Warum aber Verantwortung und gutes Handeln nun religiösen Menschen vorenthalten sein soll, ist mir immer noch nicht klar.
Nordrheiner, ich bin mir ziemlich sicher, das die meisten Menschen ebenso wie ich keine auf die Mütze kassieren wollen, sich freuen, wenn man ihnen ihr Hab und Gut auch belässt und ihnen freundlich und herzlich begegnet und soziale Kompetenz schätzen. Die Wahrscheinlichkeit, das ich also richtig liege mit meinem Verhalten, würde ich als hoch einschätzen. Ganz ehrlich wüsste ich auch nicht, welches Verhalten im zwischenmenschlichen Miteinander besser sei als der wertschätzende Umgang miteinander?
Alleine der Status "religiöser Mensch" ist in meinen Augen kein ausreichender Hinweis auf verantwortliches und gutes Handeln.
Die Frage lautet doch:
Entscheiden sich gute Menschen für Handlungsweisen, weil sie richtig sind oder sind Handlungsweisen richtig, weil sich gute Menschen für sie entscheiden?
Betrachten wir die Teil-Aussage: Der Mensch entscheidet u. handelt gut
Dazu bedienen wir uns i.d.R. der klassischen Definition von Wahrheit:
Aussage muß mit der Tatsache übereinstimmen.
Dagegen kann man den Einwand erheben,
1) dass wir nicht wissen können, ob unsere klassische Definition von Wahrheit ausreicht, um die Realität der Tatsache zu erfassen. Wir müssten also unsere Definition von Wahrheit mit der Wahrheit vergleichen können, um beurteilen zu können, ob unsere Definition mit ihr übereinstimmt oder nicht.
2) Die klassische Definition von Wahrheit ist erkenntnistheoretisch nicht neutral. Dies deshalb, weil diese Definition voraussetzt, dass die Außenwelt objektiv und unabhängig von der Auffassungsmöglichkeit des Menschen existiert.
Ist also die jeweilige Entscheidung "der Mensch handelt gut" wirklich richtig – oder erscheint sie uns nur auf Grund unserer Wahrnehmung als gut? Woher können wir wissen, dass unsere Aussage „die Entscheidung ist gut“ mit der Tatsache – wie sie wirklich ist – übereinstimmt?
Um das beurteilen zu können, müßten wir unabhängig von der Aussage auch die Tatsache kennen, um entscheiden zu können, ob die Aussage mit der Tatsache übereinstimmt. Wir müßten quasi den Gesichtspunkt „Auge Gottes“ einnehmen können, der beides voneinander unabhängig zu sehen vermag.
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Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage:
Entscheiden sich gute Menschen für Handlungsweisen, weil sie richtig sind oder sind Handlungsweisen richtig, weil sich gute Menschen für sie entscheiden?
Die uns richtig scheinende Antwort ist sicher, dass gute Menschen sich für Handlungsweisen entscheiden, weil diese richtig sind. Das würde bedeuten, dass die Wahrheit moralischer Aussagen unabhängig von menschlicher Wahl- und Handlungsfreiheit ist. Das wieder impliziert, dass Moral objektiv ist.
Wenn es sowas wie gute Menschen gibt, muß Moral objektiv und unabhängig von menschlicher Wahlfreiheit liegen. Das wieder führt zu der Frage, ob es gute Menschen und damit richtige Entscheidungen gibt? Gibt es gute Menschen und richtige Entscheidungen, dann ist Moral auch objektiv. Oder Moral ist nicht objektiv, sondern das Ergebnis willkürlicher Entscheidungen von Menschen. Und das würde bedeuten, dass, falls es keine Ethik gibt (der Moral übergeordnete Instanz), einfach alles erlaubt ist.
Atheistische Denker stehen vor dem Problem herzuleiten,dass moralische Werte eine unabhängige objektive Existenz besitzen. In einem naturalistischen Universum gibt es keinen himmlischen Ort, an dem Regeln auf Steinplatten gemeißelt sind. In der Physik gibt es kein „sollte“ oder „müßte“.
Daher begründen Atheisten Moral damit, dass Moral auf Fakten, Gefühlen und Bedürfnissen beruht. Zu den Fakten zählt z.B. dass Schmerz unangenehm ist, dass Menschen ihn zu vermeiden versuchen und auch Tiere Schmerz spüren. Auch: Es gibt keine relevanten Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe oder es hat viel mit zufälligen Umständen zu tun, dass Menschen reich oder arm sind. Die Wünsche beinhalten den Wunsch, das Leben frei von Illusion zu leben, nicht verlogen zu sein oder aus guten Gründen geschätzt zu werden. Zu den Gefühlen zählen Empathie beim Anblick des Leidens anderer Menschen und Freude daran, zu helfen, sich besser zu fühlen. Und Bedürfnisse schließen die Notwendigkeit ein, miteinander in Frieden zu leben, anderen vertrauen zu können und zur Kooperation fähig zu sein.
Jedoch reichen diese Faktoren nicht aus, Moral objektivierbar zu machen. Wenn z.B. jemand sagt, er möchte mit seinen Mitmenschen nicht gut auskommen oder er interessiert sich nicht für Leid und Elend, so gibt es keine Möglichkeit, ihm objektiv darzulegen, dass er etwas anderes wünschen müsse oder dass seine Gefühle fehlerhaft seien.
In der Folge ist diese Art von Moral, die auf Fakten,Wünschen, Gefühlen und Bedürfnissen entspringt willkürlich, weil es keine äussere Macht oder ein Prinzip gibt, dass uns zwingt die Werte zu wählen, die wir wählen. Wenn wir z.B. wirklich wählen wollten, dass Hass, Diebstahl, Ehebruch etc. moralisch gut wäre, dann könnten wir das tun. In diesem Sinn ist Ethik willkürlich. Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt.
Der Versuch einer Hilfestellung wird von dem Philosophen Thomas Nagel in seinem Buch „Der Blick von nirgendwo“ angeboten. Gemäß Nagelist Objektivität von Menschen nicht erreichbar, sondern lediglich eine Frage des Maßes. Menschliche Sichtweise ist umso objektiver, je weniger sie von den Besonderheiten des jeweiligen Menschen, seiner Situation und seiner Stellung inder Welt abhängt.
Dazu ist zu sagen: Da es uns Menschen schlichtweg unmöglich ist, Erkenntnisse zu gewinnen, die völlig unabhängig unserer eigenen Denkweise und unserer Stellung im Universum sind, sind wir Opfer willkürlicher menschlicher Entscheidungen und willkürliche Täter zugleich.
Gäbe es einen Gott, hätten wir allen Grund anzunehmen,dass er besser beurteilen kann als wir, was richtig bzw. was gut ist. Würden wir darüber hinaus glauben, dass wir Zugang zu seinen Richtlinien hätten,hätten wir das Recht, ihnen zu folgen.
Es gibt also einen Verlust an Moral, wenn kein Gott existiert, da wir dann keine Garantie haben, dass gut ist, was wir als gut empfinden.
Aus diesem Grund empfinde ich die goldene Regel als eine Krücke, die bei weitem nicht die Hilfestellung anbietet, die sich der Mensch ohne Gott erhofft.
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Quellen, die mir behilflich waren:
Philosophische Grundbegriffe v. Rafael Ferber
Gregory Peck: Die Lügner