Hallo Buntmeise,
erst einmal finde ich es toll, dass du den Schritt machst und die Verantwortung für das von dir identifizierte Problem zu übernehmen möchtest. Das ist der erste und wichtigste Schritt.
Insofern bin ich sehr optimistisch, dass es dafür eine für dich passende und umsetzbare Lösung gibt.
Versuche, die erforderlichen Schritte weniger von deiner Person her zu sehen, sondern eher als Handwerk zu verstehen, das du in kleinen Etappen erlernst und in dem du dich auch durch das Feedback deines Umfelds konsequent verbessern kannst. Auch die Besteigung des Mount Everest ist letzten Endes nur die kontinuierliche, beharrliche Abfolge kleiner und in sich einfacher Schritte, zusamment mit einer guten weil zuvor in sorgfältiger und ruhiger Planung zusammengestellten Ausrüstung!
Spontan sehe ich mehrere mögliche Ansatzpunkte:
1. Deine emotionalen Muster
Dein "Meckern" als Ausdrucksform ist das Ergebnis innerer Vorgänge, die zuvor weitgehend automatisiert ablaufen. Hierzu zählen deine individuelle Wahrnehmung von Situationen, deine Erwartungen an andere Menschen und dich selbst, die Zuschreibung von Absichten und Fähigkeiten anderer Personen und letzlich deine Konzepte über die Auswahl eines (im Moment gefühlten) zielführenden Verhaltens. Letzteres kann z. B. auch darin bestehen, dass in den kritischen Momenten die Regulation deiner zuvor entstandenen Frustration durch das Meckern das im Moment vorrangige Ziel ist.
Schaue dir die Situationen entweder im Nachgang oder, mit etwas Übung, bereits während ihrer Entstehung genau an und versuche, dir die ablaufenden Schritte bewusst zu machen. Das kann zunächst rein beschreibend ablaufen. z. B. "Unkooperatives Verhalten oder Inkompetenz beobachtet -> Erwartung -> langsam ansteigende Frustration -> innere Unruhe (wie und wo genau gespürt) -> entsprechend automatisierte negative Reaktion von außen aufgrund der Vorgeschichte -> Äußerung deinerseits." Du hast dann die Möglichkeit, die einzelnen Schritte auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und sie langsam gegen konstruktivere (innere) Handlungen auszutauschen. Dies gelingt am Anfang besonders gut, wenn du bewusst nach Alternativen suchst, auch wenn diese Alternativen anfangs noch abwegig erscheinen. Je mehr dir bewusst wird, dass jeder dieser Schritte letzlich eine Entscheidung ist, die prinzipiell auch anders getroffen werden könnte, desto weniger kann das Muster sich beim nächsten Mal automatisiert reproduzieren. Irgendwann kannst du dann bewusst als Experiment eine andere Wahl treffen und ausprobieren, ob und was sich dadurch verändert.
Erwarte keine sofortigen Wunder. Dieser Prozess ist kleinschrittig und oft langwierig. Deshalb ist es wichtig, dass du die Messlatte für Erfolg hier entsprechend kleinschrittig definierst. Am Anfang ist nicht erst ein grundsätzlich anderes Handeln oder Ergebnis ein Erfolg, sondern bereits eine einzige anders getroffene Wahl, ein kleines Stück mehr Erkenntnis, oder ein kleines Experiment. Rechne dir jeden dieser Schritte als Erfolg an, auch wenn andere in deinem Umfeld das noch nicht bemerken und zunächst wie immer reagieren.
2. Dein Umfeld
Auch die Reaktion deines Umfelds ist letztlich das Ergebnis einer Automatisierung. Hier gilt letzlich dasselbe wie oben, nur dass die inneren Vorgänge der beteiligten Personen hier außerhalb deines direkten Beobachtungs- und Einflussbereichs liegen.
Wie laufen diese Muster ab? Welche Absichten werden dir zugeschrieben? Fühlen sich andere Personen gekränkt? Geht es vielleicht um Macht.
Ein häufiges Muster besteht darin, dass eine eigentlich sachliche Kritik irgendwann auf die emotionale Ebene verlagert wird. So könnte es sein, dass du z. B. ein sachliches Problem identifizierst und benennst, dein Umfeld aber deine "Unzufriedenheit" für das eigentliche Problem hält. Dieser Umdeutung erfolgt deshalb, da dann das sachliche Problem nicht mehr besprochen und gelöst werden muss, da der Fokus plötzlich auf dir liegt. Das ist vermeintlich einfacher, da du ja einfach "ruhe geben" könntest, verhindert aber eine ehrliche und konstruktive Auseinandersetzung mit dem Problem.
Hier könntest du versuchen, in einer ruhigen Minute sinnvolle Spielregeln zu besprechen, wie und in welchem Rahmen damit umgegangen werden soll.
Sollte dies mit den Menschen in deinem Umfeld nicht möglich sein, kannst du auch in Erwägung ziehen, Ausschau nach anderen Menschen zu halten, die an konstruktiven Diskussionen interessiert sind und es aushalten können, wenn du eine Kritik mal nicht im ersten Wurf direkt vollkommen korrekt und differenziert ausdrücken kannst.
=> Arbeite an dir, deine Ausdrucksweise verträglicher, differenzierter und konstruktiver zu machen. Das macht es deinem Umfeld einfacher. Lasse dich dabei aber nicht zum Problemfall erklären, wenn du eine gute und sachliche Kritik anzubringen hast. Zeige auch deutlich, dass du es nicht akzeptierst, wenn man dich "niederbrüllt". Je besser du dich selbst kennst, je selbstbewusster du aber auch zu deinen Werte und Erwartungen stehst, desto mehr kannst du in dir ruhen und wirst mit deinen Anliegen respektiert. Hier gilt auch, dass steter Tropfen den Stein aushöhlt. Es macht wenig Sinn, als Ergebnis einer einzigen Kritik eine sofortige Erkenntnis und Verbesserung auf der anderen Seite zu erwarten. Besser ist es, - sofern keine direkte Gefahr in Verzug ist - Kritik in kleinen Schritten anzubringen und bereits kleine Agreements anzuerkennen, sofern sie nicht bedeuten, dass du nur abgespeist wirst. Dies beinhalten oft auch die langsame Aushandlung von Kompromissen. Wenn du einen für dich wichtigen Punkt missachtet siehst, kannst du versuchen, die Erfüllung des dahinterliegenden Bedüfnisses von einer konkreten Erfüllungsweise zu entkoppeln und zu prüfen, ob es auch andere für dich und dein Gegenüber annehmbare Wege gibt.
Ein Problem bei Diagnosen wie ADHS besteht darin, dass sie die Spielregeln in der Interaktion verändern. Man hat neben der Möglichkeit, deine Anliegen als berechtigte Punkte zu verstehen immer auch die Möglichkeit, sie als Ausdrucksformen einer Krankheit zu deuten. Das kann im ersten Moment konfliktmildernd wirken ("sie hat ja ADHS, also muss ich nicht darauf reagieren und mich nicht angegriffen fühlen"), letztlich aber als Machtinstrument eingesetzt werden ("ich kann sie also einfach ignorieren und nicht ernst nehmen"). In diesem Fall könnte es sein, dass deine "kürzere Zündschnur" den Appell "nehmt mich endlich ernst" bedeutet, was von deinem Umfeld als weiterer Beweis deiner "Krankheit" gedeutet wird. Damit ist ein Teufelskreis geboren, der diese Identität und die Beziehungsmuster immer mehr festigen. Die Diagnose gewinnt so immer mehr (soziale) Realität. Irgendwann eskalieren darüber die Konflikte trotzdem wegen der Nichterfüllung elementarer Bedürfnisse, so dass du im Endeffekt dazu neigen könntest, dich selbst und deine Anliegen mehr und mehr zurückzunehmen und dich z. B. anbrüllen zu lassen, weil du nicht mehr daran glaubst, dass es anders gehen kann und muss.
Oberste Regel: Die klinische Diagnose ADHS als Ergebnis von Messungen in standardisierten Tests ist von ihrer intentional geleiteten Verwendung und Wirkung in (nicht professionellen) sozialen Kontexten klar zu trennen! Sie hat nichts damit zu tun, wie sich deine sozialen Beziehungen entwickeln.
Ich wünsche dir viel Erfolg und viele gewinnbringende Erkenntnisse
Hendrik