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Nun war es an der Zeit Tioni auch etwas zu sagen. Emo hatte seit einiger Zeit mit dem Gedanken gespielt, noch vor Ende seines Studiums ein Auslandssemester zu absolvieren. Von allen Seiten prasselte es auf ihn ein: „Ganz wichtig für deinen Lebenslauf, am besten USA, heute notwendige Beigabe…“. Er wusste, dass das nicht nur leere Worte waren. Gleichzeitig war er hin und her gerissen. Er wollte nicht weg, schon gar nicht so weit und schon gar nicht für mehrere Monate. Gleichzeitig würde es ihm vielleicht gut tun und vielleicht könnte ihn Tioni besuchen? Aber all das konnte man erst planen, wenn sie Bescheid wusste. Und wie sollte er es ihr sagen?
Er wartete bestimmt zwei Wochen, bevor sie sich an einem sonnigen Nachmittag in ihrer Wohnung trafen. Sie saßen beide auf dem Sofa, Emo wusste nicht, was er sagen sollte und Tioni wusste nicht, was kommt. Dann begann Emo ihr von seinen Plänen zu erzählen, dass er schön länger im Sinn gehabt hatte ein Auslandssemester zu absolvieren, dass bisher noch nichts geplant ist, es aber ein Austauschprogramm für San Diego / CA geben würde und dass er sich gerne darauf bewerben würde.
Kaum war er mit seinen Ausführungen fertig, prasselte es auf ihn ein. Tioni weinte, schrie, fauchte, war kaum mehr zu halten. Sie warf ihm an den Kopf, dass er ihr davon drei Monate früher erzählt haben sollte, dann hätte sie sich gar nicht auf ihn eingelassen. Sie sagte, sie wolle ihn umbringen. Sie könne nicht allein sein und schon gar keine fünf Monate. Verrat an ihren Gefühlen, Verrat an ihre, sein Kopf drehte sich. Dann flog er aus der Wohnung und begab sich nachhause, er fühlte sich etwas bedeppert und entschied sich, den Tag abzuhaken.
Am nächsten morgen meldete sich Tioni: „Bitte verzeih mein Benehmen am gestrigen tag.
die Situation war übermächtig, ich hatte das Gefühl ich verliere die Kontrolle und deshalb habe ich Alkohol getrunken.
Als du mir das mit dem Auslandsemester gesagt hast, war das, als ob mir
jemand den Teppich unter den Füßen wegzieht und ich allen Halt verliere und
falle. Auch wenn ich sicherlich immer noch etwas Vorsicht dir gegenüber bewahrt
habe und dir nicht hundertprozentig vertraue, habe ich mich doch in dich
verliebt und meine Gedanken haben sich auf das Spiel, über eine gemeinsame
Zukunft mit dir nachzudenken, eingelassen und es hat mir gefallen. Ich habe
Hoffnung empfunden, einen Menschen gefunden zu haben, mit dem ich längere
Zeit zusammen sein mag, mit dem ich mein Leben teilen will. Das alles ist durch das Auslandsemester wie eine Seifenblase zerplatzt und damit konnte ich nicht umgehen. Ich habe nicht das Bedürfnis, dich absichtlich mit Worten zu verletzten, das
hatte ich noch nie. Als ich dir gestern gesagt hatte, dass ich dich
umbringen wollte, dann war das ein Ausdruck eines kurzen Gefühls in mir.
Es war nicht die Absicht, dich mit diesen Worten zu verletzen, sondern ich
habe das den tag zuvor tatsächlich so gefühlt. Ein anderes Ventil für meine Gedanken war
dein Bild, das quer durch das Zimmer geflogen ist. So etwas kommt auf und
vergeht ganz schnell wieder. Bevor ich irgendeinem anderen Menschen verbal
oder körperlich Schmerzen zufügen würde, würde ich mir selbst wehtun.“
Emo wusste nicht, wie er diesen letzten Satz verstehen sollte: Ja sie hatte ihm verbal wehgetan und zwar sehr. Lag das an ihrem Selbstbild? Oder sollte er ihre Aussage in einer übertragenen Bedeutung verstehen, dass sie keinem Menschen wehtun will? Emo entschied sich dafür, keinen weiteren Disput zu provozieren und fragte stattdessen: „Wie weit denkst du in die Zukunft?“
Tioni: „Viel zu weit, dadurch ist mir die Fähigkeit abhanden
gekommen, den Augenblick zu genießen. Aber ich brauche es, um ein Stück weit
Kontrolle über mein leben zu haben, um mich wohl zu fühlen und nicht im
Chaos zu versinken, wie in den letzten Wochen. Dies bestimmt auch meine
Ängste, die durch dein Auslandsemester ausgelöst wurden. San Diego spukt durch meinen kopf und wird dort auch bleiben, immer, permanent, bei allem was ich tue. es wird mich wahnsinnig machen. Und mein Verhalten dir gegenüber beeinflussen, auch wenn ich es nicht will, ich werde jede deiner Handlungen dahingehen hinterfragen, ob ich für dich doch nur eine zeitweilige Beschäftigung bin...bis du weggehst... verzeih.“
Emo: „Ich stehe hier und sehe deine Persönlichkeit vor mir, deine Gefühle, deine Belastungen und was dich einschränkt und gleichzeitig habe ich selbst eine riesige Angst. Ich habe Angst um unsere Beziehung, ich habe Angst dort alleine zu sein, ich habe Angst, dass ich nicht bei dir sein kann, wenn es dir schlecht geht. Gleichzeitig sehe ich aber auch Chancen: Wir könnten uns, über unsere Beziehung im Klaren werden, du hättest wieder Zeit für deine Freunde, die Uni, die Arbeit, alles was dich so unter Druck setzt. Und wir könnten uns überlegen, wie wir die Zeit vielleicht mit Besuchen überbrücken könnten.“
Wenige Tag später überraschte Tioni Emo mit der erfreulichen Nachricht, dass es von Seiten der Bank aus möglich wäre, vier Wochen Urlaub am Stück zu nehmen. Ab diesem Zeitpunkt gab es zwar noch einige Auseinandersetzungen, ob nicht auch fünf Wochen möglich wären, dennoch hatten beide eine Perspektive, die ihnen für die bevorstehenden Monate Hoffnung spendete.
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