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Leben ohne Zukunft

Niceguy

Mitglied
"Hier ist Endstation!"

Wie ein Donnerschlag treffen die Worte meines Pneumologen bei mir ein, vor ziemlich genau einem Jahr. Ich habe mal wieder über Atemnot geklagt, obwohl meine Lungenfunktion nach wie vor prächtig ist. Minimal eingeschränkt durch das Emphysem, und doch seit 10 Jahren unverändert gut.

Er ist ziemlich aufgeregt. "Das Aneurysma verdeckt schon die halbe Lunge" höre ich ihn noch sagen. Er zeigt mir kurz das eben erstellte Röntgenbild und ich sage nur noch "Boahh!"

Ja klar, ich habe den Hauptgewinn gezogen - thorakoabdominales Aortenaneurysma, einmal durch den gesamten Brust- und Bauchraum. Zur Aortensprechstunde in die Uniklinik bin ich seit Jahren nicht mehr gegangen, seit dem merkwürdigen Gespräch mit dem zuständigen Profi. Auf meine einfache, aber gezielte Frage nach der Originalaufnahme vom CT ist er ausgeflippt, hat mir aufgebracht wiederholt ins Gesicht gelogen, trotz des leisen Einspruchs seiner Sekretärin. Ich habe mir dann in der Radiologie eine CD mit den Aufnahmen geben lassen, mir das Drama am PC angesehen. Da wusste ich, dass es für mich keine OP geben würde, zumindest keine, die ich überleben würde.

Nun, ich hatte gehofft, ich könnte das weitere Wachstum aufhalten. Nein, konnte ich nicht. Zu viele Blutdruckentgleisungen trotz regelmäßiger Medikation. Mein Nervensystem ist schon lange zerrüttet. Es braucht nur etwas Aufregung, um schnellstens bei 200 zu landen.

Nein, für mich war noch nicht Schluss, durfte es auch nicht sein. Meine Mutter ist mit 72 Jahren gestorben und ich gönne es ihr einfach nicht, dass ich vorher abdanke. Ihr Ziel war es, mich körperlich, seelisch und sozial zu vernichten, einfach auszulöschen. Ich habe gelernt zu überleben, und das war und ist tatsächlich meine Lebensleistung. Da stirbt es sich nicht so schnell.

Vor kurzem war wieder ein Termin beim Pneumologen, wobei ich diesmal über meine immense Müdigkeit klagte. Wieder Röntgen, wieder Panik beim Arzt. Er hat einen Durchmesser von 5,5 cm gemessen, wollte mir wieder eine OP schmackhaft machen. Nur was soll ich in die Aortensprechstunde, wenn selbst der Operateur Panik bekommt? Genau wie der Kardiologe, bei dem ich noch vor einigen Jahren war. Der hat sich nicht nur geweigert, mich zu untersuchen, sondern nur noch vor Panik pöbelnd gekreischt. Er hatte tatsächlich Angst, dass ich ihm in der Praxis abnippele...

Panik und Abwehr allerorten, selbst in meinen zuständigen Selbsthilfeforen bzw. -gruppen. Erzähle ich von meinem Zustand, dann ergreifen alle schnellstens die Flucht, als hätte ich die Pest am Leib. Selbst die Mitarbeiterin im Betreuungsverein, mit der ich Angelegenheiten im Todesfall besprechen wollte, hat tatsächlich jeden Versuch abgeblockt, die konkreten Umstände zu besprechen.

So bin ich mit mir allein wie ein Aussätziger auf einer Leprainsel. Es ist makaber, die eigene Beerdigung zu planen. Für meine Patienten und manche Ärzte bin ich der Inbegriff von Fitness und Gesundheit, und so richtig krank fühle ich mich ja auch nicht, abgesehen von meinen sonstigen chronischen Beschwerden. Ich muss aber alles Wichtige vorher regeln, da mir im Ernstfall keine Zeit mehr bleibt.

5,5 cm sind die absolute OP-Indikation - für einen normal großen Mann. Ich bin halt nur 1,57 cm groß- deal with it. Halbe Sachen habe ich noch nie gemacht, aber etwas anderes blieb mir ja nie übrig. Ich habe keine Ahnung, wann es denn so weit ist. Aber ich selbst schiebe auch keine Panik, möchte nur geregelt und ordentlich aus der Welt gehen. Im Sommer werde ich 72, und bis dahin habe ich ein furchtbar anstrengendes Leben gehabt. Für mehr habe ich dann auch keine Kraft mehr, wozu auch? Ich bin mehr oder weniger verwaist, habe noch einen Cousin und einen Bruder, der eigentlich keiner ist, und meine Freunde sind bereits gestorben. Die wenigen Dinge, mit denen ich mein Leben gefüllt habe, sind seit und durch Corona verschwunden.

Wie orientiert man sich da? Was lasse ich zurück? Was gehe ich noch an? Lauter Fragen für meinen leeren und gleichzeitig so vollen Kopf.
 

Niceguy

Mitglied
Ja, ich habe mal wieder eine schlaflose Nacht, nicht so gesund. Es wühlt mich auf, was an Kinderseelen verbrochen wird. Es ist erschreckend, was mir einige meiner Patientinnen erzählen, und doch so wahr. Ich kann ja die Narbe zwischen den Rippen sehen, wo ein Messer eindrang, und auch die schwer vernarbten Arme. Ich kenne die Last, mit der man ins Leben geworfen wird, wie ein Mühlstein um den Hals. Und ich kenne die verheerenden Auswirkungen auf die eigene Gesundheit nur zu gut.

Kann man da noch lachen, fröhlich sein, Scherze machen? Oh ja, durchaus, wenn man an sich glaubt und wenn einem geglaubt wird. Der Körper vergisst nichts, ist ein eigenes Dokument der Schande. Und doch kann sich die Seele darüber erheben, in jedem einzelnen Moment.
 

Niceguy

Mitglied
Wow, heute wird ein guterTag! Zum Frühstücksmüsli gibt es die ersten Erdbeeren des Jahres. Und dann tatsächlich eine Premiere. Ich hatte vor Weihnachten aus Versehen tiefgekühltes Rehgulasch mitgenommen. Das wird heute gebraten/gekocht - mein erstes! Bin schon gespannt, wie das wird. :giggle:

Und dann setze ich mich nachher das erste Mal wieder auf meinen Balkon in die Sonne. Vorher wird dort kurz geputzt. Und dann wieder der Blick in den grünen Hinterhof. Vor zwei Tagen sind auch bei der Kastanie die Blattknospen aufgesprungen. Auch die Birken haben frisches Grün - eine kleine Welt für sich, wenn dann noch die Vögel darin zwitschern.

Bruder im Geiste, ich hoffe, es ist ok, wenn ich hier auf manche deiner Gedanken und Erinnerungen Bezug nehme. Da es meine eigenen betrifft, schreibe ich halt hier. Diese Dankbarkeitspest kenne ich auch von mir, aus meiner Familie. Dankbar wofür? Dass man mich nicht totgeschlagen hat wie angekündigt? Dass man mich nicht ins Heim gesteckt hat wie angekündigt?

Als ich vor über 50 Jahren hier eintraf, mit einem Koffer und einer Geschirrkiste, da war mein erster Gedanke "Ich habe meine Kindheit überlebt." Mehr aber auch nicht, denn dann kamen auch schon tiefste Depressionen, weil man mich in ein Leben geworfen hatte, das nicht meines war. Es hat einige Jahre tiefster Verzweiflung gekostet, bis ich in der Lage war, es zu meinem zu machen.

Es ist teilweise gelungen, immerhin. Es ist ja nicht so, dass man einmal eine Kindheit hat und danach für alles selbstverantwortlich ist. Nein, man bekommt tatsächlich lebenslänglich. Selbst wenn die Verantwortlichen längst gestorben sind wirkt ihr Gift noch weiter, kommt man nur bedingt aus den Bahnen heraus, in die man frühzeitig gepresst wurde.
 

tonytomate

Sehr aktives Mitglied
Such nicht nach Schuld, Hak die Vergangenheit ab.

Dass Ärzte nicht operieren wollen oder können, vermutlich deswegen, weil Du anschließend in der Kiste liegen würdest, wenns blöd läuft.

Manche Menschen sind halt nicht geboren, den geraden Weg zu gehen.

Mach das beste draus. Wenn Du Probleme mit der Lunge hast, inhaliere jeden Tag 1x heiß mit der gelben Tube aus der Apotheke und 1x kalt mit Pari Naci Lösung + Tropfen Eucaliptus Öl.

Wenn es bei Dir in der Stadt eine Salzgrotte gibt, könnte Dir das helfen, sowie jedes Jahr 2 Wochen Nordsee.
 

_vogelfrei

Aktives Mitglied
Hey Du, ich freu mich sehr, dass du hier schreibst und uns teilhaben lässt. Es klingt sehr hart und nach schwerer Kost, die du in den letzten Monaten verdauen musstest und noch verdauen musst. Ich werde dich gerne auf deinem Weg begleiten und hoffe, noch viel von dir lesen zu können.
 

Niceguy

Mitglied
Tony, vielen Dank für deinen Beitrag. Allein letztes Jahr war ich 3 Wochen auf Sylt, und nach Pfingsten bin ich wieder eine Woche dort. Schau, meiner Lunge geht es doch gut, die ist gar nicht das Problem. Dafür ist ein Lungenarzt eigentlich Luxus. Ich freue mich aber, dass er für mich da ist, dass er nicht flüchtet und mich wegschickt. Ich weiss, dass er ganz gewaltig an der Situation knabbert.
 

Niceguy

Mitglied
Nun weint doch nicht so! Ich will euch gewiss nicht das Osterfest verderben, da kriege ich ja fast ein schlechtes Gewissen...

Tatsächlich ist das aber die übliche Reaktion, wenn ich anderen Menschen auch nur ein paar Details aus meinem Leben erzähle. Ich bringe die Menschen zum Weinen...:(

Geniesst die paar freien Frühlingstage, egal wie das Wetter wird. Der Alltag kommt früh genug wieder. :)
 

Niceguy

Mitglied
Die Feiertage sind fast vorbei. Ich habe viel weniger geschafft, als ich mir vorgenommen hatte. Aber diese wenigen Dinge sind wenigstens gut geworden.

Mein Rehgulasch ist sensationell geworden. Mein Bammel davor wir ziemlich unbegründet. Ich hatte ein einfaches Rezept und bin schließlich kein Küchenidiot. Ich hatte so viel Aufwand im Kopf, weil meine Mutter ihn bei Wild immer betrieben hat - Spicken mit Speckstreifen, tagelanges Einlegen in Buttermilch etc. Das ist bei Gulasch weder möglich noch erforderlich.


Dann habe ich nochmal und Allgemeine Vorlesungsverzeichnis geguckt, das inzwischen endlich vervollständigt wurde. So habe ich drei Veranstaltungen gefunden, die ich nach der Arbeit absolvieren kann. Mit und nach Corona war ja vieles eingeschlafen oder nur per Zoom erhältlich. Leider sind die beiden interessantesten Veranstaltungen inzwischen weg - die Ringvorlesung der Psychoanalytiker und eine tolle Vorlesung bei den Mathematikern. Vielleicht kommen die ja später wieder, oder es gibt neue interessante Veranstaltungen.

Heute will ich noch drei Therapieberichte schreiben. Für den einen hätte ich gerne noch ein Foto ausgedruckt. Da das derzeit nicht klappt muss es halt ohne gehen. Für die Übertragung auf den Rechner brauche ich ein Extrakabel, das ich erst besorgen muss. Früher waren solche Dinge im Lieferumfang enthalten...:(

Fahrrad putzen und Kette ölen liegen auch noch an, werden gleich gemacht. Dafür brauche ich heute nicht zu kochen, es wird einfach aufgewärmt. Dann sind die Entenreste und der Rosenkohl endgültig wech.

Gerade wird mein Schnupfen besser, der mich seit gestern terrorisiert. Wird aber auch Zeit! Morgen früh habe ich einen Termin bei meiner Hausärztin. Da will ich nicht noch mit Maske aufschlagen. Vielleicht klappt das ja.

So langsam rückt der Alltag wieder näher. Nur gut, dass ich auch zur Abeit muss, sonst würde ich nur noch schlafen. Ich lasse mal abchecken, ob es gesundheitliche Gründe dafür gibt. Vielleicht ist es auch nur das miese Wetter und das damit verbundene Drinsitzen. Ich bin ja im Grunde ein "Draussen-Mensch", weil sich Kontakte und generell das Leben halt draussen abspielen. Wenn ich nur nicht so müde wäre....:(
 

Niceguy

Mitglied
Ha, was für deine Schnappsidee! Gleich beim Putzen habe ich mir die Kette vom Rad gefegt und nicht mehr richtig drauf gekriegt. Zeitweilig war sie von beiden Zahnrädern unten...

Irgendwann kam dann der Nachbar vom Erdgeschoss in den Hausflur und hat mir mit dem Rest geholfen. Fürs erste geht es wohl, so dass ich morgen zur Arbeit komme. Aber jetzt brauche ich noch einen Reparaturtermin, damit die Kette gespannt wird. Na, jedenfalls besser als ein Platten! :rolleyes:
 

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