfragen in ihrem Leben gar nichts. Oder sie fangen mit dem Hinterfragen erst an, wenn das Leben schon fast vorbei ist.
Wenn du deine Gedanken in etwas Positives (Lust zur Weiterentwicklung, Lust herauszufinden, wer du bist) wandelst statt sie dir als etwas Negatives zu konstruieren (durch die Frage "Was, wenn es die falsche Entscheidung ist?"), dann denke ich, dass das sogar eine sehr bereichernde Phase werden kann.