Liebe Angelina, ich wollte Dir noch antworten auf Deine Frage. Ich habe drei Kinder, von denen erst das mittlere an einer seltenen Krankheit litt und einige Jahre später es dann in verschärfter Form auch mein jüngstes Kind erlitt.
Ich habe diese Zeit, das Erfahren der Diagnose und die Zeit danach als eine der schwersten in meinem Leben erfahren. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie steinig und schmerzlich der Weg war, der vor mir lag. Es geriet für mich alles aus den Fugen, meine Welt stürzte ein. Als hätte ich nicht schon genug andere Sorgen und Probleme am Hals …
Völlig unerwartet musste meine Tochter (8 J.) damals sofort ins Krankenhaus und nach dem Gespräch bin ich wie bekloppt nach Hause gelaufen, der Weg vom Klinikum zu mir waren ca. 2 Kilometer, ich habe den ganzen Weg geheult und geschluchzt. Mich haben Leute angesprochen, die bemerkten, wie verzweifelt ich war …
Die Menschen in meinem Umfeld waren unsicher im Umgang mit mir. Ich war von einem Tag zum anderen in ein schwarzes Loch gefallen. Es gab vor allem Gefühle der Schuld und des Versagens. Und immer wieder die Frage: warum zum Teufel kommt dies jetzt auch noch auf mich zu … Andere schwimmen auf ‚ner Wurstpelle durchs Leben, und ich kriege kein Bein auf die Matte …
Ich lebte wie hinter einem Vorhang, alles andere sah ich nur noch verschwommen, automatisch erledigte ich, was zu erledigen war und lebte für den Moment, wo ich ins Krankenhaus durfte, zur Besuchszeit oder Arztsprechstunde.
Mein Großer wurde in dieser Zeit schneller erwachsen als andere Kinder das mussten. Ich habe versucht, ihn und den Kleinen nicht zu vernachlässigen … Doch ich war sehr beschäftigt mit diesem Leid und hatte Schuldgefühle, dass meine Tochter über Monate im Krankenhaus eine schwierige Behandlung durchmachen musste. Und sie entwickelte Schuldgefühle, dass sie mir solche „Sorgen machen musste“ … Es war alles so belastend. Ich hatte Angst vor ihren Schmerzen, ihrem Leiden, sie das gleiche von mir und meinen Schmerzen … Ich stand Todesängste aus, sie könnte sterben …
Mit der Intensität der Krankheit und der Dauer des Krankenhausaufenthaltes nahmen die Kontakte nach außen ab und der eigene Druck immer mehr zu. Jedenfalls wurde sie wieder gesund, auch wenn sie in Behandlung blieb.
Einige Zeit später erkrankte der Kleine an der gleichen Krankheit, aber noch verschärfter … Ich habe die Welt nicht mehr verstanden, mir hatte man gesagt, das wäre eine ganz seltene Erkrankung, wo nur 1 Kind von 100 erkranken würde … Und nun auch noch der Kleine. An einem Tag hing sein Leben an einem seidenen Faden … Aber er wurde gerettet und hat es überlebt.
Für mich brach erneut alles weg, was sollte der Sinn meines Lebens sein? Musste ich immer nur kämpfen und leiden … Meine Zukunftshoffnung war klitzeklein … Meine Verzweiflung riesig. Meine Zerrissenheit war grenzenlos, wenn mich einer fragte, wie ich mich fühle bzw. wie es mir geht, dann sagte ich immer, ich fühle mich wie ein Fetzenfisch …
Ich hatte keine Familie, die sich um mich kümmern konnte, nur meine drei Kinder und ich, wir waren die Familie.
Ich dachte, ich muss zerbrechen, aber ich bin eine Weide, ich biege mich, aber ich breche nicht …
Durch Gespräche mit einer guten Bekannten wurde mir klar, dass ich loslassen muss. Diese Gedanken von Schuld, von Unverdientheit dieser Situationen, die mussten aus meinem Kopf. Genau genommen, ergab ich mich dem Lauf der Dinge. Ich habe akzeptiert, dass meine Kinder krank waren und dass es das Beste ist, es so zu nehmen und sie so zu nehmen und mich auch. Und wenn sie gerade jetzt von dieser Welt gehen müssten, dann dankbar zu sein für die Zeit, in der ich sie bei mir hatte.
Ich weiß, dass es in einer momentanen Situation – so wie bei Dir – schwer ist, solchen Gedankengängen zu folgen.
Dein Lebenspartner und Du, ihr habt Euch vor nicht so langer Zeit getroffen und habt Pläne für die Zukunft. Ich bin ein Mensch ohne Zugehörigkeit zu einer Kirche, aber manchmal denke ich doch, das Schicksal „denkt sich bei allem etwas“.
Mehrmals habe ich hier im Forum schon den Film „Magnolien aus Stahl“ mit Julia Roberts u. v. a. erwähnt, weil mir der Satz daraus immer gefiel: „Ich möchte lieber für eine kurze Zeit etwas ganz besonderes im Leben sein, als ein ganzes Leben lang nichts besonderes …“.
Ich grüße Dich von ganzem Herzen, ich denke an Dich und hoffe mit Dir
liebe Grüße
Eisherz