Eine Psychotherapie möchte ich auf zum jetzigen Zeitpunkt auf keinen Fall machen. Da habe ich auch schon gestern mit meinem Hausarzt darüber gesprochen, als er mir vorgestern Beruhigungsmittel gespritzt hatte, nachdem ich Montagmorgen mit Panikattacken bei ihm war und er mich gestern nochmal sehen wollte. Morgen soll ich nochmal hin und ich bin bis nächste Woche Freitag krankgeschrieben und soll viel spazieren gehen und Sport machen.
Ich möchte ihn morgen fragen, ob er sich vorstellen könnte, eine psychosomatische Reha zu befürworten. Vielleicht täte es mir gut, mal mit Abstand zu meiner Wohnung mich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen und da auch mit anderen Menschen in den Dialog zu kommen, denen es auch nicht so gut geht und die vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Wenn mir da empfohlen werden sollte, eine Therapie anzufangen, würde ich das aber in Erwägung ziehen. Zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht.
Wenn man in einer Krisensituation von so vielen Leuten eine so geballte Ladung an Unverständnis und Ablehnung erfährt, kann einen das krank machen. Zu deinem jetzigen Zustand haben deine Eltern, dein Bruder, deine ehemaligen (vermeintlichen) Freunde und möglicherweise auch noch andere Personen maßgeblich beigetragen. Mir tut das sehr Leid für dich, und ich finde, die Betreffenden sollten sich in Grund und Boden schämen.
Ich habe den Eindruck, dass du jetzt erst einmal für eine längere Zeit Ruhe und Abstand brauchst. Und schöne Erlebnisse, bei denen du dich freuen kannst. Mit den Pseudofreunden hast du nichts mehr zu tun, zu den Eltern und dem Bruder keinen Kontakt mehr. Das ist wahrscheinlich bis auf Weiteres auch besser so. Ich halte es auch nicht für falsch, dass du sie enterbt hast. Denn
- gibt es dir das Gefühl, dem ganzen ausgrenzenden, fiesen Verhalten wenigstens irgendetwas entgegengesetzt zu haben, was dir ein Gefühl der Genugtuung bereitet und im Moment für den Verarbeitungsprozess wichtig ist,
- offenbarst du es ihnen klugerweise nicht und gießt damit nicht noch mehr Öl ins Feuer und
- kann man ein Testament jederzeit wieder ändern. Sollten deine Verwandten doch noch mal Einsicht zeigen, und sei es auch erst nach Jahren, kannst du das Testament ändern, und sie werden nie erfahren, dass du sie je enterbt hattest. Übrigens muss dazu noch nicht mal unbedingt wieder ein notarielles Testament errichtet werden. Du kannst auch ein handschriftliches verfassen und es gegen Gebühr beim Nachlassgericht hinterlegen. Es gilt immer das Testament des neuesten Datums. Aber wenn du es dir finanziell leisten kannst, kannst du natürlich auch wieder einen Notar aufsuchen und hast dann eine gute Beratung.
Ich verstehe auch vollkommen, dass du momentan weder die Lust noch die Kraft hast, dir einen neuen Freundeskreis oder gar eine Partnerschaft aufzubauen. Dazu geht es dir einfach noch zu schlecht. Jede neue Enttäuschung wäre nur ein Schlag in die Magengrube und würde dich im Verarbeitungsprozess wieder um Monate zurückwerfen. Du musst dich jetzt erst mal selbst stabilisieren und für dich selbst sorgen.
Das mit der Reha ist eine gute Idee. Dass du eine Psychotherapie nicht grundsätzlich ausschließt, finde ich auch gut. Wenn du einen guten Therapeuten bzw. eine gute Therapeutin findest, ist damit keineswegs ein bloßes "Gelaber" verbunden, sondern du wirst professionell dabei unterstützt, das, was man dir angetan hat, besser zu verkraften und besseren Zugang zu deinen Gefühlen zu finden. Das wird dabei hilfreich sein, nicht in einer Verbitterung und Misanthropie zu verhaften, sondern dich psychisch zu stabilisieren. Es wird dir dabei helfen, in Zukunft leichter Kontakt zu für dich geeigneten Menschen zu finden. Ich würde darauf achten, dass der Therapeut/die Therapeutin Erfahrung mit dem Thema Mobbing und Ausgrenzung hat. Wenn es dir nach einer Zeit wieder besser geht, kannst du dir vielleicht in ganz kleinen Schritten wieder mehr Kontakte zu anderen Menschen aufbauen. Die Quantität macht's ja sowieso nicht, es kommt auf die Qualität an.
Unternimm bis dahin möglichst viel, was dich interessiert und dir allein Freude macht und triff dich auch weiterhin alle paar Wochen mit dem Singlefreund aus dem ehemaligen Freundeskreis. Ansonsten wäre es wahrscheinlich gut, nach einer gewissen Zeit zunächst einmal nur nach Bekannten Ausschau zu halten, nicht gleich nach Freunden, denn die sind extrem dünn gesät. Und achte von Anfang an darauf, dass du nicht wesentlich mehr gibst, als du auch zurückbekommst.
Darüber hinaus würde ich dir empfehlen, schon aus psychohygienischen Gründen auf Beiträge im Forum, die dich zum wiederholten Mal nur angreifen, abwerten und dir sogar doch die "Schuld" in die Schuhe schieben wollen, gar nicht mehr zu reagieren, sondern die betreffenden Personen auf die Ignorierliste zu setzen. Denn sonst geht das endlos weiter. Jede Antwort deinerseits provoziert eine Replik, die für dich in keiner Weise hilfreich ist, sondern dich psychisch noch mehr herunterzieht. Das solltest du im Interesse deines psychischen Wohlbefindens nicht zulassen. Gib diesen Leuten keine Macht über dich!
Da du ursprünglich katholisch warst, ist dir der Ordenspriester Anselm Grün sicher ein Begriff. Er hat nicht so verknöcherte Ansichten wie dein Vater und dein Bruder, der sich brav anpasst und sich bei Papa lieb Kind macht. Anselm Grün hat in seinen zahlreichen Büchern mehrfach geschrieben, dass man Personen, bevor man ihnen verzeihen kann, erst mal "aus sich herauswerfen" muss, d.h. seine aggressiven Gefühle gegen sie zulassen muss. Diese Gefühle haben ihre Berechtigung, und man sollte sie sich auch zugestehen. Das heißt ja nicht, dass man aufgrund dieser Gefühle den Betreffenden etwas Böses antut, sie anschreit, beleidigt oder dergleichen. Aber man muss sich auch nicht von selbstgefälligen, selbstgerechten, egoistischen und geltungssüchtigen Menschen lammfromm zur Schlachtbank führen, alles mit sich machen lassen und das auch noch richtig oder gar christlich finden. Schon gar nicht muss man, wenn diejenigen ihr Unrecht nicht einsehen, schnellstmöglich wieder zur Tagesordnung übergehen, so als ob nichts gewesen wäre. Jesus Christus hat den Sadduzäern und Pharisäern auch die Leviten gelesen und im Tempel aus Wut die Tische der Händler umgekippt. Es ist also durchaus legitim, auch für einen Christen, gegenüber Menschen, die einem Unrecht getan haben, deutliche Worte zu finden und dann erst mal auf Abstand zu gehen.
Verzeihung muss reifen, die kann man nicht auf Kommando erzwingen.
Eine Psychotherapie könnte zur besseren Verarbeitung dessen, was dir widerfahren ist, beitragen. Gerade gute Psychotherapeut(inn)en haben aber meistens monatelange Wartezeiten. Von daher wäre es auch eine Überlegung wert, dich schon jetzt vorsorglich auf eine Warteliste setzen zu lassen. Wenn du dann zu gegebener Zeit meinst, doch keinen Bedarf mehr zu haben, kannst du dich wieder von der Liste nehmen lassen. Es warten genügend andere auf einen Therapieplatz, die sofort nachrücken werden.