Hallo Bonny,
Du schreibst von Deiner Ehe schon in der Vergangenheitsform?
Du fragst in Deinem Threadthema, wie Du Deine Ehe retten kannst. Das ist zwar eine gängige Formulierung, aber ich habe nie verstanden warum. Um etwas zu retten, muss es etwas zu retten geben. Ich kann jemanden vor dem Ertrinken retten, in dem ich ihn aus dem Wasser ziehe. Ich kann etwas vor der Zerstörung retten, wenn ich es an einen sicheren Ort bringe, aber was kann man an einer Ehe oder einer Beziehung retten? Ist eine Beziehung nicht "nur" die Übereinkunft zweier Menschen, ihre Zeit gemeinsam verbringen zu wollen? Und ist das nicht eine Entscheidung, die an jedem Tag neu getroffen werden kann und muss? Also wie kannst Du eine Entscheidung vor Dir selbst retten, denn Du und Dein Partner treffen diese Entscheidung? Wenn Du Deine Ehe "retten" willst, müsstest Du Dich dann nicht eher fragen, was Dich davon abhält?
Du findest den Pornokonsum Deines Partners nicht ok. Wie man an so einigen Beiträgen im Thread sehen kann, bist Du damit nicht alleine und ganz offenbar sind 98% Übereinstimmung mit ihm nichts, was diesen Makel auszugleichen vermag. Aber warum ist das so? Und ist das wirklich so "normal" und "selbstverständlich"? Manche Menschen tragen gerne Windeln, andere lassen sich schlagen und dominieren. Wieder andere fügen sich Schmerzen zu, stehen auf Rollenspiele, schätzen die Heimlichkeit und das Lügen und wieder andere stehen auf Lack, Leder und Latex und, und, und. Egal wie man dazu steht, es finden sich offenbar immer wieder Menschen, die diese Leidenschaften teilen (können), Und nicht selten liest man, dass dieses "zu sich und seinen Leidenschaften" zu stehen, sehr viel Mut erfordert und das eigene Leben befreien kann.
Überall kann man lesen, dass Pornos schauen scheinbar nur etwas für feige, unaufrichtige Loser ist, die ihre PartnerIn hintergehen und betrügen, denn wenn sie nicht "so" wären, würden sie ihre Leidenschaften mit ihren PartnerInnen ausleben und glücklich leben, bis ans Ende aller Tage. Wer Pornos schaut, ist ein(e) BetrügerIn, macht sich schuldig und ist mehr oder weniger krank.
Und wenn dem nicht so ist? Wenn jemand einfach "nur" diese Gedankenspiele mag, auf junge, unbekleidete und hübsche Frauen steht und sie gerne anschaut? Was, wenn jemand diese "Unkompliziertheit" schätzt und es auf diese Weise vermeidet, abgewiesen zu werden? Es gibt sicher tausende Gründe und alle sind verwerflich, egoistisch und erbärmlich? Sollten wir es uns mit unserer Selbstgerechtigkeit wirklich so einfach machen?
Zu den eigenen dunklen Seiten stehen zu können ist nicht so einfach, vor allem dann nicht, wenn man sie nicht nur "umweltverträglich" und "unsichtbar" ausleben kann und/oder will. Und ist das dann ganz automatisch das Ende aller Toleranz und Empathie? Ja, kann sein. Mit manchem will ich auch nicht leben, weil ich nicht will. Muss ich auch nicht. Ich kann nach mehr als 60 Jahren einigermaßen treffsicher und verlässlich "Nein" sagen. Aber bei diesem Lernprozess musste ich feststellen, dass ich leider auch vorschnell "Nein" zu etwas oder jemandem gesagt habe, dass ich zu feige, zu träge und zu kraftlos war, um zu einem "Ja" zu finden. Und "Nein", das bedeutet ganz sicher nicht, dass ein "Ja" und "aushalten" immer die bessere Wahl wäre.
Liebe
@Bonny2201 , was wäre, wenn sein Pornokonsum keine Konkurrenz wäre, mit der Du Dich messen (lassen) musst? Was wäre, wenn er sich nicht diese Bilder "anstatt" Dir, sondern "neben" Dir wünscht? So viele Menschen denken in diesen "entweder/oder"-Kategorien und übersehen dabei viel zu oft das "und". Das "Bacchanal" von Tizian wird heute als Kunst bezeichnet. Wurde das damals auch so gesehen? Oh, ich will ganz sicher keine Argumentation lostreten, dass Pornos Kunst wären oder welches verkannte Genie sich hinter ihnen verbirgt. Dahinter steckt Geld und Geilheit und meistens ist es nicht viel mehr. Aber diese Geilheit ist seit vielen, vielen tausenden von Jahren in uns verankert, ebenso wie Sucht- und Rauschmittel, Gewalt und Zärtlichkeit. Und alle Verfolgungen haben gezeigt, dass man uns das nicht "austreiben" oder "weg erziehen" kann und vielleicht auch garnicht sollte. Aber wir sollten damit leben lernen, damit sich aus unseren "Anlagen" keine Süchte entwickeln, weil wir sie viel zu weit von uns schieben.
Ich habe schon so manche "Eigenheit" von Menschen schätzen gelernt, weil sie mich in ihre Welt mit nahmen und ich dadurch etwas sehen und erfahren durfte, wofür ich zuvor blind , taub oder einfach zu feige war. Vielleicht musst Du nichts "retten", sondern nur Wege finden, über so manche Leidenschaft nicht mehr zu urteilen. Aber Du hast auch jedes Recht "Nein" zu sagen. Es ist Deine Entscheidung.
PS: Wie arm und eng bleibt eine Welt, in der scheinbar Hohn und Spott und die eigene Selbstüberhöhung eine vermeintlich "sichere Seite" verheißen? Wie war das mit dem Werfen des ersten Steins? Bert Brecht hat es mit seinem Herrn K. so formuliert: "
Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“ „Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge dafür, dass er ihm ähnlich wird.“ . Wieviel Raum zum Atmen und Leben bleibt dann mit den Jahren, wenn sich Menschen ständig unserem Bild anpassen sollen?