Hallo DayX,
wenn es Dir schlecht geht und Du vor Deinem Arzt sitzt, aber ihm verschweigst, dass Du z.B. verdorbenen Fisch gegessen hast, wie soll er Dir dann helfen? Natürlich machst Du Dir Sorgen, welche Konsequenzen Deinen Handlungen haben können, aber der Sinn einer Therapie soll doch sein, dass Du lernst mit Deinem Leben besser zurecht zu kommen. Wenn Du verschweigst, was in Deinem Leben passiert, was kann eine Hilfe bewirken, die auf mangelnden Informationen beruht?
Eine gute Therapie kommt meistens an einen Punkt, an dem es so richtig weh zu tun beginnt. Du scheinst ein intelligentes Mädchen mit einer guten Intuition zu sein. Wenn Du Dir Deine Therapeutin zur Freundin machst, dann übernimmst Du im Grunde die emotionale Führung und steckst damit die Grenzen ab, wie weit diese Therapie Dich bringen darf. Das ist ein Selbstschutz, so wie Du Dich durch Dein Schweigen schützt. Es zeigt, dass Du diesem Prozess nicht vertraust. Aber in dem Du ihm nicht vertraust, passiert genau das, wovor Du Dich fürchtest: man kann Dir weniger helfen, denn Du bestimmst die Geschwindigkeit und den Weg dieser inneren Reise.
Vielleicht war es gut, dass Du eine Freundin in einer Therapeutin gefunden hast, vielleicht auch nicht. Freundschaft macht vieles leichter, aber viele Freundschaften zerbrechen , eben weil sie nicht leisten können, was eine Therapie leisten soll: die Dinge klarer und tiefer zu durchschauen. Ein Freund schützt Dich womöglich vor Erkenntnissen, weil er Dich vor Schmerz bewahren will, aber ich kann Dir nur sagen, dass so mancher Schmerz, so manche Wahrheit notwendig ist, um daran zu wachsen, um über die Dinge hinauszuwachsen, die Dich am Boden halten. Das kann sehr weh tun, aber es ist ein guter Schmerz, den Du aushalten kannst, weil Du danach stärker bist, weil Du Dich besser kennst und Dir selbst mehr vertrauen lernst. Freundschaften, auch die mit Dir selbst, werden im Feuer geschmiedet.
Vielleicht ist Deine neue Therapeutin keine Freundin. Aber vielleicht ist sie trotzdem die richtige Kampfgefährten, die Du jetzt an Deiner Seite brauchst. Vielleicht ist sie auch die falsche. Auch in diesem Punkt braucht es Deine Mithilfe und Deine Entscheidung, denn Du kommst nur so weit, wie Du kommen kannst und willst. Frag Deine Therapeutin mal, woran man erkennt, dass man den richtigen Therapeuten gefunden hat. Da wäre ich jetzt auch neugierig.
Mit 16 Jahren bist Du in aller Regel kein kleines Mädchen mehr. Du hast gelernt, wie Du manche Menschen um den Finger wickeln kannst, um zu bekommen, was Du willst. Aber damit verzichtest Du darauf, wie weit Deine Therapeutin Dich bringen könnte. Macht das Sinn?
Therapie braucht verdammt viel Mut und sie ist ein unglaubliches Abenteuer, oder könnte es zumindest sein. Sie ist mit Fallschirmspringen vergleichbar, aber nur wenn Du aus dem Flugzeug springst und vorher Deinen Schirm kontrolliert hast. Wenn Du keine Angst hättest, wäre das bedenklich.
Alles Gute