Geht "sich selbst bewusst sein" mit dem Ego eines Napoleon einher? Heist "selbstbewusst" zu sein, dass man auch erfolgreich, beliebt und durchsetzungsfähig ist? Welchen Sinn macht es, jemandem ihre/seine Schwächen zum Vorwurf zu machen? Ja, Eltern machen Fehler, schätzen ihre Kinder falsch ein, sind manchmal zu träge, zu dumm, zu ignorant, zu schwach, zu lasch, zu phantasielos und noch so vieles mehr. Das mag alles wahr sein.
Wessen Schuld ist es, wenn der Samen einer wunderschönen Blume in den Schatten eines Felsens fällt und sie dadurch nie genug Sonne bekommt, nie über diesen Stein hinaus wachsen kann? Manchen von uns geht es so. Zu wenig "Wasser", zu wenig "Licht", zu wenig von diesem und jenem. Als Blume kann man schlecht "davonlaufen". Und eben da hinkt der Vergleich wie Kapitän Ahab.
Ich kann dieses Gefasel von Chancen, dem Mut zum Risiko und dass jeder seines Glückes Schmid sei, nicht mehr hören. Manche von uns bekommen den Kopf nicht über Wasser, haben selten Glück, verstehen die Gunst der Stunde nicht zu nutzen und wachsen scheinbar nicht über andere hinaus. Verdammt noch mal, na und?! Ist deswegen das eigene Leben sinn- und wertlos?! Es ist so leicht, Ratschläge zu erteilen und es im Nachhinein besser zu wissen. Warum ist ein "kleines Leben" so beklagenswert?
Ja, in den Augen von vielen Menschen zählen nur Erfolge und wer würde ein Haus mit Pool und glücklicher Familie ablehnen, wenn man es ihr/ihm anböte? Natürlich wäre ein große Erbschaft von den Eltern prima, natürlich wäre es toll, wenn alle Eltern ihre Kinder lieben und akzeptieren würden, wie sie sind und ihre Talente fördern. Aber die meisten Menschen kämpfen sich an die Grenzen ihrer Möglichkeiten heran. Die meisten Menschen scheitern nicht so sehr am Schicksal oder weil sie nicht wollten, sondern weil sie nicht "höher, schneller und weiter" können. Wenn am Ende des Tages keine Kraft mehr für die Kinder bleibt, wenn einen die Sorgen fast erdrücken, wenn man nicht die zündende Idee oder das Wissen hat, um alle Klippen zu umschiffen, dann ist manchmal ein "Ende der Fahnenstange" alles andere als heroisch oder romantisch. Dann kommen der Gerichtsvollzieher und der Absturz, ohne ein "Wiederauferstehen des Phönix".
Ja, wenn man am eigenen Leben verzweifelt, an sich selbst zweifelt und leider allen Grund dazu hat, weil es darüber hinaus auch noch an einem selbst liegt, dann war es das mit der Leichtigkeit und von Liebe und Mitgefühl bleiben nur noch Aschereste zurück. Das ist traurig und unglaublich schade. Und wenn dann einer einem noch mit dem Stock eine überzieht und freundliche Tipps wie "Bade nicht in Selbstmitleid!" oder mit einem "Sieger zweifeln nicht und Zweifler siegen nicht" ablässt, dann ... wieder aufzustehen fällt manchmal verdammt schwer.
Ja, gute Eltern sollten ermuntern, stärken und nicht meckern, stänkern, lügen, schwächeln und betrügen. Und wenn sie selbst aus ebenso schwachen und dysfunktionalen Familienverhältnissen stammen, entschuldigt sie das dann ebenso, wie es mich oder Dich als Kind entschuldigt? Was hätte sein können oder sein sollen, möchte ich in meinen starken Stunden als Anreiz verwenden, es besser hinzubekommen. In meinen schwachen Stunden schaffe ich es aber immer wieder nicht, damit nicht zu hadern. Bringen tut mir das nichts, eher im Gegenteil. Aber notwendig scheint es mir doch zu sein, um besser zu verstehen, wer ich bin und woher ich komme.
Mein Vater war stark, war ein Anführer und hat vielen Menschen geholfen. Ich erinnere mich nur an ein einziges Gespräch, das er wirklich mit mir geführt hat, das uns beide verband. Bei mir kam an: "Steh nicht im Weg rum, geh aus der Bahn, mach nichts Dummes und nichts Falsches und nerve nicht mit Deinen Ansichten". Ist das besser? Ziemlich sicher hat sich meine Erinnerung verändert, sehe ich heute so manches anders, als es damals wirklich war, aber das ist, was in meinem Herzen übrig blieb und mich mit geprägt hat. Und das ist auch mein Ansporn, weil ich weiß, wie ich nicht sein möchte und auch nicht sein muss. Mein Vater war so, ich entscheide mich anders.
Ich muss nicht mehr stolz auf meinen Vater oder meine Mutter sein, um sie zu lieben. Ich möchte das Gute und das Schlimme für mich benennen dürfen. Das muss ich ihnen nicht mehr ins Gesicht schreien. Das habe ich vor Jahren hinter mich gebracht, ohne dass sie dabei waren. Es hat funktioniert. Ich bin nicht frei davon, aber ich kann damit leben. Ich habe erfahren, dass ich diese Verletzungen FÜR MICH klären kann, ohne dass ich um irgendetwas bitten muss und DAS finde ich entscheidend. Was immer ihr mit euren Eltern abrechnen müsst, macht das mit euch aus, holt euch Hilfe, schreit, tobt und wütet, so viel ihr nur könnt und müsst. Weint, trauert, lasst euch umarmen und trösten. Aber zieht nicht Menschen mit hinein, die euch nicht (mehr) helfen können, weil sie viel zu oft dazu nicht in der Lage sind. Schürt keine Erwartungen und Hoffnungen, wo es keine gibt und geben sollte.
Ich wünsche euch Eltern und Kindern schöne Weihnachtstage. Passt auf euch auf. Auch auf euch selbst.
PS: Warum stecken wir mit manchen Menschen in solchen Drama-Beziehungen? Weil sie auf diese Weise funktionieren und wir selbst daran festhalten. Auch ich leiste meinen Beitrag dazu. Das darf ich nicht übersehen.