Hallo Wassersportler,
ich bin überwiegend ein positiv denkender Mensch und daher mag ich mir nicht vorstellen, dass jemand von Anfang an automatisch ausgeschlossen wird.
Ich würde sagen, dass wir uns diesen Ausschluss selbst beibringen oder eben erlernen. Natürlich von sehr wenigen krassen Ausnahmefällen abgesehen. Kein Baby hat von Geburt an Angst vor Spinnen, trotzdem haben die meisten Menschen jenseits des Kleinkindalters zumindest eine Abneigung gegen diese nützlichen und in unseren Breitengraden harmlosen Tiere.
Was ist also passiert? Die meisten Kinder lernen sehr viel durch das Abschauen und Kopieren der Verhaltensweisen ihrer Eltern. Wenn Mutti (oder natürlich auch Vati) bei jedem keinen Spinnchen unter Todesschreien den Raum verlassen, so muss eine kleine Spinne also lebensgefährlich sein.
Dieses Lernverhalten legen wir auch im Bereich Beziehungen, sexuelle Freiheit, etc. an den Tag. Ein kleines Kind lernt schon beim Windelwechsel oftmals, dass es die Finger aus dem Intimbereich nehmen soll, weil es „bäh“ ist, sich nicht gehört, man als Kleinkind daran nicht zu spielen hat usw.
Dieser Lernprozess geht in den Folgejahren so weiter und in unserem sozialen Umfeld wird ein gewisses Schamempfinden auch erwartet (was ich definitiv nicht schlecht finde). Hier kann man es allerdings auch etwas übertreiben und den Kindern ein viel zu starkes Schamgefühl mit auf den Weg geben.
Ich möchte nicht nur auf „Jungmänner“ sondern auch auf „Jungfrauen“ eingehen, da ich persönlich der Meinung bin, dass die Gründe und Verhaltensweisen sich nicht sonderlich voneinander unterscheiden.
Unser eigener und von anderen Personen an uns gerichteter Leistungsdruck nimmt seit Jahrzehnten zu. Alles muss schneller, effizienter, kostengünstiger, ertragsreicher und perfekter werden. Dies beginnt immer früher, ein Kind, was keine zwei Fremdsprachen im Kindergarten erlernt hat, ist eigentlich schon gesellschaftlich abgehängt und kann ja nichts mehr werden (vielleicht etwas überspitzt).
Dieser Leistungsdruck macht natürlich auch vor dem Privatleben keinen Halt. Beim ersten Mal MUSS alles reibungslos funktionieren. Die Frau muss sich bereitwillig die Klamotten vom Leib reißen und natürlich eine spitzen Figur dabei machen. Wenn der Mann die Hosen fallen lässt, ist alles unter Salatgurkengröße eine Beleidigung für die Frau und wird nicht toleriert.
Wer sich darüber Gedanken macht und noch nicht mal diese „Standardanforderungen“ erfüllen kann, nimmt sich eventuell schon vor dem ersten Mal gleich ganz aus der Gleichung raus. Der objektive Umgang mit eigenen und fremden Makeln beginnt erst deutlich später und damit dann im Zweifel auch die sexuelle Erfahrungssammlung.
Die weiteren Erfahrungen werden oftmals über Jahre aus den Medien gesammelt, die weiterhin lieber ihr Bild von Perfektion via Photoshop herstellen und verkaufen, als einfach ganz normale Menschen zu zeigen. Auch die eventuell konsumierten Pornos zeigen natürlich ein Bild von immer willigen Frauen und Männern, die bestückt wie Pferde sind. Der Akt der Penetration muss mindestens 60 Minuten dauern und wer vorher kommt oder gar etwas trocken wird, hat sexuell versagt und sollte sich ein anderes Hobby suchen.
Auch werden Pornos und anderes sexuelles Material viel früher und häufiger konsumiert. Während man vor 15-20 Jahren noch aufwändig in jedem möglichen Versteck nach eventuellen Porno-Videokassetten seiner Eltern gesucht hat, diese dann endlich mit 15 oder 16 Jahren gefunden hat, musste man immer noch darauf achten, dass die Eltern wirklich abwesend sind. Ein laufendes Video zu beenden und zu verstecken dauerte deutlich länger, als das Handy einfach unter dem Kopfkissen verschwinden zu lassen.
Mit dem eigenen Handy ab 10 bis 12 Jahren stehen einem heute bereits in diesem Alter alle pornografischen Materialien beinahe 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Dabei kann man davon ausgehen, dass sich mehr negative Verknüpfungen im jungen Hirn bilden, je eher ein Kind oder Jugendlicher mit dem regelmäßigen Konsum beginnt.
Sollte es dann irgendwann zum ersten wirklichen sexuellen Kontakt kommen, so kann durch die lange Reizüberflutung durch Pornos der tatsächliche menschliche Kontakt als zu wenig erregend empfunden werden, was dann zu einem „Versagen“ in der realen eigenen Sexualität führen kann.
Um nun nicht nur den Pornos und Medien die Schuld zu geben, nochmal ein Themenwechsel. Der soziale Kontakt untereinander nimmt stetig ab. Der Freundes- und Bekanntenkreis (abgesehen von Facebook-Freunden) wird kleiner. Damit reduziert sich automatisch die Chance auf einen Sexualpartner.
Ich bin selbst erst Anfang 30 und erinnere mich daran, auch meine Parallelklassen gekannt zu haben, viele Freunde im Gartenverein und in Sportvereinen kennengelernt zu haben, eigentlich jeden Tag draußen gewesen zu sein. Dadurch auch die gesamte Nachbarschaft in einem großen Umfeld kennengelernt zu haben usw.
Dieses Freizeitverhalten wurde über die Jahre von Analog auf Digital umgestellt. Natürlich lernt man auch heute neue Menschen kennen. Ein anderer Computerspieler, der viele 100 km weit entfernt mit mir zusammen über das Internet digitale Drachen tötet, mag eventuell sogar als Freund wahrgenommen werden, steht aber physisch nicht zur Verfügung.
Menschen, die sich komplett in dieser digitalen Welt verlieren, verlieren dort auch an sozialer Kompetenz. Diese fehlt dann wieder im Kontakt zu Menschen in der realen Welt, wodurch diese Kontakte dann wegen Negativerfahrungen weiter reduziert oder digitalisiert werden.
Wenn ich also keine echten Menschen in meinem Umfeld kennenlerne, stehen mir natürlich auch nur wenig mögliche Sexualpartner zur Verfügung. Ich schieße mich also praktisch selbst ins Aus. Eine andere Frau oder ein anderer Mann kann mich nicht wegen irgendwelcher angeblichen Makel aussortieren, wenn mich kaum jemand kennt.
Um nun wieder den Bogen zur eigentlichen Annahme zu spannen, dass heute viele Mädchen und Jungen durch Mitmenschen in ihrer Altersklasse als mögliche Partner und Sexualpartner bereits vor ihrem ersten Sex aussortiert oder gar komplett ausgeschlossen werden.
Das mag durchaus möglich sein, aber nicht häufiger oder seltener als in den letzten Jahrzehnten. Einige „Jungmänner“ und „Jungfrauen“ gehen heute aus Scham vor dem eigenen Körper und Angst vor dem Körper anderer nur sehr zögerlich eine intime Beziehung ein. Dieser Scham ist zum Teil schon von den Eltern antrainiert worden, durch Medien weiter befeuert und durch die Wahl der Freizeitaktivitäten dann gefestigt worden.
Es mag diverse weitere Gründe geben. Viele werden wohl aber auch in meinen Ausführungen eingebettet werden können. Es heißt, Gelegenheit macht Liebe. Gelegenheit macht dann also auch Sex. Diese Gelegenheiten werden seltener und wenn sie eintreten, sind sie durch Scham und falsche Erwartungen zum teil stark belastet oder werden gar vermieden.
Ich möchte weder die heutigen Erziehungsmethoden, noch Pornos oder die Digitalisierung verteufeln. Aber wie bei so vielen anderen Dingen auch, macht die Dosis das Gift. Ein gelegentlich konsumierter Porno richtet sicher keine bleibenden Schäden an (auch abhängig vom eigenen Alter und Inhalt des Streifens). Ein gerade neu besiegter Endgegner in WOW kann euphorisieren. Genauso aber auch das Kennenlernen von neuen Menschen auf einer Feier oder in einem Verein.
Während man vor 10 Jahren einem vermeintlich netten Gegenüber verschmitzt ein Lächeln zugeworfen hat, wird heute in der Öffentlichkeit oft nur noch auf das Handydisplay gestarrt und mit Pokebällen nach Monstern geworfen. Man läuft an seinen Gelegenheiten vorbei.
Das sind einige Beispiele, wie man sich ganz ohne fremdes Zutuen selbst, teilweise oder komplett, aus der Gleichung nimmt. Wer Autofahren will, muss das Fahren lernen und benötigt ein Auto. Wer seinen ersten Sex erleben will, muss soziale Kompetenz erlernen und benötigt andere Menschen.
Ich wünsche allen „Jungfrauen“ und „Jungmännern“ viel Erfolg bei der Suche nach einem Partner und / oder Intimität. Habt Mut, sprecht andere Menschen an und tretet in Interaktion. Sowie ein Mann sieht, dass die Frau nicht gerade mit zwei Wassermelonen ausgestattet ist, so sieht auch die Frau, dass der Mann keine 6 Pfund in der Hose hat. Und trotzdem kann man sich mögen, lieben, geil finden und zusammen seine Körper kennenlernen und erfahren. Niemand ist perfekt, wir pflegen alle unsere eigenen Makel und Unzulänglichkeiten. Zudem hat jeder einen anderen Geschmack.
Alles Gute wünscht Greeni