Dr. Rock, dann wollte ich noch einiges erzählen, wie normal das hier ist.
Geblieben bin ich bei dem, dass er seinen Betreuern keine Auskunftserlaubnis erteilen will, wenn ihm etwas passiert und dass es eins von beiden eintreten kann, ist sehr wahrscheinlich. Er bewegt sich wenig und raucht einer nach der anderen. Warum er das nicht machen will, verrät er mir nicht. Vielleicht will er nicht, dass ich ihn pflegebedürftig sehe.
Wenn man das als aussenstehender hört, denkt man - da sind doch alle Zeichen vorhanden, dass ihm die Beziehung nichts wert ist und ich muss den Kontakt abbrechen. Nur wenn das alles so einfach wäre und wenn er selbst wüsste, was er will.
Im letzten Jahr da bin ich auch an den Punkt gelangt, ihn nicht mehr zu besuchen. Er hat mir ganz hässliche Worte gesagt und ich schwörte mir, nie wieder seine Wohnung zu betreten. Ich suchte nach viel Ablenkung. Ich las mehr Bücher, fing an meine Englischkentnisse zu verbessern, war weiter in 2 Gruppen aktiv usw. Nicht, dass ich ihn ganz vergessen habe, aber es ging mir besser. Seine Telefonnummer löschte ich.
Nun komme ich eines Tages aus der Schmimmhalle, schalte meinen Handy ein und sehe einen Anruf und eine sms von ihm. Zuerst konnte ich die Nummer nicht einordnen wer das war. Zu der Zeit waren es 6 oder 7 Wochen seit unserem letzten Kontakt. Dann kam wieder ein Anruf von ihm, den ich nicht abnahm und bald folgte eine sms. Sein Nachbar ist gestorben, ihm geht es nicht gut und er will mit mir telefonieren. Ich wollte nicht kaltherzig sein und ruef ihn zurück, um ihn etwas zu trösten. Dann fing er an, mich zu bitten zu ihm zu kommen. Ich sagte ihm Nein, er wollte keinen Kontakt zu mir, also muss er sich auch dran halten. Daraufhin sagte er in einer bedauernden Stimme: "Ich bin bescheuert gewesen. Verstehe mich bitte, ich bin ein psychisch kranker Mensch, ich weiß selber nicht, warum ich das gesagt habe..." Dann war er fast am heulen, so bedauerte er seine Tat. Dann fing er an über den Tod zu denken, dass jeder von uns auch plötzlich gehen kann. Dann hatte er schlechtes Gewissen seinem verstorbenen Nachbar gegenüber, der mit ihm nie geteilt hat, er sich aber trotzdem verpflichtet fühlte ihm zum Geburtstag zu gratulieren und etwas zu schenken und ausschließlich in diesem Jahr hat er ihm kein Geschenk gemacht und bedauert es. Ich fing an, ihn zu beruhigen, dass sein schlechtes Gewissen total unbegründet ist. Schließlich hat sein Nachbar ihm gar keine Geschenke gemacht. Er sprach wie ein kleines Kind zu mir, das getröstet und geschützt werden muss. Er fing an mich zu überreden sofort zu ihm zu fahren. Ich sagte, es ist schon spät, also komme ich morgen.
Als ich kam, brannten mindestens 20 Kerzen, als ob er für Romantik sorgen wollte. Der Nachbar ist tatsächlich gestorben, aber ich glaubte ihm das auch, da er immer ehrlich ist. Dann merkte ich, dass er meine Nähe vermisst hat und anstatt cool zu bleiben, bin ich darauf eingegangen. Im Bett sagte er mir Dinge, dass ich dachte - höre ich hier richtig?? - "Ich träume, eines Tages mit dir zusammen zu ziehen und ich denke häufig an dich". Auf meine Bemerkung, dass ich much an was anderes erinnere, sagte er- er hat Angst vor einer richtigen Beziehung, deswegen muss er mich auf Distanz halten".
Paar Tage später kam ich wieder zu ihm, da er mich gebeten hat, bei ihm zu übernachten.
Es brannten wieder viele Kerzen. Wir haben gut gelüftet vor dem schlafen gehen und was passierte morgens- ich bekam Kohlendioxidvergiftung. Ich konnte nicht aufstehen ohne zu erbrechen. Kaum stand ich auf, wurde mir sofort schwindelig und ich fiel um. Und wenn ich mich nur aufrichtete, fing mein Erbrechen wieder los.
Natürlich kümmerte er sich um mich und hat kein herabsetzendes Wort fallen lassen, obwohl die ganze Decke, Schlafanzug und meine Haare voll Kotze waren. Sowas habe ich noch nie erlebt. Ich war froh wieder zuhause zu sein und schon nach einer Stunde war mir deutlich besser.
Aber wie es zu erwarten war, bald war er wieder genauso wie früher. Ein Psychiater hat bei ihm neben einer Reihe verschiedener Erkrankungen noch Borderline festgestellt. Es ist für mich zwar ein abstrakter Begriff, viel treffender finde ich Bindungsangst. Nur hier sieht man deutlich, wie stark sein selbstzerstörendes Verhalten ist, dass auch ich als Beteiligte in Ohnmacht falle.