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Gast
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Ich führe gar kein Leben, eigentlich existiere ich nur. Ich bin fünfunddreißig und habe keine Ausbildung, keine Arbeit, keine Freunde und keine Beziehung. Ich weiß nicht, wie ich an diesem Zustand etwas ändern soll. Ich hatte früher viele Ängste und habe deshalb keine Ausbildung gemacht, sondern ein Studium angefangen, weil ich mich lieber im anonymen Hörsaal verstecken wollte. Obwohl ich mich beeilt habe, bin ich nicht in der Regelstudienzeit fertiggeworden und hatte dann kein Bafög mehr. Ich habe mir nicht zugetraut, selbst meinen Lebensunterhalt zu verdienen und gleichzeitig weiterzustudieren. Meine Eltern konnten mir kein Geld geben, aber haben mich wieder bei sich aufgenommen, weil ich nicht wusste, wo ich sonst hin sollte. Ich habe mich aber dort sehr unwohl gefühlt und habe dann verschiedene Hilsarbeiten gemacht, um ausziehen zu können, was mir dann auch gelungen ist. Die letzten Jahre habe ich sehr viel gearbeitet, die Tätigkeit lag mir überhaupt nicht, und ich musste viele Überstunden machen und hatte in den ersten Jahren keinen Urlaub. Die Anforderungen wurden immer größer, zum Schluss habe ich 12-13 Stunden ohne Pause gearbeitet und fast täglich Schlaftabletten genommen, weil ich nach der Arbeit nicht mehr abschalten und einschlafen konnte. Mir ging es körperlich und psychisch so schlecht, dass ich die Arbeit aufgeben musste. Seitdem finde ich keine Arbeit mehr. Auf meine Bewerbungen melden sich wenn überhaupt nur Zeitarbeitsfirmen, da habe ich auch schon gearbeitet. Ich wurde dort aber massiv gemobbt, schon mehrmals. Man soll immer Tätigkeiten ausüben, die schnelles Arbeiten und handwerkliches Geschick erfordern. ich habe aber zwei linke Hände und manchmal eine lange Leitung, vor allem, wenn ich unter Stress stehe. Ich wurde schon oft von Kollegen angeschnauzt, beleidigt oder als dumm hingestellt, weil ich nicht schnell genug arbeite. Ich versuche, mit den Kollegen auszukommen, aber werde immer wieder gemobbt. Es hilft nichts, sich dagegen zu wehren, und die Vorgesetzten interessiert es auch nicht, ob irgendein Zeitarbeitssklave gemobbt wird. Ich halte es nicht mehr aus, in so einem Betrieb zu arbeiten, aber das Arbeitsamt bietet mir nur solche Stellen an. Wenn ich mich auf einen Job bewerbe, der sich etwas besser anhört, bewerben sich tausend besser Qualifizierte, und ich werde nicht mal zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ich habe schon mehrmals beim Arbeitsamt wegen einer Umschulung nachgefragt, aber die gibt es nur für junge Erwachsene und aus gesundheitlichen Gründen. Ich weiß nicht, wie es die nächsten 30 Jahre weitergehen soll. In den letzten Jahren habe ich nur gearbeitet, hatte kaum Freizeit und konnte mir keinen Freundeskreis aufbauen. Einige Kollegen waren zwar ganz nett, aber viel älter und durch ihre Familien in ihrer Freizeit auch ziemlich eingespannt. Ich wohne in einer Kleinstadt, die meisten in meinem Alter haben hier eine Familie und sowieso keine Zeit und kein Interesse an neuen Freundschaften. Ich wüsste mittlerweile auch gar nicht mehr, worüber ich mit anderen Menschen reden sollte, da ich so ein zurückgezogenes Leben führe. Ich bin jeden Tag allein in meiner Wohnung und weiß nichts mit mir anzufangen. Mein Leben ist vollkommen sinnlos. Ich möchte es nicht beenden, sondern etwas an meiner Situation ändern, aber ich weiß nicht wie. Ich habe früher zu viele Fehler gemacht, und jetzt sitze ich in einem selbstgemachten Gefängnis, aus dem ich nicht mehr herauskomme. Helfen kann mir da wahrscheinlich auch keiner, aber vielleicht gibt es ja jemandem, dem es ähnlich geht und der meine Situation nachvollziehen kann? Würde mich gerne austauschen, weil ich niemanden kenne, bei dem so vieles schief gelaufen ist wie bei mir. Natürlich haben viele Menschen große Probleme, mit denen verglichen meine Situation noch gar nichts ist, das liest man ja auch hier. Aber dass man nicht mal ein beschissenes Leben hat, sondern eigentlich gar keins, das gibt es glaube ich nicht so häufig.